Leitsätze:
1. Zur Schutzfähigkeit dreidimensionaler, produktbezogener Formmarken.
2. Ein „Kennzeichnungsnotstand“ auf dem Produktbereich der Etiketten besteht nicht.
3. Ein Registerschutz von gebräuchlichen Formgestaltungen für Etiketten, Bonrollen, Anhängetafeln und vergleichbare Waren, wie beispielsweise rechteckige, konkave oder konvexe Gestaltungsvarianten, kommt nur unter den Voraussetzungen einer durch Benutzung erworbenen Verkehrsbekanntheit nach § 8 Abs. 3 MarkenG in Betracht (Abweichung von BGH I ZB 012/96 und I ZB 013/96 – Etikettenartige Umrahmungen).
BPatG, Beschluss vom 18.11.2009 – Aktenzeichen: 28 W (pat) 27/09 Az. der Parallelentscheidungen 28 W (pat) 28/09 28 W (pat) 29/09 28 W (pat) 30/09 28 W (pat) 31/09 28 W (pat) 32/09 28 W (pat) 33/09
§ 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Markenanmeldung 305 41 623. 5
hat der 28. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 18. November 2009 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Stoppel, der Richterin Martens und des Richters Schell
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gr ü n d e
I.
Angemeldet ist die nachfolgend wiedergegebene, dreidimensionale Marke
…
ursprünglich für die folgenden Waren der Klassen 7, 8 und 16
„Etikettiermaschinen mit und ohne Druckeinrichtung; maschinelle Plakatbeschriftungsgeräte; stationäre und handbetätigte Geräte zum Bedrucken von Etiketten; handbetätigte Etikettier- und Preisauszeichnungsgeräte;
Etiketten, Bonrollen, Anhängetafeln, soweit in Klasse 16 enthalten“
Im Laufe des patentamtlichen Verfahrens hat die Anmelderin das Warenverzeichnis der angemeldeten Marke auf die nachfolgend aufgeführten Waren beschränkt
„Etikettiermaschinen mit und ohne Druckeinrichtung; maschinelle Plakatbeschriftungsgeräte, jeweils zur Preisauszeichnung; stationäre und handbetätigte Geräte zum Bedrucken von Etiketten; handbetätigte Etikettiergeräte, jeweils zur Preisauszeichnung; Etiketten, Bonrollen, Anhängetafeln jeweils zur Preisauszeichnung, soweit in Klasse 16 enthalten“.
Die Markenstelle für Klasse 7 des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Anmeldung nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 Marken zurückgewiesen. Die angemeldete Formmarke sei ohne Weiteres als typische Variante eines handelsüblichen Etiketts zu erkennen und könne damit zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit bzw. der Bestimmung der fraglichen Produkte dienen. Auf dem hier einschlägigen Produktsektor bestehe eine ausgesprochen große Gestaltungsvielfalt, aus der sich die angemeldete Marke in keiner Weise schutzbegründend abhebe. Vielmehr belegten die der Anmelderin übermittelten Formbeispiele, dass die fragliche Etikettenform als üblich anzusehen sei. An der freien Verwendbarkeit solcher Gestaltungsvarianten bestehe ein schutzwürdiges Allgemeininteresse. Der angesprochene Verkehr werde das angemeldete Zeichen auch nicht als Marke, sondern lediglich als Sachhinweis auf die Art der Waren bzw. deren Bestimmungszweck verstehen. Auch nach der erfolgten Beschränkung des Warenverzeichnisses ergebe sich keine andere Wertung. Der dabei aufgenommene Disclaimer „jeweils zur Preisauszeichnung“ unterstreiche sogar noch den beschreibenden Charakter des Zeichens und ändere somit nichts an der markenrechtlichen Beurteilung. Der von der Anmelderin behauptete Kennzeichnungsnotstand sei ebenfalls nicht ersichtlich, da es auf dem einschlägigen Warensektor nicht nur möglich, sondern auch völlig üblich sei, die Herstellermarken auf Verpackungen oder etwa auch auf Trägerfolien anzubringen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Sie beantragt sinngemäß,
die Beschlüsse des Deutschen Patent- und Markenamts, Markenstelle für Klasse 7, aufzuheben.
Zur Begründung führt sie aus, entgegen der Wertung der Markenstelle sei ein beschreibender Charakter der angemeldeten Marke nicht feststellbar, denn hierfür müsse sich aus der dargestellten Produktform außer der bloßen Warenform noch Hinweise auf andere Produkteigenschaften ergeben, was aber nicht der Fall sei.
Ein schützenswertes Allgemeininteresse der Mitbewerber an der freien Verwendbarkeit der angemeldeten Form bestehe auch deshalb nicht, da durch den beantragten Markenschutz niemand gehindert werde, dasselbe Produkt auf den Markt zu bringen, solange er sich eines anderen Kennzeichens bediene. Die Möglichkeit einer wettbewerbswidrigen Behinderung scheide damit aus. Das angemeldete Zeichen weiche durch seine speziellen, unterscheidungskräftigen Merkmale auch hinreichend von den gebräuchlichen oder naheliegenden Produktformen ab. Die von der Markenstelle ermittelten Belege verdeutlichten lediglich, dass auf dem hier einschlägigen Warensektor eine große Formenvielfalt herrsche und die Mitbewerber somit die Möglichkeit hätten, auf andere Varianten der Produktgestaltung auszuweichen. Der angefochtene Beschluss verkenne zudem, dass entsprechende Produktformen bereits massiv monopolisiert würden. Um überhaupt auf individuelle Kundenwünsche eingehen zu können, sei es für die hier tätigen Unternehmen deshalb generell unverzichtbar, die benötigten Etikettvarianten markenrechtlich abzusichern. Die Ausführungen der Markenstelle stünden außerdem in klarem Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH, der die Schutzfähigkeit vergleichbarer Etikettformen bereits im Jahr 1999 abschließend und verbindlich bejaht habe.
Entgegenstehende Entscheidungen des HABM könnten diese Bindungswirkung nicht in Frage stellen, zumal es vorliegend ausschließlich auf die inländischen Branchengewohnheiten ankomme.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet, denn der Eintragung der Marke stehen die Schutzhindernisse des § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG entgegen.
Vom Ausschlusstatbestand des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG werden alle Zeichen und Angaben erfasst, die sich zur Beschreibung wesentlicher Merkmale der mit einer Marke beanspruchten Produkte im Verkehr eignen und deshalb zur ungehinderten Verfügung der Allgemeinheit, insbesondere der Mitbewerber freigehalten werden müssen. Für die Annahme eines Freihaltungsbedürfnisses ist es dabei nicht erforderlich, dass sich die beschreibende Verwendung einer beschreibenden Angabe im Inland bereits nachweisen lässt, vielmehr genügt bereits ihre bloße Eignung zur Merkmalsbeschreibung. Auch eine dreidimensionale Wiedergabe von Warenformen kann in diesem Sinne zur Produktbeschreibung geeignet sein (vgl. EuGH GRUR 2004, 428, 431, Rdn. 42 – Henkel; EuGH GRUR 2003, 514, 517, Rdn. 76 – Linde, Winward und Rado; sowie v. Gamm in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht, Medienrecht, § 8 Rdn. 33 m. w. N.). Dies vor allem dann, wenn die fragliche Darstellung keine relevanten Besonderheiten gegenüber den auf dem betreffenden Warensektor bereits bekannten Gestaltungselementen aufweist (vgl. BGH GRUR 2006, 679, 682, Rdn. 21 – Porsche Boxster; BGH MarkenR 2007, 441, 442, Rdn. 12 – Rado- Uhr III; BGH MarkenR 2004, 242, 245 – Gabelstapler II; BGH MarkenR 2004, 140, 143 – Käse in Blütenform; sowie Kur in: Eichmann/Kur, Designrecht, 2008, § 3 Rn. 72 ff., m. w. N.).
Gegenstand der vorliegenden Anmeldung ist die dreidimensionale Form eines so genannten Blankoetiketts. Derartige Etiketten werden u. a. für die Preisauszeichnung sowie in den Bereichen Transport und Logistik, im Gesundheitswesen oder etwa auch zum Schutz von Produktfälschung bzw. -manipulation eingesetzt. Wegen der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten, aber auch um individuelle Kundenbedürfnisse berücksichtigen zu können, bieten die Hersteller von Etiketten in der Regel ein breites Spektrum unterschiedlicher Produktformen an. Zu diesen Branchengegebenheiten hat die Markenstelle der Anmelderin im patentamtlichen Verfahren umfangreiche Rechercheunterlagen übermittelt. Diese Nachweise belegen, dass auf dem hier einschlägigen Produktsektor neben der „klassischen“, rechteckigen Etikettform längst eine Vielzahl weiterer Formvarianten angeboten und verwendet wird, wie etwa solche mit konkaven oder konvexen Gestaltungselementen.
In der mündlichen Verhandlung wurden entsprechende Belege mit der Anmelderin ebenfalls ausführlich erörtert. Im Übrigen wirbt sie selbst auf ihrer Homepage mit dem Hinweis: „ … maßgeschneiderte Lösungen für sämtliche Produktkennzeichnungen. contact fertigt ganz nach Ihren individuellen Wünschen, Vorgaben und Anforderungen.“ (vgl. hierzu unter http://www.contactonline.de/de/produkte/etiketten_fuer_industrie/typenschildetiketten.php).
Indem die angemeldete Marke eine bestimmte Warenform wiedergibt, ist sie geeignet, auf die Produktbeschaffenheit der beanspruchten Etiketten, Bons und Anhängetafeln hinzuweisen sowie auf den Bestimmungszweck der darüber hinaus mit der Anmeldung beanspruchten Waren, die zur Herstellung bzw. Anbringung der vorgenannten Produkte dienen können. An der freien Verwendbarkeit von Zeichen, die sich in der Wiedergabe einer konkreten Produktgestaltung erschöpfen, besteht aber generell ein besonders großes Allgemeininteresse (vgl. EuGH GRUR 2004, 428 Rdn. 41 – Henkel; EuGH GRUR 2003, 514 Rdn. 73 – Linde, Winward u. Rado; BGH GRUR 2008, 1000, 1001, Rdn. 16 – Käse in Blütenform II; sowie v. Gamm a. a. O., § 8 Rdn. 33 m. w. N.). Könnten derartige Produktformen ohne Weiteres über die Eintragung als Marke für ein einzelnes Unternehmen monopolisiert werden, wäre es bereits mit einem verhältnismäßig geringem Aufwand möglich, eine Vielzahl ähnlicher Gestaltungen zum Gegenstand von Markenanmeldungen zu machen und diese Formgestaltungen zumindest innerhalb der Benutzungsschonfrist für die Wettbewerber zu sperren. Dies hätte eine erhebliche Einschränkung der notwendigen Gestaltungsfreiheit zur Folge, die mit dem Regelungszweck des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG unvereinbar wäre (BGH GRUR 2006, 679, 680, Rdn. 21 – Porsche Boxster; vgl. BGH MarkenR 2007, 483, 487, Rdn. 28 – Fronthaube). Denn das Markenrecht soll gerade den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr und damit einen ausreichenden Gestaltungsspielraum für alle Marktteilnehmer gewährleisten (vgl. hierzu etwa den 1. Erwägungsgrund der Europäischen Markenrichtlinie (MarkenRichtl.); sowie die Schlussanträge von Generalanwältin Eleanor Sharpston, vom 30. April 2009, in der Rechtssache C-301/07 – PAGO/Tirol Milch). Dementsprechend berücksichtigt der EuGH bei seiner Auslegung der absoluten Schutzhindernisse, dass Marken zwar einerseits eine wichtige ökonomische Rolle im europäischen Wirtschaftssystem zukommt, aufgrund ihrer Monopolwirkungen aber gleichzeitig die Gefahr unerwünschter Wettbewerbsverzerrungen besteht. Er hebt deshalb immer wieder hervor, dass die absoluten Schutzhindernisse darauf ausgerichtet sind, die schutzwürdigen Interessen der Allgemeinheit, insbesondere die Interessen der Mitbewerber am Erhalt eines ausreichenden Gestaltungsfreiraums einerseits und die berechtigten Individualinteressen der Anmelder an der Erlangung von Markenschutz andererseits miteinander in Einklang zu bringen.
Um dieser Zielsetzung gerecht zu werden, müssen die absoluten Schutzhindernisse immer unter Berücksichtigung des ihnen jeweils konkret zugrunde liegenden Allgemeininteresses angewandt werden, um so das angestrebte Maß an Chancengleichheit für alle Mitbewerber zu gewährleisten und negative Auswirkungen von Markeneintragungen auf den freien Wettbewerb zu vermeiden (vgl. EuGH GRUR 2004, 943 Rdn. 26 – SAT.2; EuGH GRUR 2003, 514 Rdn. 72 ff. – Linde, Winward u. Rado). Marken, die aus der Form der Ware bestehen, sind dem Markenschutz zwar zugänglich (§ 3 Abs. 1 MarkenG). In diesem Zusammenhang bleibt aber immer zu berücksichtigen, dass die Eintragung einer Produktgestaltung als Marke letztlich auf einen – zeitlich unbegrenzten – Schutz des Produkts hinausläuft. Ein derartiger „Produktschutz“ ist nach der gesetzlichen Systematik aber grundsätzlich den hierfür speziell konzipierten – zeitlich befristeten – Schutzrechten vorbehalten, wie dem Patent-, Gebrauchs- oder Geschmacksmusterrecht. Um der Gefahr systemwidriger Entwicklungen wirksam begegnen zu können, ist deshalb das über § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG geschützte Allgemeininteresse bei der Schutzfähigkeitsprüfung produktbezogener Formmarken ganz besonders sorgfältig mit den Anmelderinteressen abzuwägen (vgl. hierzu nochmals EuGH GRUR 2003, 514 Rdn. 77 – Linde, Winward u. Rado; BGH MarkenR 2004, 242, 245 – Gabelstapler II; sowie Kur, a. a. O., § 3 Rdn. 71 m. w. N.). Das Allgemeininteresse wird dabei bereits durch jede potenzielle Beeinträchtigung der wettbewerblichen Grundfreiheiten verletzt (vgl. hierzu auch BPatG PAVIS PROMA 28 W (pat) 95/99 – Käse in Blütenform II).
Bei Anwendung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall ein Freihaltebedürfnis an der angemeldeten Formgestaltung zu bejahen, denn mit der Anmeldung wird letztlich nichts anderes beansprucht als eine typische Grundform von Etiketten in einer geringfügigen, nicht schutzbegründenden Abwandlung. Angesichts der bereits bestehenden Formenvielfalt auf diesem Warengebiet weist die angemeldete Form in keiner relevanten Hinsicht einen aus dem Branchenüblichen fallenden Gesamteindruck auf, so dass sie für die Mitbewerber zur ungehinderten Verfügung freizuhalten ist. Ob die Verwendung der konkreten Form auf dem Markt bereits nachweisbar ist, ist insoweit irrelevant, da das Erfordernis einer neuheitsschädlichen Vorwegnahme dem Markenrecht fremd ist (vgl. hierzu EuGH MarkenR 2008, 160, 162; Rdn. 35 – HAIRTRANSFER; EuGH GRUR 2004, 146, 147; Rdn. 32 – DOUBLEMINT; EuGH GRUR 1999, 726; Rdn. 30 – Chiemsee; BGH GRUR 2008, 900, 901, Rdn. 12 – SPA II; BGH GRUR 2001, 418, 419 f. – Montre). Dass die Mitbewerber noch andere Gestaltungsvarianten als die angemeldete Produktform verwenden könn(t)en, vermag die Schutzfähigkeit des Zeichens nicht zu begründen. Denn ihnen muss grundsätzlich die freie Wahl zwischen allen unmittelbar beschreibenden Zeichen bzw. Formen erhalten bleiben (vgl. EuGH MarkenR 2004, 99, Rdn. 55 f. – Postkantoor; EuGH GRUR 2004, 674, 676 ff, Rdn. 57, 101 – Postkantoor; EuGH GRUR 2002, 804, 809, Rdn. 81 ff.; BGH GRUR 2008, 900, 902, Rdn. 22 – SPA II). Das Verbleiben eines ausreichend großen Gestaltungsspielraums kann auch nicht mit der abstrakten Überlegung konstruiert werden, die Mitbewerber könnten sich selbstverständlich weiterhin aller geometrischen Grundformen bedienen – wenn auch nur mit hinreichend prägnanten Abwandlungen. Denn diese Argumentation hieße schlicht, die Realität der konkreten Branchenverhältnisse zu leugnen, die davon geprägt ist, dass die Inhaber entsprechender Produktformmarken gerade die Monopolisierung der jeweils verwendeten geometrischen Grundform, also beispielsweise die Verwendung rechteckige, ovaler, konvexer oder konkaver Gestaltungselemente für sich in Anspruch nehmen und sich insoweit gerade nicht auf nachrangige Details beschränken. Dies vor allem dann, wenn es ihnen gelungen ist, über Parallelanmeldungen Markenschutz für eine größere Zahl von Abwandlungen derselben Grundform zu erlangen. Nicht zuletzt wegen der rechtlichen Unklarheiten über den konkreten Schutzumfang solcher Warenformmarken und ihrem dementsprechend großen Drohpotential kann vom Verbleib eines ausreichenden Gestaltungsspielraums keine Rede sein. Vielmehr wäre ein solcher „Spielraum“ rein hypothetischer bzw. rechtstheoretischer Natur.
Die Eintragung von Produktformen, die sich in keiner markenrechtlich relevanten Hinsicht aus dem bekannten Formenschatz der hier einschlägigen Branche herausheben, würde somit die unabdingbare Gestaltungsfreiheit der Mitbewerber trotz der vorhandenen Bandbreite an weiteren Produktformen über Gebühr einschränken.
Die Anbieter von Etiketten oder vergleichbaren Produkten müssten in diesem Fall entweder selbst versuchen, möglichst viele Formvarianten über den Markenschutz für sich zu monopolisieren (eine Entwicklung, wie sie der Senat im Rahmen seiner Zuständigkeit zunehmend registriert) oder vor der Herstellung und Vermarktung neuer Produkte stets umfangreiche Markenrecherchen durchführen, um sich über entgegenstehende Markenrechte Dritter zu informieren. Dass es auf dem hier einschlägigen Produktssektor tatsächlich schon zu solchen systemwidrigen Entwicklungen gekommen ist, bestätigt der Vortrag der Anmelderin, wonach es in ihrer Branche bereits zu einer fortschreitenden Behinderung der Unternehmen durch eingetragene Formmarken Dritter gekommen sei. Nicht zuletzt die Tatsache, dass auch von der Anmelderin nicht nur eine einzelne, sehr spezielle Etikettvariante angemeldet wurde, sondern zahlreiche Parallelanmeldungen vorgenommen wurden, veranschaulicht den konkreten Druck auf die Mitbewerber, sich im Wege solcher „Anmeldewellen“ einen erheblichen Teil der nahe liegenden Formvarianten zu monopolisieren. Für den Schutz der berechtigten Interessen der Hersteller bzw. Anbieter der hier verfahrensgegenständlichen Waren ist diese Entwicklung absolut kontraproduktiv. Für den Schutz ihrer Interessen bedarf es zudem keines Markenschutzes, vielmehr stehen nach der Rechtsordnung insoweit vorrangig die hierfür speziellen Produktschutzrechte zur Verfügung, wie etwa der Geschmacksmusterschutz.
Aus den dargestellten Gründen erscheint es markenrechtlich unabdingbar, über eine strikt am Regelungszweck des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG orientierte Entscheidungspraxis sicherzustellen, dass die Planung und Herstellung der verfahrensgegenständlichen Produkte ungehindert von unzulässigen Markenrechten Dritter erfolgen und sich damit ausschließlich an den technischen Notwendigkeiten und den individuellen Wünsche der Kunden orientieren kann. Für die Mitbewerber muss somit grundsätzlich die freie Wahl zwischen allen unmittelbar beschreibenden Zeichen und Angaben möglich bleiben (vgl. EuGH MarkenR 2004, 99, Rdn. 55 f. – Postkantoor; EuGH GRUR 2004, 674, 676 ff, Rdn. 57, 101 – Postkantoor; BGH GRUR 2008, 900, 902, Rdn. 22 – SPA II). Ein Schutz von Formvarianten wird damit auch für den hier maßgeblichen Warensektor im Regelfall nur unter den Voraussetzungen einer durch Benutzung erworbenen Verkehrsbekanntheit nach § 8 Abs. 3 MarkenG in Betracht kommen. Eine solche Schutzgewährung im Wege der Verkehrsdurchsetzung ist vorliegend aber weder beantragt noch mangels entsprechender Anhaltspunkte für den Senat ersichtlich.
Der angemeldeten Marke steht somit bereits ein berechtigtes Allgemeininteresse i. S. v. § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG an ihrer freien Verwendbarkeit entgegen. Der Marke fehlt zudem die erforderliche Unterscheidungskraft i. S. v. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG. Die Eintragungshindernisse nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG stehen eigenständig nebeneinander und sind dementsprechend auch gesondert zu prüfen, selbst wenn sich ihre Anwendungsbereiche in vielen Fällen überschneiden werden (vgl. EuGH GRUR 2006, 233 Rdn. 63 – Standbeutel; EuGH GRUR 2003, 514, 517, Rdn. 67 – Linde, Winward u. Rado; BGH MarkenR 2008, 427, 428, Rdn. 20 – Käse in Blütenform II).
Unterscheidungskraft i. S. v. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einem Zeichen innewohnende, konkrete Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die jeweiligen Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und sie dadurch für die angesprochenen Verbraucher von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidbar macht (EuGH GRUR Int. 2005, 135, Rdn. 19 – Maglite; BGH GRUR 2005, 417, 418 – BerlinCard). Dabei ist entgegen dem allgemeinen Begriffsgehalt des Tatbestandsmerkmals „jegliche Unterscheidungskraft“ in § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG nicht davon auszugehen, dass jede „irgendwie“ geartete Unterscheidungskraft ausreichend wäre, um das Schutzhindernis zu überwinden. Vielmehr ist der Rechtsbegriff der Unterscheidungskraft einer derartigen, allgemeinsprachlichen Interpretation nicht zugänglich, sondern muss normativ ausgelegt und insoweit – wie der Europäische Gerichtshof schon frühzeitig klargestellt hat – ausschließlich herkunftsbezogen definiert werden (vgl. EuGH GRUR 1999, 723, 727, Rdn. 49 – Chiemsee). Die Herkunftsfunktion muss als Hauptfunktion einer Marke zudem stets im Vordergrund stehen, während mögliche weitere Markenfunktionen, wie etwa eine anpreisende oder produktbeschreibende Funktion (vgl. hierzu EuGH GRUR 2009, 756, 761, Rdn. 50 ff. – L’Oréal), daneben immer nur von untergeordneter Bedeutung sein dürfen. Ergeben die in der Schutzfähigkeitsprüfung zu treffenden Feststellungen nicht den Nachweis, dass ein angemeldetes Zeichen die
konkrete Eignung zur Herkunftsfunktion aufweist und dass diese Herkunftsfunktion im Vordergrund steht, widerspricht ihre Eintragung der in § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG normierten Zielsetzung, die Allgemeinheit vor ungerechtfertigen Monopolen zu schützen (vgl. EuGH GRUR 2008, 608, Rdn. 59, 62 – EUROHYPO; GRUR Int. 2008, 135, 137, Rdn. 80 – Form einer Kunststoffflasche; GRUR 2004, 1027, 1029, Rdn. 35, 45 – DAS PRINZIP DER BEQUEMLICHKEIT). Zwar dürfen an die Unterscheidungskraft eines Zeichens, das die Ware selbst oder einen Teil dieser Waren darstellt, keine höheren Anforderungen gestellt werden, als bei anderen Markenformen. Auch bei produktabbildenden Zeichen ist somit maßgeblich darauf abzustellen, ob ihnen der Verkehr einen betriebskennzeichnenden Herkunftshinweis entnimmt oder nicht. Dabei bleibt jedoch stets zu berücksichtigen, dass eine Marke, die aus dem Erscheinungsbild der Ware selbst bzw. eines ihrer Teile besteht, von den angesprochenen Verkehrskreisen erfahrungsgemäß nicht in der gleichen Weise wahrgenommen wird, wie etwa eine Wort- oder Bildmarke, die vom Erscheinungsbild der mit ihr gekennzeichneten Waren unabhängig ist. Stattdessen schließen Verbraucher aus der Form der Ware oder ihrer Verpackung regelmäßig nicht auf die betriebliche Herkunft der fraglichen Produkte (vgl. EuGH GRUR Int. 2006, 842, 844, Rdn. 25 – Form eines Bonbons II; BGH MarkenR 2007, 483, 486, Rdn. 23 f. – Fronthaube). Auch der BGH betont in seiner Rechtsprechung zu Produktformmarken, dass der Verkehr in der Form oder Abbildung einer Ware regelmäßig nur einen Hinweis auf deren ästhetische oder funktionelle Gestaltung sieht, ihr aber keinen markenrechtlich relevanten Hinweis auf ihre betriebliche Herkunft entnimmt (vgl. BGH GRUR 2006, 679, 681, Rdn. 17 – Porsche Boxter; BGH WRP 2004, 749, 751 – Transformatorengehäuse; BGH MarkenR 2004, 492, 494 – Käse in Blütenform; BGH GRUR 2003, 332, 334 – Abschlussstück; BGH GRUR 2003, 712, 714 – Goldbarren). Ein produktabbildendes Zeichen kann deshalb nur dann die herkunftshinweisende Funktion einer Marke erfüllen, wenn sich die beanspruchte konkrete Form erheblich von der Norm bzw. vom Branchenüblichen des jeweils einschlägigen Produktsektors abhebt (vgl. v. Gamm a. a. O., § 8 Rdn. 21 m. w. N.; sowie Lange, Marken- und Kennzeichenrecht, Rdn. 532 m. w. N.). Nur in diesem Fall ist es dem Verkehr möglich, die betreffenden Waren ohne besondere Aufmerksamkeit, also ohne eingehendere und vergleichende Betrachtungsweise von den Waren anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. EuGH MarkenR 2007, 437, Rdn. 34 – Rotweiße, rechteckige Tablette; EuGH GRUR Int. 2005, 135, 137, Rdn. 31 – Maglite; EuGH GRUR Int. 2004, 639, 643, Rdn. 37 – Dreidimensionale Tablettenform III; BGH MarkenR 2007, 483, 486, Rdn. 23 f. – Fronthaube). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall jedoch nicht erfüllt, da sich das angemeldete Zeichen völlig im Rahmen des auf dem hier einschlägigen Warengebiet Üblichen bewegt und sich in seinem Gesamteindruck somit gerade nicht erheblich von den hier bereits bekannten Gestaltungselementen abhebt (vgl. hierzu auch HABM, R1146/05-2 – Etikett; sowie HABM, R0107/00-3 – Etikett mit ausfüllbaren Kästchen, beide veröffentlicht auf PAVIS PROMA CD-ROM). Dem angemeldeten Zeichen fehlt somit jegliches Merkmal, das den angesprochenen Verkehrskreisen einen Hinweis auf die betriebliche Herkunft der beanspruchten Waren geben könnte (vgl. hierzu auch EuG GRUR Int. 2008, 51, 52, Rdn. 25 – Geometrische Figur). Die Anmelderin hat auch nicht schlüssig dargetan, dass es auf dem maßgeblichen Produktsektor bereits üblich geworden wäre, die Form von Etiketten gezielt als markenrechtliche Herkunftszeichen einzusetzen. Auch der Senat hat eine solche Praxis nicht feststellen können, so dass die Annahme einer herkunftshinweisenden Funktion der angemeldeten Form auch unter dem Gesichtspunkt spezifischer Branchengewohnheiten ausscheidet (vgl. hierzu BGH GRUR 2003, 332, 334 – Abschlussstück; BGH GRUR 2001, 418, 419 f. – Montre).
Ein „Kennzeichnungsnotstand“, wie ihn die Anmelderin geltend macht, besteht auf dem hier maßgeblichen Produktsektor nicht. Dies belegt bereits die eigene Kennzeichnungspraxis der Anmelderin und ihrer Mitbewerber, die Marken der jeweiligen Hersteller etwa auf der Verpackung von Etikettenrollen oder auf den
verwendeten Verpackungsfolien anzubringen. Hierzu wurden mit der Anmelderin in der mündlichen Verhandlung zahlreiche Verwendungsbeispiele – auch solche der Anmelderin selbst – erörtert. Gegen den behaupteten „Kennzeichnungsnotstand“ spricht im Übrigen auch der Umstand, dass die Anmelderin – wie ihre
Mitbewerber auch – für dieselben Warengruppen auch andere Wort- und Wort-/Bildmarken besitzt, die nahe liegender Weise eingesetzt werden sollen – und eben auch können. Dass die Notwendigkeit einer eigenständigen, also produktunabhängigen Kennzeichnung auch unter erschwerten Umständen unabdingbar bleibt, haben sowohl der EuGH als auch der BGH immer wieder betont (vgl. BGH MarkenR 2008, 201 – AKZENTA; BGH MarkenR 1999, 297, 299 – HONKA). So wurde beispielsweise das Fehlen einer Kennzeichnungsmöglichkeit bzw. ein „Notstand“ selbst bei einem in etwa 100 Metern angebrachten Windenergiekonverter verneint, obwohl hier Bild- oder Wortelemente von entsprechend weit entfernten Betrachtern kaum wahrgenommen werden konnten (vgl. Urteil des EuG, vom 15. November 2007, in der Rechtssache T-71/06, veröffentlicht unter http://curia.europa.eu; bestätigt durch EuGH MarkenR 2009, 108 ff. – Gondelverkleidung). Damit wird deutlich, dass der Vortrag der Anmelderin zu einem angeblichen Kennzeichnungsnotstand in markenrechtlicher Hinsicht letztlich nur eine bloße Schutzbehauptung darstellt, die letzten Endes auf eine nicht im Allgemeininteresse liegende Umgehung der absoluten Schutzhindernisse des § 8 Abs. 2 MarkenG abzielt.
Soweit sich die Anmelderin zur Begründung ihrer Beschwerde auf vermeintlich vergleichbare Voreintragungen beruft, begründet dieser Vortrag kein anderes Prüfungsergebnis. Sowohl der EuGH als auch der BGH haben immer wieder bestätigt, dass Voreintragungen generell keine Bindungswirkung zukommen kann, sondern stattdessen ausschließlich auf Grundlage der gesetzlich normierten Eintragungshindernisse zu entscheiden ist (vgl. EuGH MarkenR 2009, 201, 202, Rdn. 13-19 – Schwabenpost; EuGH MarkenR 2004, 116, 122 f., Rdn. 63 – Henkel; BGH GRUR 2004, 506, 507 – Stabtaschenlampen II; BGH GRUR 2009, 778, 779, Rdn. 8 – Willkommen im Leben). Dies gilt sogar selbst für den Fall, dass ein identisches Zeichen für denselben Anmelder schon einmal eingetragen wurde, wie dies der BGH hervorgehoben hat (vgl. BGH GRUR 2009, 411, 412, Rdn. 14 – STREETBALL). Der Umstand, dass in der Vergangenheit möglicherweise vergleichbare Zeichen eingetragen wurden, ist lediglich in die umfassende Beurteilung zur Frage des Vorliegens des Schutzhindernisses miteinzubeziehen, was im vorliegenden Fall – selbstverständlich – erfolgt ist. Im Übrigen wird sowohl von der europäischen Markenrichtlinie als auch vom Markengesetz anerkannt, dass schutzunfähige Marken durch Fehlentscheidungen ins Register gelangen können, weshalb beide ein eigenständiges Verfahren für die Löschung solcher Marken vorsehen. Dass es sich bei den von der Anmelderin zitierten Markeneintragungen um genau solche löschungsreife Zeichen handelt, liegt nach den aufgezeigten Rechtsgrundsätzen und den hierzu aufgeführten Entscheidungen des EuGH und des BGH zu Produktformmarken auf der Hand, zumal diese für die Auslegung der absoluten Schutzhindernisse verbindliche Rechtsprechung unabhängig von ihrem jeweiligen Entscheidungsdatum sämtliche nach dem Inkrafttreten des MarkenG erfolgten Eintragungen erfasst.
Der Senat ist an seiner Wertung der Sach- und Rechtslage auch nicht durch die von der Anmelderin zitierten Entscheidungen des BGH (BGH I ZB 012/96 und I ZB 013/96 – Etikettenartige Umrahmungen) gehindert. Nachdem sich die Rechtsprechung des EuGH und des BGH zu dreidimensionalen Produktformmarken in den vergangenen Jahren grundlegend verändert hat, sind diese als überholt anzusehen, so dass eine Bindungswirkung nach § 89 Abs. 4 MarkenG schon aus diesem Grund ausscheidet.
Die Beschwerde war somit zurückzuweisen.
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