BGH, Beschl. v. 24. Mai 2007 – I ZR 130/04
Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird zur Auslegung des Art. 7 Abs. 2 lit. a der Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken (Datenbankrichtlinie) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Kann eine Übernahme von Daten aus einer (gemäß Art. 7 Abs. 1 der Datenbankrichtlinie) geschützten Datenbank in eine andere Daten-bank auch dann eine Entnahme im Sinne des Art. 7 Abs. 2 lit. a der Datenbankrichtlinie sein, wenn sie aufgrund von Abfragen der Daten-bank nach einer Abwägung im Einzelnen vorgenommen wird, oder setzt eine Entnahme im Sinne dieser Vorschrift einen Vorgang des (physischen) Kopierens eines Datenbestandes voraus?
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-lung vom 21. März 2007 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Prof. Dr. Büscher, Dr. Schaffert und Dr. Bergmann
beschlossen:
I. Das Verfahren wird hinsichtlich der Klage der Klägerin zu 1 ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird zur Auslegung des Art. 7 Abs. 2 lit. a der Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken (Datenbankrichtlinie) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Kann eine Übernahme von Daten aus einer (gemäß Art. 7 Abs. 1 der Datenbankrichtlinie) geschützten Datenbank in eine andere Datenbank auch dann eine Entnahme im Sinne des Art. 7 Abs. 2 lit. a der Datenbankrichtlinie sein, wenn sie aufgrund von Abfragen der Daten-bank nach einer Abwägung im Einzelnen vorgenommen wird, oder setzt eine Entnahme im Sinne dieser Vorschrift einen Vorgang des (physischen) Kopierens eines Datenbestandes voraus?
Gründe:
I. Der Kläger zu 2 (im Folgenden: Kläger) ist ordentlicher Professor am Deutschen Seminar I der Klägerin zu 1, der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (im Folgenden: Klägerin). Er leitet das Projekt „Klassikerwortschatz“, das zur Veröffentlichung der sog. Freiburger Anthologie geführt hat, einer Sammlung von Gedichten aus der Zeit zwischen 1720 und 1933.
Als Grundlage der Anthologie erarbeitete der Kläger im Rahmen des Pro-jekts „Klassikerwortschatz“ eine Liste von Gedichttiteln, die unter der Über-schrift „Die 1100 wichtigsten Gedichte der deutschen Literatur zwischen 1730 und 1900“ im Internet veröffentlicht wurde. Nach einer einleitenden Erläuterung führt die Liste – geordnet nach der Anzahl der Nennungen der Gedichte – (re-gelmäßig) Autor, Titel, Anfangszeile und Erscheinungsjahr jedes Gedichts an. Der Liste lag eine Gedichtauswahl zugrunde, die wie folgt zustande gekommen war: Aus etwa 3.000 Anthologien wurden 14 ausgewählt. Hinzu kam die biblio-graphische Zusammenstellung aus 50 deutschsprachigen Anthologien von An-neliese Dühmert mit dem Titel „Von wem ist das Gedicht?“. Aus diesen Werken, die etwa 20.000 Gedichte enthalten, wurden diejenigen Gedichte ausgewählt, die in mindestens drei Anthologien aufgeführt oder in der bibliographischen Sammlung von Dühmert mindestens dreimal erwähnt sind. Als Voraussetzung für die statistische Auswertung wurden die teilweise unterschiedlichen Titel und Anfangszeilen der Gedichte vereinheitlicht und eine Liste aller Gedichttitel er-stellt. Schließlich wurden die Gedichte durch bibliographische Recherchen in den jeweiligen Werkausgaben nachgewiesen und ihr Entstehungsdatum ermit-telt. Diese Arbeit, die von K. W. unter Mitwirkung von Hilfskräften geleistet wurde, nahm etwa zweieinhalb Jahre in Anspruch. Die Kosten von insgesamt 34.900 € trug die Klägerin.
Die Beklagte vertreibt eine CD-ROM „1000 Gedichte, die jeder haben muss“, die im Jahr 2002 erschienen ist. Von den Gedichten auf der CD-ROM stammen 876 aus der Zeit zwischen 1720 und 1900; hiervon sind 856 auch in der Gedichttitelliste des Projekts „Klassikerwortschatz“ benannt. Bei der Zu-sammenstellung der Gedichte auf ihrer CD-ROM hat sich die Beklagte an der Gedichttitelliste des Projekts „Klassikerwortschatz“ orientiert. Sie hat einige der dort angeführten Gedichte weggelassen, einige wenige hinzugefügt und im Üb-rigen die vom Kläger getroffene Auswahl jeweils kritisch überprüft. Die Gedicht-texte selbst hat die Beklagte eigenem digitalem Material entnommen.
Die Kläger haben die Ansicht vertreten, die Beklagte verletze durch die Vervielfältigung und Verbreitung ihrer CD-ROM das Urheberrecht des Klägers als Schöpfer eines Sammelwerkes und das Leistungsschutzrecht der Klägerin als Datenbankherstellerin.
Die Kläger haben beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlas-sen, die CD-ROM mit dem Titel „1000 Gedichte, die jeder haben muss“ zu ver-vielfältigen und/oder zu verbreiten. Weiter haben sie beantragt, die Schadens-ersatzpflicht der Beklagten festzustellen und sie zu verurteilen, Auskunft zu er-teilen und die noch in ihrem Besitz befindlichen Vervielfältigungsstücke ihrer Gedichtsammlung zum Zweck der Vernichtung herauszugeben.
Die Beklagte hat vorgebracht, sie habe für ihre CD-ROM die beliebtesten Gedichte aus der Zeit zwischen 1720 und 1900 zusammengestellt. Bei der Auswahl habe sie nur die Gedichttitelliste des Projekts „Klassikerwortschatz“ und auch diese nur als Referenz herangezogen. Daneben habe sie auch andere Auswahlkriterien wie etwa die Bewertungen einzelner Gedichte in Literaturle-xika angewandt. Auch die Entstehungsdaten der Gedichte seien den eigenen
Sammlungen entnommen worden. Die Gedichttitelliste des Projekts „Klassiker-wortschatz“ sei mangels einer schöpferischen Leistung bei Auswahl und Anordnung des Stoffs kein urheberrechtlich schutzfähiges Werk. Die Datensammlung erfülle als solche nicht die Anforderungen an eine Datenbank im Sinne des § 87a UrhG; jedenfalls fehle es an einer unmittelbaren Leistungsübernahme.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben (LG Mannheim GRUR-RR 2004, 196). Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben.
Der Senat hat durch Teilurteil vom heutigen Tag die Revision der Beklag-ten gegen ihre Verurteilung aufgrund der Klageanträge des Klägers im Wesent-lichen zurückgewiesen. Über die Revision der Beklagten gegen ihre Verurtei-lung aufgrund der Klageanträge der Klägerin kann noch nicht entschieden wer-den, weil zunächst durch ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften eine vorgreifliche Rechtsfrage geklärt werden muss.
II. Das Berufungsgericht hat die Klageanträge der Klägerin als begründet angesehen. Der Klägerin stehe das Schutzrecht eines Datenbankherstellers zu. Die Beklagte habe durch die Vervielfältigung und Verbreitung ihrer „1000 Gedichte, die jeder haben muss“ auf CD-ROM in dieses Schutzrecht eingegriffen. Die Beklagte habe sich bei der Zusammenstellung der Gedichtanthologie weit-gehend an der Struktur der geschützten Datenbank der Klägerin orientiert und wesentliche Teile der Daten zur Grundlage ihrer CD-ROM gemacht. Die Be-klagte habe so die Datenbank in wesentlichen Teilen übernommen und für eigene wirtschaftliche Zwecke weiterverwendet. Unerheblich sei, ob die Daten unverändert und durch unmittelbare Übertragung entnommen würden, ebenso, ob die Vervielfältigung durch Abschreiben oder durch elektronisches Kopieren stattfinde. Entscheidend sei allein die (fast vollständige) Übernahme der ge-
schützten Leistung, die die wirtschaftliche Nutzung der Datenbank durch die Klägerin erheblich beeinträchtige. Wegen der Rechtsverletzungen der Beklag-ten seien auch die Nebenansprüche der Klägerin begründet.
III. Der Erfolg der Revision der Beklagten gegen ihre Verurteilung auf-grund der Klageanträge der Klägerin hängt von der Auslegung des Art. 7 Abs. 2 lit. a der Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken (ABl. Nr. L 77 vom 27. März 1996, S. 20; im Folgenden: Datenbankrichtlinie) ab. Vor einer Entscheidung über das Rechtsmittel ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 234 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 EG eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu der im Beschlusstenor ge-stellten Frage einzuholen.
IV. Die Klägerin macht mit ihrer Klage Ansprüche aus Verletzung ihrer Rechte als Datenbankherstellerin geltend (§ 97 Abs. 1, § 98 Abs. 1 i.V. mit §§ 87a, 87b UrhG). Die den Schutz des Datenbankherstellers regelnden Vor-schriften sind in Umsetzung der Datenbankrichtlinie in das Urheberrechtsgesetz eingefügt worden und deshalb im Sinne dieser Richtlinie auszulegen.
1. Die im Internet veröffentlichte Gedichttitelliste „Die 1100 wichtigsten Gedichte der deutschen Literatur zwischen 1730 und 1900“ ist eine Datenbank im Sinne des Art. 1 Abs. 2 der Datenbankrichtlinie. Die Liste ist eine Sammlung, deren Elemente systematisch angeordnet und einzeln zugänglich sind. Die voneinander unabhängigen Elemente der Liste (wie Namen der Urheber, Titel, Anfangszeilen und Erscheinungsdatum der Gedichte) sind systematisch in Gruppen geordnet nach der Häufigkeit, in der die Gedichte in den Sammlungen, die der Gedichtauswahl zugrunde liegen, abgedruckt bzw. genannt sind, sowie in sich nach den Anfangsbuchstaben der Namen der Dichter. Die Elemente der
Liste (wie Dichter, Gedichttitel oder Erscheinungsjahr) können jeweils für sich – auch elektronisch – angesteuert werden.
2. Die Klägerin genießt für diese Datenbank das Schutzrecht sui generis gemäß Art. 7 Abs. 1 der Datenbankrichtlinie. Sie hat als Herstellerin für die Beschaffung, die Überprüfung und die Darstellung des Inhalts der Datenbank we-sentliche Investitionen von der Art geleistet, wie sie für den Schutz gemäß Art. 7 der Datenbankrichtlinie erforderlich sind.
Der Begriff der mit der Beschaffung des Inhalts einer Datenbank verbundenen Investition im Sinne des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie ist dahin zu verste-hen, dass er die Mittel bezeichnet, die der Ermittlung von vorhandenen Elemen-ten und deren Zusammenstellung in dieser Datenbank gewidmet werden. Er umfasst nicht die Mittel, die eingesetzt werden, um die Elemente zu erzeugen, aus denen der Inhalt einer Datenbank besteht (EuGH, Urt. v. 9.11.2004 – C-203/02, Slg. 2004, I-10415 = GRUR 2005, 244 Tz 42 – BHB-Pferdewetten; vgl. auch Schricker/Vogel, Urheberrecht, 3. Aufl., § 87a UrhG Rdn. 24 ff.). Die Klä-gerin hat erhebliche Mittel aufgewendet, um unter den vorhandenen Gedichten diejenigen herauszufinden, die den Kriterien entsprechen, die für die Erstellung der Gedichttitelliste maßgeblich waren, und weiter dafür, diese Gedichttitel sys-tematisch geordnet in der Datenbank darzustellen. Dazu gehörten auch die Ar-beiten, die durchgeführt wurden, um das vorhandene Gedichtmaterial hinsicht-lich der Titel, der Anfangszeilen und der Urheberangaben so zu vereinheitli-chen, dass eine statistische Auswertung möglich wurde.
3. Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagte durch Vervielfältigung und Verbreitung ihrer CD-ROM „1000 Gedichte, die jeder haben muss“ in ihre Rechte als Datenbankherstellerin eingegriffen habe. Eine Rechtsverletzung durch Vervielfältigung der Gedichttitelliste der Klägerin bei der Vorbereitung der
CD-ROM der Beklagten (z.B. durch Vervielfältigung im Arbeitsspeicher eines Computers zum Zweck der Bildschirmwiedergabe) ist nach dem Inhalt der Klageanträge nicht Gegenstand des Rechtsstreits.
4. Die Beklagte hat als Grundlage für die Auswahl der Gedichte auf ihrer CD-ROM – zumindest wiederholt und systematisch – einen wesentlichen Teil der Daten, die in der Datenbank der Klägerin enthalten sind, benutzt. Die Gedicht-auswahl auf ihrer CD-ROM entspricht für die Zeit zwischen 1720 und 1900 fast vollständig der Gedichttitelliste der Klägerin. Von 876 Gedichten aus dieser Zeit sind 856 (knapp 98 %) bereits in der Datenbank der Klägerin benannt, die 1100 Gedichttitel umfasst. Die Gedichttexte selbst, die in der Gedichttitelliste der Klä-gerin nicht enthalten waren, hat die Beklagte dagegen selbst beschafft.
5. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat sich die Beklagte bei der Auswahl der Gedichte für ihre CD-ROM lediglich inhaltlich an der Ge-dichttitelliste der Klägerin orientiert. Sie hat dabei die von der Klägerin getroffe-ne Auswahl jeweils kritisch überprüft und im Ergebnis einige Gedichte, die in der Gedichttitelliste aufgeführt waren, weggelassen sowie einige wenige Gedichte hinzugefügt. Die Frage, ob auch eine solche – nach einer Abwägung im Einzelnen vorgenommene – inhaltliche Übernahme aus einer Datenbank eine Entnahme im Sinne des Art. 7 Abs. 2 lit. a der Datenbankrichtlinie sein kann, ist noch ungeklärt.
a) In der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass es der Datenbankhersteller aufgrund seines Schutzrechts nicht unterbinden kann, dass seine Daten-bank als Informationsquelle verwendet wird, auch wenn auf diese Weise nach und nach aus der Datenbank wesentliche Teile der Daten als solche in eine andere Datenbank übernommen werden. Das Schutzrecht greift nach dieser Ansicht nur ein, wenn der Datenbankinhalt physisch – d.h. im Wege eines Kopiervorgangs (vgl. dazu Erwgrd 38 der Datenbankrichtlinie) – in seiner Gesamt-heit oder in wesentlichen Teilen auf einen anderen Datenträger übertragen wird (vgl. Schricker/Vogel aaO § 87b UrhG Rdn. 9; Bensinger, Sui-generis Schutz für Datenbanken, 1999, S. 122 f., 186 ff.; Leistner, Der Rechtsschutz von Da-tenbanken im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 144 f., 148 f.; West-kamp, Der Schutz von Datenbanken und Informationssammlungen im britischen und deutschen Recht, 2003, S. 130, 415; vgl. auch Möhring/Nicolini/Decker, UrhG, 2. Aufl., § 87b Rdn. 3; a.A. Wandtke/Bullinger/Thum, UrhR, 2. Aufl., § 87b UrhG Rdn. 35; Dreier in Dreier/Schulze, UrhG, 2. Aufl., § 87b Rdn. 4; Loewenheim/Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, § 43 Rdn. 20; vgl. auch von Lewinski in Walter [Hrsg.], Europäisches Urheberrecht, 2001, Art. 7 Datenbank-RL Rdn. 19; Gaster, Der Rechtsschutz von Datenbanken, 1999, Rdn. 512; ders. in Hoeren/Sieber, Handbuch Multimedia-Recht, Teil 7.8 Rdn. 129, 133 [Stand 2003]). Nach dieser Ansicht hat das Recht des Datenbankher-stellers, Entnahmen zu untersagen, einen anderen Inhalt als das Vervielfälti-gungsrecht des Urhebers, das jede körperliche Festlegung des Werkes – auch in veränderter Form – erfasst, ohne dass es darauf ankommt, ob das Vervielfäl-tigungsstück mechanisch oder in anderer Weise hergestellt wird.
Für diese Ansicht könnten der Wortlaut des Art. 7 Abs. 2 lit. a der Daten-bankrichtlinie, in dem der Begriff der Entnahme definiert wird, und die Ausle-gung dieses Begriffs in der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften „BHB-Pferdewetten“ sprechen (GRUR 2005, 244 Tz 43 ff.).
aa) Dem Hersteller einer Datenbank wird durch das in Art. 7 Abs. 1 der Datenbankrichtlinie geregelte Recht sui generis – anders als dem Urheber einer Datenbank durch Art. 5 lit. a der Richtlinie – nicht die „Vervielfältigung“ (im englischen und französischen Richtlinientext: „reproduction“) vorbehalten, sondern die „Entnahme“ (im englischen und französischen Richtlinientext: „extraction“).
Der Begriff der Entnahme wird in Art. 7 Abs. 2 lit. a der Datenbankrichtlinie definiert als „die ständige oder vorübergehende Übertragung der Gesamt-heit oder eines wesentlichen Teils des Inhalts einer Datenbank auf einen ande-ren Datenträger, ungeachtet der dafür verwendeten Mittel und der Form der Entnahme“. Diese Definition deutet ihrem Wortlaut nach darauf hin, dass eine Entnahme – anders als eine Vervielfältigung – nicht schon dann vorliegt, wenn Daten aus der elektronischen Datenbank nach einer Abfrage von einem Nutzer inhaltlich erfasst und dann nach Abwägung im Einzelnen vom Bildschirm abge-schrieben und in eine andere Datenbank übernommen werden. Der Wortlaut des Art. 7 Abs. 2 lit. a der Datenbankrichtlinie legt vielmehr nahe, dass „Ent-nahme“ einen Vorgang bezeichnet, bei dem eine „Übertragung“ (im englischen Richtlinientext: „transfer“, im französischen Richtlinientext: „transfert“) der in der Datenbank verkörperten Daten auf einen Datenträger (derselben oder auch anderer Art) im Wege von Kopiervorgängen stattfindet (vgl. dazu auch Erwgrd 38 der Richtlinie). Dabei kann sich die Frage stellen, ob auch die Übernahme eines Datenbestandes aus einer geschützten Datenbank durch schlichtes Abschrei-ben von Daten, die in der Datenbank verkörpert sind, als ein solcher Kopiervor-gang anzusehen ist (vgl. dazu Gaster in Hoeren/Sieber aaO Teil 7.8 Rdn. 133).
bb) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Ge-meinschaften ist der Begriff der Entnahme anhand des Ziels auszulegen, das mit dem Schutzrecht sui generis verfolgt wird. Dieses soll den Datenbankher-steller gegen Handlungen des Benutzers schützen, die über dessen begründete Rechte hinausgehen und somit der Investition des Datenbankherstellers scha-den. Es soll dem Datenbankhersteller gewährleisten, dass seine der Erstellung und dem Betrieb der Datenbank gewidmete Investition geschützt wird und er dafür eine Vergütung erhält (vgl. EuGH GRUR 2005, 244 Tz 45 f. – BHB-Pferdewetten – unter Hinweis auf die Erwgrde 42 und 48 der Datenbankrichtli-
nie). Mit Rücksicht auf das Ziel der Richtlinie bezieht sich danach der Begriff der Entnahme auf jede Handlung, die darin besteht, sich ohne die Zustimmung des Datenbankherstellers die Ergebnisse seiner Investition anzueignen oder sie öffentlich verfügbar zu machen und ihm damit die Einkünfte zu entziehen, die es ihm ermöglichen sollen, die Kosten der Investition zu amortisieren (vgl. EuGH GRUR 2005, 244 Tz 51 – BHB-Pferdewetten).
Die Entscheidung „BHB-Pferdewetten“ geht möglicherweise davon aus, dass der Begriff der Entnahme nur Kopierhandlungen umfasst. Gegenstand des Schutzrechts sui generis sind nicht die in der Datenbank gesammelten Daten als solche (vgl. Erwgrde 45 f. der Richtlinie; vgl. Schricker/Vogel aaO § 87a UrhG Rdn. 19; Leistner aaO S. 146 f.). Diese können daher nicht gemeint sein, wenn in Tz 51 der Entscheidung von den Ergebnissen der Investition gespro-chen wird. Auf die Struktur der Datenbank bezieht sich das Schutzrecht eben-falls nicht (vgl. Schricker/Vogel aaO § 87b UrhG Rdn. 9; Bensinger aaO S. 188 f.). Das Ergebnis der Investitionsleistung des Datenbankherstellers ist vielmehr die Datenbank auf einem Datenträger. Darin verkörpert sich seine In-vestitionsleistung in gleicher Weise wie die Investitionsleistung eines Tonträ-gerherstellers in einem Tonträger (vgl. Schricker/Vogel aaO § 85 UrhG Rdn. 18 m.w.N.) oder die Investitionsleistung eines Sendeunternehmens in programm-tragenden Signalen, die an die Öffentlichkeit ausgestrahlt werden (Schri-cker/v. Ungern-Sternberg aaO § 87 UrhG Rdn. 22 f. m.w.N.). Durch (unmittelba-res oder mittelbares) Kopieren der Datenbank von einem Datenträger, auf dem sie gespeichert ist, auf einen anderen Datenträger wird diese Investitionsleis-tung des Datenbankherstellers genutzt.
Dafür, dass das Recht des Datenbankherstellers, die Entnahme der Ge-samtheit oder eines wesentlichen Teils des Inhalts seiner Datenbank zu unter-sagen, auf solche Handlungen beschränkt ist, sprechen weiter die Ausführun-
gen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften in seinem Urteil „BHB-Pferdewetten“ zu der Frage, ob der Datenbankhersteller nur gegen unzulässige Entnahmen geschützt ist, mit denen unmittelbar auf die Ursprungsdatenbank zugegriffen wird (GRUR 2005, 244 Tz 52 ff.). Der Gerichtshof legt dar, dass sich das Schutzrecht des Datenbankherstellers auch auf unzulässige Kopierhandlungen bezieht, die von einer Kopie seiner Datenbank aus vorgenommen werden. Dieser Erörterung hätte es nicht bedurft, wenn davon auszugehen wäre, dass die in der Datenbank gespeicherten Daten bereits als solche durch das Schutzrecht sui generis gegen Entnahme geschützt seien und nicht lediglich unter der Voraussetzung, dass die Entnahme durch (physische) Übertragung der verkörperten Daten auf einen anderen Datenträger stattfindet. Dementsprechend betont der Gerichtshof in diesem Zusammenhang auch, dass sich das Schutzrecht nicht auf Handlungen erstreckt, mit denen eine Datenbank abgefragt wird (vgl. EuGH GRUR 2005, 244 Tz 54 – BHB-Pferdewetten).
b) Die Auslegung des Begriffs der Entnahme hängt letztlich davon ab, welchen Schutzgegenstand das Schutzrecht sui generis hat.
Nach einer Ansicht bezieht sich das Schutzrecht sui generis auf den Inhalt der Datenbank (somit auf die gesammelten Daten selbst), indem es die Gesamtheit dieser Daten oder wesentliche Teile davon gegen unerlaubte Ent-nahme schützt (vgl. österr. OGH GRUR Int. 2002, 940, 941 – Gelbe Seiten, m.w.N.). Damit übereinstimmend wird teilweise der Schutzgegenstand des Datenbankherstellerrechts bestimmt als die Gesamtheit des unter wesentlichem Investitionsaufwand gesammelten, geordneten und einzeln zugänglich gemach-ten Inhalts der Datenbank als immaterielles Gut (vgl. Wandtke/Bullinger/Thum aaO Vor §§ 87a ff. UrhG Rdn. 22; Dreier in Dreier/Schulze aaO Vor §§ 87a ff. UrhG Rdn. 1 f.; vgl. weiter Grützmacher, Urheber-, Leistungs- und Sui-generis-Schutz von Datenbanken, 1999, S. 329 f.; Beneke, CR 2004, 608, 611). Von
diesem Verständnis des Schutzgegenstands ausgehend, kann eine Entnahme im Sinne des Art. 7 Abs. 2 lit. a der Datenbankrichtlinie auch dann gegeben sein, wenn Elemente der Datenbank lediglich als Daten übernommen werden.
Eine andere Ansicht geht davon aus, dass das Schutzrecht sui generis kein Recht an den Informationen geben soll, die in der Datenbank gespeichert sind. Der Schutz der Investitionsleistung des Datenbankherstellers knüpft nach dieser Ansicht daran an, dass die Datenbank als hergestelltes Gut auf einem Trägermedium verkörpert ist (vgl. dazu auch die Schlussanträge der General-anwältin Stix-Hackl in der Rechtssache C-338/02 Tz 31). Als Schutzgegenstand des Datenbankherstellerrechts wird dementsprechend die auf einem Trägermedium festgelegte Datenbank als Erscheinungsform des unter wesentlichem Investitionsaufwand gesammelten, geordneten und einzeln zugänglich gemach-ten Inhalts als immaterielles Gut angesehen (vgl. Schricker/Vogel aaO § 87a UrhG Rdn. 19; in diesem Sinn auch Leistner aaO S. 144 ff., insb. S. 148 f.; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 3. Aufl., Rdn. 665; ders., MMR 2001, 9, 12). Aus diesem Verständnis des Schutzgegenstands folgt, dass der Schutz gegen Entnahme ein (unmittelbares oder mittelbares) Kopieren der auf dem Trägermedium verkörperten Datenbank voraussetzt und nicht eingreift, wenn die Datenbank nur als Informationsquelle – und sei es auch in sehr erheb-lichem Umfang – benutzt wird. Ein solches Verständnis des Begriffs der Ent-nahme könnte eher dem Interesse an Rechtssicherheit entsprechen, weil Nutzer von Daten, die diese nicht unmittelbar der Datenbank selbst, sondern abge-leiteten Quellen entnehmen, vielfach kaum erkennen können, ob und gegebe-nenfalls in welcher Weise die Daten einer geschützten Datenbank entstammen,
insbesondere ob sie aus der Datenbank als deren wesentlicher Teil oder im Wege einer unzulässigen wiederholten und systematischen Entnahme über-nommen worden sind.
Vorinstanzen:
LG Mannheim, Entscheidung vom 23.01.2004 – 7 O 262/03 –
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 28.07.2004 – 6 U 37/04 –