EuGH: Chiemsee

EuGH, Urteil vom 04.05.1999 – C-108/97 und C-109/97 – Chiemsee (1)
Richtlinie 89/104/EWG — Marken — Geographische Herkunftsangaben

1. Nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken

— ist nicht nur die Eintragung solcher geographischer Bezeichnungen als Marken verboten, die Orte bezeichnen, die von den beteiligten Verkehrskreisen aktuell mit der betreffenden Warengruppe in Verbindung gebracht werden, sondern auch solcher geographischer Bezeichnungen, die zukünftig von den betroffenen Unternehmen als Herkunftsangabe für die betreffende Warengruppe verwendet werden können;

— muß die zuständige Behörde in den Fällen, in denen die betreffende geographische Bezeichnung von den beteiligten Verkehrskreisen aktuell nicht mit der betroffenen Warengruppe in Verbindung gebracht wird, prüfen, ob vernünftigerweise zu erwarten ist, daß mit einer solchen Bezeichnung nach Auffassung dieser Kreise die geographische Herkunft dieser Warengruppe bezeichnet werden kann;

— ist bei dieser Prüfung insbesondere von Belang, inwieweit den beteiligten Verkehrskreisen die betreffende geographische Bezeichnung bekannt ist und welche Eigenschaften der bezeichnete Ort und die betreffende Warengruppe haben;

— beruht die Verbindung zwischen der betreffenden Ware und dem geographischen Ort nicht notwendigerweise auf der Herstellung der Ware an diesem Ort.

2. Nach Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG

— besagt die durch Benutzung erworbene Unterscheidungskraft der Marke, daß die Marke geeignet ist, die Ware, für die die Eintragung beantragt wird, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und diese Ware damit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden;

— ist eine Differenzierung der Unterscheidungskraft nach dem festgestellten Interesse daran, die geographische Bezeichnung für die Benutzung durch andere Unternehmen freizuhalten, nicht zulässig;

— hat die zuständige Behörde bei der Feststellung, ob eine Marke infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat, in einer Gesamtschau die Gesichtspunkte zu prüfen, die zeigen können, daß die Marke die Eignung erlangt hat, die betreffende Ware als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und diese Ware somit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden;

— muß die zuständige Behörde, wenn sie zu der Auffassung gelangt, daß ein erheblicher Teil der beteiligten Verkehrskreise die Ware aufgrund der Marke als von einem bestimmten Unternehmen stammend erkennt, daraus folgern, daß die Voraussetzung für die Eintragung der Marke erfüllt ist;

— verbietet das Gemeinschaftsrecht nicht, daß die zuständige Behörde, wenn sie bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft der Marke, deren Eintragung beantragt wird, auf besondere Schwierigkeiten stößt, diese Frage nach Maßgabe ihres nationalen Rechts durch eine Verbraucherbefragung klären läßt.

In den verbundenen Rechtssachen C-108/97 und C-109/97

betreffend zwei dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG (früher Artikel 177) vom Landgericht München I in den bei diesem anhängigen Rechtsstreitigkeiten

Windsurfing Chiemsee Produktions- und Vertriebs GmbH (WSC)

gegen

Boots- und Segelzubehör Walter Huber (C-108/97),

Franz Attenberger (C-109/97)

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 3 Absätze 1 Buchstabe c und 3 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1)

erläßt

DER GERICHTSHOF

unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten P. J. G. Kapteyn, J.-P. Puissochet, G. Hirsch und P. Jann sowie der Richter G. F. Mancini, J. C. Moitinho de Almeida, C. Gulmann (Berichterstatter) und D. A. O. Edward,

Generalanwalt: G. Cosmas

Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

— der Windsurfing Chiemsee Produktions- und Vertriebs GmbH (WSC), vertreten durch Rechtsanwalt Stephan Gruber, München,

— der Firma Boots- und Segelzubehör Walter Huber, vertreten durch Rechtsanwalt Michael Nieder, München,

— des Franz Attenberger, vertreten durch Rechtsanwalt Richard Schönwerth, München,

— der italienischen Regierung, vertreten durch Professor Umberto Leanza, Leiter des Servizio del contenzioso diplomatico des Außenministeriums, als Bevollmächtigten, im Beistand von Avvocato dello Stato Oscar Fiumara,

— der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Jan Berend Drijber, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten, im Beistand von Rechtsanwalt Bertrand Wägenbaur, Brüssel,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Windsurfing Chiemsee Produktions- und Vertriebs GmbH (WSC), der Firma Boots- und Segelzubehör Walter Huber, des Franz Attenberger und der Kommission in der Sitzung vom 3. März 1998,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 5. Mai 1998,

folgendes

Urteil

1.
Das Landgericht München I hat mit zwei Beschlüssen vom 8. Januar 1997, beim Gerichtshof eingegangen am 14. März 1997, gemäß Artikel 234 EG (früher Artikel 177) Fragen nach der Auslegung des Artikels 3 Absätze 1 Buchstabe c und 3 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung

der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1; im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2.
Diese Fragen stellen sich in zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen der Windsurfing Chiemsee Produktions- und Vertriebs GmbH (WSC) (im folgenden: Klägerin) und den Beklagten, der Firma Boots- und Segelzubehör Walter Huber (im folgenden: Huber) und Franz Attenberger, über die Benutzung der Bezeichnung „Chiemsee“ für den Verkauf von Sportbekleidung durch die letztgenannten.

Die gemeinschaftsrechtliche Regelung

3.
Artikel 2 — Markenformen — der Richtlinie bestimmt:

„Marken können alle Zeichen sein, die sich graphisch darstellen lassen, insbesondere Wörter einschließlich Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen und die Form oder Aufmachung der Ware, soweit solche Zeichen geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von demjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden.“

4.
Artikel 3 — Eintragungshindernisse — Ungültigkeitsgründe — der Richtlinie sieht vor:

„(1) Folgende Zeichen oder Marken sind von der Eintragung ausgeschlossen oder unterliegen im Falle der Eintragung der Ungültigerklärung:

a) Zeichen, die nicht als Marke eintragungsfähig sind,

b) Marken, die keine Unterscheidungskraft haben,

c) Marken, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, welche im Verkehr zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Menge, der Bestimmung, des Wertes, der geographischen Herkunft oder der Zeit der Herstellung der Ware oder der Erbringung der Dienstleistung oder zur Bezeichnung sonstiger Merkmale der Ware oder Dienstleistung dienen können,

d) Marken, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, die im allgemeinen Sprachgebrauch oder in den redlichen und ständigen Verkehrsgepflogenheiten üblich sind,

g) Marken, die geeignet sind, das Publikum zum Beispiel über die Art, die Beschaffenheit oder die geographische Herkunft der Ware oder Dienstleistung zu täuschen,

(3) Eine Marke wird nicht gemäß Absatz 1 Buchstabe b), d) oder d) von der Eintragung ausgeschlossen oder für ungültig erklärt, wenn sie vor der Anmeldung infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft erworben hat. Die Mitgliedstaaten können darüber hinaus vorsehen, daß die vorliegende Bestimmung auch dann gilt, wenn die Unterscheidungskraft erst nach der Anmeldung oder Eintragung erworben wurde.“

5.
Artikel 6 — Beschränkung der Wirkungen der Marke — der Richtlinie bestimmt:

„(1) Die Marke gewährt ihrem Inhaber nicht das Recht, einem Dritten zu verbieten,

b) Angaben über die Art, die Beschaffenheit, die Menge, die Bestimmung, den Wert, die geographische Herkunft oder die Zeit der Herstellung der Ware oder der Erbringung der Dienstleistung oder über andere Merkmale der Ware oder Dienstleistung,

im geschäftlichen Verkehr zu benutzen, sofern die Benutzung den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel entspricht.“

6.
Artikel 15 — Besondere Bestimmungen für Kollektiv-, Garantie- oder Gewährleistungsmarken — der Richtlinie sieht in Absatz 2 folgendes vor:

„Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c) können die Mitgliedstaaten vorsehen, daß Zeichen oder Angaben, welche im Verkehr zur Bezeichnung der geographischen Herkunft der Ware oder Dienstleistung dienen können, Kollektiv-, Garantie- oder Gewährleistungsmarken darstellen können. Eine solche Marke berechtigt den Inhaber nicht dazu, einem Dritten die Benutzung solcher Zeichen oder Angaben im geschäftlichen Verkehr zu untersagen, sofern die Benutzung den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel entspricht; insbesondere kann eine solche Marke einem Dritten, der zur Benutzung einer geographischen Bezeichnung berechtigt ist, nicht entgegengehalten werden.“

Die innerstaatliche Regelung

7.
Durch das Markengesetz (MarkenG), das seit dem 1. Januar 1995 gilt, wurde die Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt. Nach § 8 Absatz 2 Nr. 2 MarkenG sind von der Eintragung ausgeschlossen Marken, „die ausschließlich aus … Angaben bestehen, die im Verkehr zur Bezeichnung … der geographischen Herkunft … oder zur Bezeichnung sonstiger Merkmale der Waren … dienen können“.

8.
Gemäß § 8 Absatz 3 MarkenG findet § 8 Absatz 2 Nr. 2 keine Anwendung, „wenn die Marke sich vor dem Zeitpunkt der Entscheidung über die Eintragung infolge ihrer Benutzung für die Waren …, für die sie angemeldet worden ist, in den beteiligten Verkehrskreisen durchgesetzt hat“.

Die Ausgangsverfahren und die Vorabentscheidungsfragen

9.
Der Chiemsee ist mit seiner Fläche von 80 km2 der größte See Bayerns. Er ist ein Anziehungspunkt für den Fremdenverkehr; auf ihm wird u. a. der Windsurfsport ausgeübt. In seiner Umgebung, dem Chiemgau, wird hauptsächlich Landwirtschaft betrieben.

10.
Die am Chiemsee ansässige Klägerin vertreibt sportliche Modekleidung und Schuhe sowie weitere Sportartikel, die von einer ebenfalls am Chiemsee ansässigen Schwestergesellschaft entworfen und anderswo hergestellt werden. Diese Artikel tragen die Bezeichnung „Chiemsee“. In den Jahren 1992 bis 1994 hat die Klägerin diese Bezeichnung — in unterschiedlicher graphischer Aufmachung und teilweise mit Zusätzen bzw. mit anderen Wörtern zusammengesetzt, wie z. B. „Chiemsee Jeans“ oder „Windsurfing — Chiemsee — Active Wear“ — in Deutschland als Bildzeichen eintragen lassen.

11.
Nach Vorlagebeschlüssen gibt es keine deutsche Marke, durch die die Bezeichnung „Chiemsee“ als solche geschützt wird. Die für die Eintragung zuständigen deutschen Behörden haben das Wort „Chiemsee“ bisher als Angabe, die zur Bezeichnung der geographischen Herkunft dienen kann, und daher als nicht als Marke eintragungsfähig angesehen. Dagegen haben sie die besonderen graphischen Gestaltungen des Wortes „Chiemsee“ und die graphischen Zusätze als Bildzeichen eingetragen.

12.
Die Beklagte Huber vertreibt seit 1995 in einem am Chiemsee gelegenen Ort Sporttextilien wie T-Shirts und Sweat-shirts unter der Bezeichnung „Chiemsee“, jedoch in einer anderen graphischen Aufmachung als die Marken, die die Waren der Klägerin kennzeichnen.

13.
Der Beklagte Attenberger vertreibt in der Umgebung des Chiemsees gleichartige Sporttextilien, die er ebenfalls mit dem Wort „Chiemsee“ bezeichnet, wobei aber auch er graphische Aufmachungen und bei einigen Erzeugnissen Zusätze verwendet, die sich von denjenigen der Klägerin unterscheiden.

14.
In den Ausgangsrechtsstreitigkeiten wendet sich die Klägerin gegen die Verwendung der Kennzeichnung „Chiemsee“ durch die Beklagten. Sie macht geltend, trotz der Unterschiede in der graphischen Ausgestaltung der Bildzeichen, mit denen die betroffenen Erzeugnisse gekennzeichnet würden, bestehe die Gefahr der Verwechslung mit ihrer jedenfalls seit 1990 benutzten, im Verkehr bekannten „Chiemsee“-Kennzeichnung.

15.
Die Beklagten berufen sich demgegenüber darauf, daß das Wort „Chiemsee“ als freizuhaltende Angabe über die geographische Herkunft nicht schutzfähig sei, so daß seine Verwendung in anderer geographischer Ausgestaltung als derjenigen der Klägerin eine Verwechslungsgefahr nicht begründen könne.

16.
In seinen Vorlagebeschlüssen führt das Landgericht München I aus:

— Bestehe eine Marke aus einer beschreibenden Angabe im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie, die in einer nicht alltäglichen Weise graphisch ausgestaltet sei, so beruhe die Kennzeichnungskraft und der Schutzumfang dieser Marke allein auf den schutzfähigen besonderen graphischen Bestandteilen. Nur die Ähnlichkeit mit diesen könnte Verwechslungsgefahr begründen, nicht die Übereinstimmung der beschreibenden Bestandteile.

— Auch wenn die zuständige Behörde eine Marke nur wegen der eigenartigen graphischen Ausgestaltung eines als solchen als schutzunfähig angesehenen Wortes eingetragen habe, könne das Verletzungsgericht dafürhalten, daß auch das Wort selbst schutzfähig sei, und den „Gesamteindruck“ und die Kennzeichnungskraft der Klagemarke abweichend von der Eintragungsbehörde festlegen.

— Für die Entscheidung über die Ausgangsrechtsstreitigkeiten sei von Bedeutung, ob und inwieweit die Auslegung des Artikels 3 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie durch ein „Freihaltebedürfnis“ beeinflußt oder eingeschränkt werde, das nach der deutschen Rechtsprechung konkret, aktuell oder ernsthaft sein müsse. Wäre kein „ernsthaftes Freihaltebedürfnis“ zu berücksichtigen und zu prüfen, so fiele das Wort „Chiemsee“ ohne weiteres unter Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c, da es zur Bestimmung der geographischen Herkunft von Textilien jedenfalls dienen könne. Wäre dagegen auf ein „ernsthaftes Freihaltebedürfnis“ abzustellen, so müßte auch in Betracht gezogen werden, daß es am Chiemsee keine Textilindustrie gebe. Die Produkte der Klägerin würden zwar am Chiemsee noch entworfen, aber im Ausland hergestellt.

— Darüber hinaus stelle sich gegebenenfalls die Frage, ob das Wort „Chiemsee“ infolge seiner Benutzung als Marke ohne Eintragung gemäß § 4 Nr. 2 MarkenG geschützt werden könne. Da die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschrift notwendigerweise erfüllt seien, wenn die Voraussetzungen des § 8 Absatz 3 MarkenG ebenfalls vorlägen, sei eine Auslegung des Artikels 3 Absatz 3 der Richtlinie, der der letztgenannten Vorschrift zugrunde liege, geboten.

— Es stelle sich daher die Frage, ob sich aus Artikel 3 Absatz 3 der Richtlinie ergebe, daß ein Zeichen eintragungsfähig sei, wenn es so lange und in solchem Umfang als Marke benutzt worden sei, daß es in nicht

unerheblichen Verkehrskreisen als Marke verstanden werde, oder ob — wie der deutsche Gesetzgeber durch die Verwendung des Begriffes „Verkehrsdurchsetzung“ in § 8 Absatz 3 MarkenG nahegelegt habe — die bis jetzt in der deutschen Praxis gestellten strengen Anforderungen weiter Geltung hätten, was u. a. bedeute, daß der Grad der erforderlichen Verkehrsdurchsetzung sich je nach dem Freihalteinteresse in bezug auf die Bezeichnung ändere.

17.
Das Landgericht München I hält daher eine Auslegung der Markenrichtlinie für erforderlich; es hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Fragen zu Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c

Ist Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c so zu verstehen, daß es genügt, wenn die Möglichkeit einer Verwendung der Bezeichnung zur Bestimmung der geographischen Herkunft besteht, oder muß diese Möglichkeit konkret naheliegend sein (in dem Sinne, daß bereits andere derartige Unternehmen zur Bezeichnung der geographischen Herkunft ihrer gleichartigen Waren sich dieses Wortes bedienen oder wenigstens konkrete Anhaltspunkte vorliegen, daß dies in absehbarer Zukunft zu erwarten ist) oder muß sogar ein Bedürfnis bestehen, diese Bezeichnung zum Hinweis auf die geographische Herkunft der in Frage stehenden Waren zu verwenden, oder muß darüber hinaus auch noch ein qualifiziertes Bedürfnis für die Verwendung dieser Herkunftsbezeichnung bestehen, weil etwa Waren dieser Art, die in dieser Region hergestellt werden, ein besonderes Ansehen genießen?

Kommt für die weitere oder engere Auslegung von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c bezüglich geographischer Herkunftsangaben dem Umstand Bedeutung zu, daß die Wirkungen der Marke nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe b beschränkt sind?

Fallen unter die geographischen Herkunftsangaben des Artikels 3 Absatz 1 Buchstabe c nur solche, die sich auf die Herstellung der Ware an diesem Ort beziehen, oder genügt der Handel mit diesen Waren an diesem Ort oder von diesem Ort aus, oder genügt es im Falle der Herstellung von Textilien, wenn diese in der bezeichneten Region entworfen, dann aber im Lohnherstellungsverfahren anderswo hergestellt werden?

2. Fragen zu Artikel 3 Absatz 3 Satz 1:

Welche Anforderungen ergeben sich aus dieser Vorschrift für die Eintragungsfähigkeit einer beschreibenden Bezeichnung nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c?

Insbesondere: Sind die Anforderungen in allen Fällen gleich, oder sind die Anforderungen unterschiedlich je nach dem Grad des vorliegenden Freihaltebedürfnisses?

Ist insbesondere die bisherige Auffassung der deutschen Rechtsprechung mit dieser Bestimmung vereinbar, daß bei beschreibenden Bezeichnungen, an denen ein Freihaltebedürfnis besteht, eine Verkehrsdurchsetzung in mehr als 50 % der beteiligten Verkehrskreise erforderlich und nachzuweisen sei?

Ergeben sich aus dieser Bestimmung Anforderungen an die Art und Weise, wie die durch Benutzung erlangte Unterscheidungskraft festzustellen ist?

18.
Mit Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 8. Juli 1997 sind die beiden Rechtssachen zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

Die Fragen zu Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie

19.
Diese Fragen des vorlegenden Gerichts, die zusammen zu prüfen sind, gehen dahin, unter welchen Voraussetzungen Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie der Eintragung einer Marke entgegensteht, die ausschließlich aus einer geographischen Bezeichnung besteht. Das vorlegende Gericht fragt insbesondere,

— ob die Anwendung des Artikels 3 Absatz 1 Buchstabe c davon abhängig ist, ob ein konkretes, aktuelles oder ernsthaftes Freihaltebedürfnis vorliegt, und

— welcher Zusammenhang zwischen dem geographischen Ort und den Erzeugnissen bestehen muß, für die die Eintragung der geographischen Bezeichnung dieses Ortes als Marke beantragt wird.

20.
Die Klägerin macht geltend, Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie schließe die Eintragung einer geographischen Herkunftsangabe als Marke nur dann aus, wenn diese Angabe einen bestimmten Ort genau definiere, wenn mehrere Unternehmen dort Waren herstellten, für die der Schutz beantragt werde und wenn die Nennung des Ortes üblicherweise erfolge, um die geographische Herkunft der betreffenden Erzeugnisse zu bezeichnen.

21.
Die Beklagten tragen vor, die ernsthaft in Betracht kommende Möglichkeit der zukünftigen Verwendung einer Bezeichnung zur Bestimmung der geographischen Herkunft reiche aus, um die Eintragung dieser Bezeichnung als Marke nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie auszuschließen. Diese Vorschrift betreffe nicht nur Herkunftsangaben, die sich auf die Herstellung der Waren bezögen.

22.
Die italienische Regierung trägt vor, die Möglichkeit, eine geographische Herkunftsangabe zur Bezeichnung von Erzeugnissen zu verwenden, die auf irgendeine Weise mit einem bestimmten Ort verbunden seien, müsse — sei es für

die Produktion oder den Handel — in das Ermessen jedes einzelnen Unternehmens gestellt werden. Für die Anwendung des Artikels 3 Absatz 1 Buchstabe c komme es auf die bloße Möglichkeit einer Verwendung der Angabe zur Bezeichnung einer geographischen Herkunft an, und es scheine keine besonders qualifizierte Möglichkeit für die Anwendung dieser Vorschrift erforderlich zu sein.

23.
Die Kommission ist der Ansicht, Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c sei dahin auszulegen, daß der Eintritt eines Eintragungshindernisses nicht davon abhänge, ob im Einzelfall ein konkretes bzw. ernsthaftes Freihaltebedürfnis Dritter bestehe. Bei modischer Sportkleidung gehörten zu den geographischen Herkunftsangaben im Sinne des Artikels 3 Absatz 1 Buchstabe c der Ort oder die Region, in der diese Artikel entworfen worden seien oder wo gegebenenfalls das Unternehmen ansässig sei, das die Herstellung dieser Artikel in Auftrag gegeben habe.

24.
Nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie sind von der Eintragung beschreibende Marken ausgeschlossen, d. h. Marken, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, welche im Verkehr zur Bezeichnung der Merkmale der Waren- oder Dienstleistungsgruppen dienen können, für die diese Eintragung beantragt wird.

25.
Damit verfolgt Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie das im Allgemeininteresse liegende Ziel, daß Zeichen oder Angaben, die die Waren- oder Dienstleistungsgruppen beschreiben, für die die Eintragung beantragt wird, von allen frei verwendet werden können, und zwar auch als Kollektivmarken oder in Kombinationsmarken oder Bildmarken. Diese Vorschrift erlaube daher nicht, daß solche Zeichen oder Angaben aufgrund ihrer Eintragung als Marke einem Unternehmen vorbehalten werden.

26.
Namentlich an der Freihaltung von Zeichen oder Angaben, die zur Bezeichnung der geographischen Herkunft der Warengruppen, für die die Eintragung der Marke beantragt wird, dienen können, vor allem von geographischen Bezeichnungen, besteht ein Allgemeininteresse, das insbesondere darauf beruht, daß diese Zeichen oder Angaben nicht nur die Qualität und andere Eigenschaften der betroffenen Warengruppen anzeigen, sondern auch die Vorlieben der Verbraucher in anderer Weise, etwa dadurch beeinflussen können, daß diese eine Verbindung zwischen den Waren und einem Ort herstellen, mit dem sie positiv besetzte Vorstellungen verbinden.

27.
Dieses Allgemeininteresse, das der Vorschrift zugrunde liegt, um deren Auslegung das vorlegende Gericht ersucht, wird im übrigen auch dadurch belegt, daß die Mitgliedstaaten nach Artikel 15 Absatz 2 der Richtlinie abweichend von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c vorsehen können, daß Zeichen oder Angaben, die zur Bezeichnung der geographischen Herkunft der Ware dienen können, Kollektivmarken darstellen können.

28.
Auch Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie, auf den das vorlegende Gericht in seinen Fragen Bezug nimmt, widerspricht diesen Ausführungen zum Ziel des Artikels 3 Absatz 1 Buchstabe c nicht und hat im übrigen auch keinen ausschlaggebenden Einfluß auf die Auslegung dieser Vorschrift. Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe b, der u. a. den Fall regeln soll, daß eine Marke, die ganz oder zum Teil aus einer geographischen Bezeichnung besteht, eingetragen worden ist, räumt Dritten nicht das Recht ein, eine solche Bezeichnung als Marke zu verwenden, sondern nur das Recht, die Bezeichnung beschreibend, d. h. als Angabe über die geographische Herkunft, zu benutzen, sofern die Benutzung den anerkannten Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel entspricht.

29.
Weiter verbietet Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie die Eintragung von geographischen Bezeichnungen als Marken nicht nur, wenn sie bestimmte geographische Orte bezeichnen, die für die betroffene Warengruppe bereits berühmt oder bekannt sind und die daher von den beteiligten Verkehrskreisen, also vom Handel und vom Durchschnittsverbraucher dieser Warengruppe, in dem Gebiet, für das die Eintragung beantragt wird, mit dieser Warengruppe in Verbindung gebracht wird.

30.
Schon aus dem Wortlaut des Artikels 3 Absatz 1 Buchstabe c, in dem von „Angaben …, welche … zur Bezeichnung … der geographischen Herkunft … dienen können“, die Rede ist, geht nämlich hervor, daß auch geographische Bezeichnungen, die von Unternehmen verwendet werden können, für diese als geographische Herkunftsangaben für die betreffende Warengruppe freigehalten werden müssen.

31.
Nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie muß die zuständige Behörde daher prüfen, ob eine geographische Bezeichnung, für die die Eintragung als Marke beantragt wird, einen Ort bezeichnet, der von den beteiligten Verkehrskreisen gegenwärtig mit der betreffenden Warengruppe in Verbindung gebracht wird oder ob dies vernünftigerweise für die Zukunft zu erwarten ist.

32.
Für die Frage, ob im letztgenannten Fall eine geographische Bezeichnung nach der Auffassung der beteiligten Verkehrskreise die Herkunft der betroffenen Warengruppe zu bezeichnen geeignet ist, ist insbesondere von Belang, inwieweit diesen Kreisen diese Bezeichnung sowie die Eigenschaften des bezeichneten Ortes und die betreffende Warengruppe mehr oder weniger gut bekannt sind.

33.
Dabei steht Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie grundsätzlich der Eintragung von geographischen Bezeichnungen, die den beteiligten Verkehrskreisen nicht oder zumindest nicht als Bezeichnung eines geographischen Ortes bekannt sind, oder auch von Bezeichnungen nicht entgegen, bei denen es wegen der Eigenschaften des bezeichneten Ortes (z. B. eines Berges oder eines Sees) wenig wahrscheinlich ist, daß die beteiligten Verkehrskreise annehmen könnten, daß die betreffende Warengruppe von diesem Ort stammt.

34.
Jedoch ist nicht ausgeschlossen, daß mit dem Namen eines Sees eine geographische Herkunft im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c selbst bei Waren wie den in den Ausgangsverfahren streitigen bezeichnet werden kann, sofern dieser Name von den beteiligten Verkehrskreisen dahin verstanden werden kann, daß er die Ufer des Sees oder dessen Umgebung einschließt.

35.
Nach alledem setzt die Anwendung des Artikels 3 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie nicht voraus, daß ein konkretes, aktuelles oder ernsthaftes Freihaltebedürfnis im Sinne der in Randnummer 16, dritter Gedankenstrich, dieses Urteils dargestellten deutschen Rechtsprechung besteht.

36.
Schließlich ist die Angabe der geographischen Herkunft der Ware im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie zwar üblicherweise die Angabe des Ortes, wo die Ware hergestellt worden ist oder hergestellt werden könnte; es kann aber nicht ausgeschlossen werden, daß die Verbindung zwischen der Warengruppe und dem geographischen Ort auf anderen Anknüpfungspunkten beruht, z. B. dem Umstand, daß die Ware an dem betreffenden geographischen Ort entworfen worden ist.

37.
Nach alledem ist auf die Fragen zu Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie zu antworten, daß nach dieser Vorschrift

— nicht nur die Eintragung solcher geographischer Bezeichnungen als Marken verboten ist, die Orte bezeichnen, die von den beteiligten Verkehrskreisen aktuell mit der betreffenden Warengruppe in Verbindung gebracht werden, sondern auch solcher geographischer Bezeichnungen, die zukünftig von den betroffenen Unternehmen als Herkunftsangabe für die betreffende Warengruppe verwendet werden können;

— die zuständige Behörde in den Fällen, in denen die betreffende geographische Bezeichnung von den beteiligten Verkehrskreisen aktuell nicht mit der betroffenen Warengruppe in Verbindung gebracht wird, prüfen muß, ob vernünftigerweise zu erwarten ist, daß mit einer solchen Bezeichnung nach Auffassung dieser Kreise die geographische Herkunft dieser Warengruppe bezeichnet werden kann;

— bei dieser Prüfung insbesondere von Belang ist, inwieweit den beteiligten Verkehrskreisen die betreffende geographische Bezeichnung bekannt ist und welche Eigenschaften der bezeichnete Ort und die betreffende Warengruppe haben;

— die Verbindung zwischen der betreffenden Ware und dem geographischen Ort nicht notwendigerweise auf der Herstellung der Ware an diesem Ort beruht.

Die Fragen zu Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 der Richtlinie

38.
Diese Fragen des vorlegenden Gerichts gehen dahin, welchen Anforderungen im Rahmen des Artikels 3 Absatz 3 Satz 1 der Richtlinie die durch Benutzung erlangte Unterscheidungskraft einer Marke entsprechen muß. Insbesondere fragt das vorlegende Gericht, ob die Anforderungen je nach dem Grad des vorliegenden Freihaltebedürfnisses unterschiedlich sind und ob sich aus dieser Vorschrift Anforderungen an die Art und Weise ergeben, wie die durch Benutzung erlangte Unterscheidungskraft festzustellen ist.

39.
Die Klägerin trägt vor, das nach Artikel 3 Absatz 3 erforderliche Maß der Unterscheidungskraft sei das gleiche wie das ursprünglich bei der Eintragung der Marke geforderte; aus diesem Grund sei das Freihaltebedürfnis unerheblich. Eine besondere Durchsetzung bei den beteiligten Verkehrskreisen sei nicht erforderlich. Bei der Feststellung der durch Benutzung erworbenen Unterscheidungskraft seien alle Beweismittel zuzulassen und zu würdigen, u. a. solche, die den Umsatz der Marke, Werbeaufwendungen und die Berichterstattung in der Presse beträfen.

40.
Die Beklagte Huber macht geltend, Artikel 3 Absatz 3 der Richtlinie und § 8 Absatz 3 MarkenG stellten „die beiden Seiten ein und derselben Medaille“ dar: Wo die erstgenannte Vorschrift das Ergebnis, d. h. den Erwerb der Unterscheidungskraft, benenne, stelle die zweite darauf ab, auf welche Weise dieses Ergebnis erzielt worden sei, d. h. durch die Durchsetzung der Marke als Unterscheidungszeichen in den beteiligten Verkehrskreisen. Die Möglichkeit einer Eintragung einer beschreibenden Bezeichnung hänge vom Einzelfall und insbesondere vom Ausmaß des bestehenden Freihaltebedürfnisses ab. Daß bei beschreibenden Bezeichnungen eine Durchsetzung bei mehr als 50 % der beteiligten Verkehrskreise vorliegen müsse, sei mit Artikel 3 Absatz 3 der Richtlinie vereinbar. Darüber hinaus sei die Methode, nach der die Durchsetzung der Marke festzustellen sei, Sache des nationalen Rechts.

41.
Der Beklagte Attenberger ist der Auffassung, die Anforderungen an die Unterscheidungskraft im Sinne von Artikel 3 Absatz 3 der Richtlinie seien andere als diejenigen des Artikels 3 Absatz 1 Buchstabe b; der Begriff Unterscheidungskraft habe dieselbe Bedeutung wie der Begriff „Verkehrsdurchsetzung“ im Sinne des § 8 Absatz 3 MarkenG. Eine beschreibende Marke habe durch Benutzung Unterscheidungskraft erworben, wenn mindestens 50 % der beteiligten Verkehrskreise in dem gesamten betreffenden Mitgliedstaat das benutzte Zeichen als eine Identifizierung des Unternehmenszeichens verstünden. Der erforderliche Grad der Verkehrsdurchsetzung sei abhängig von der Stärke des bestehenden Freihaltebedürfnisses. Es sei Sache des angerufenen Gerichts, im Rahmen der Bestimmungen des nationalen Verfahrensrechts zu entscheiden, nach welcher Methode eine durch Benutzung erworbene Unterscheidungskraft festzustellen sei.

42.
Die italienische Regierung trägt vor, wenn eine Marke, die eine geographische Bezeichnung enthalte, durch die Benutzung unabhängig von ihrer graphischen Aufmachung eindeutige Unterscheidungskraft erworben habe, gebe es keinen Grund, dem Markeninhaber den größtmöglichen Schutz zu verweigern, auch wenn dieser auf Kosten der Freiheit Dritter gehe; eine solche Prüfung, die mangels genauer Angaben in der Richtlinie Sorgfalt erfordere, müsse dem nationalen Gericht überlassen bleiben.

43.
Die Kommission ist der Ansicht, daß eine Marke infolge ihrer Benutzung gemäß Artikel 3 Absatz 3 der Richtlinie Unterscheidungskraft erworben habe, wenn der Verbraucher die betreffende Angabe vor der Eintragung als Marke angesehen habe; auf das Freihaltebedürfnis komme es dabei nicht an. Zur Feststellung der Unterscheidungskraft bedürfe es einer einzelfallbezogenen Prüfung, ohne daß es auf die Verkehrsdurchsetzung in mehr als 50 % der beteiligten Verkehrskreise ankomme. Neben demoskopischen Gutachten kämen z. B. auch Erklärungen von Industrie- und Handelskammern, von Berufsverbänden und von Sachverständigen in Betracht.

44.
Zum einen kann ein Zeichen gemäß Artikel 3 Absatz 3 der Richtlinie infolge seiner Benutzung eine Unterscheidungskraft erlangen, die es ursprünglich nicht hatte, und daher als Marke eingetragen werden. Das Zeichen erwirbt also durch seine Benutzung die Unterscheidungskraft, die Voraussetzung für seine Eintragung ist.

45.
Diese Vorschrift schwächt also die Regel des Artikels 3 Absatz 1 Buchstaben b, c und d, daß Marken ohne Unterscheidungskraft, beschreibende Marken und Marken, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, die im allgemeinen Sprachgebrauch oder in den redlichen und ständigen Verkehrsgepflogenheiten üblich sind, von der Eintragung ausgeschlossen sind, erheblich ab.

46.
Zum anderen besagt die infolge der Benutzung einer Marke erworbene Unterscheidungskraft ebenso wie die Unterscheidungskraft, die nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b eine der allgemeinen Voraussetzungen für die Eintragung einer Marke darstellt, daß die Marke geeignet ist, die Ware, für die die Eintragung beantragt wird, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und diese Ware somit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden.

47.
Eine geographische Bezeichnung kann folglich als Marke eingetragen werden, wenn sie infolge ihrer Benutzung die Eignung erlangt hat, die Ware, für die die Eintragung beantragt wird, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und damit diese Ware von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden. In einem solchen Fall hat die geographische Bezeichnung nämlich eine neue Bedeutung erlangt, die nicht mehr nur beschreibend ist; dies rechtfertigt ihre Eintragung als Marke.

48.
Zu Recht tragen die Klägerin und die Kommission daher vor, daß Artikel 3 Absatz 3 eine Differenzierung der Unterscheidungskraft nach dem festgestellten Interesse daran, die geographische Bezeichnung für die Benutzung durch andere Unternehmen freizuhalten, nicht zulasse.

49.
Bei der Feststellung, ob eine Marke infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat, hat die zuständige Behörde sämtliche Gesichtspunkte zu prüfen, die zeigen können, daß die Marke die Eignung erlangt hat, die betreffende Ware als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und diese Ware damit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden.

50.
Dabei ist insbesondere der spezifische Charakter der betreffenden geographischen Bezeichnung zu berücksichtigen. Eine sehr bekannte geographische Bezeichnung kann nämlich nur dann Unterscheidungskraft im Sinne von Artikel 3 Absatz 3 der Richtlinie erlangen, wenn eine lange und intensive Benutzung der Marke durch das Unternehmen vorliegt, das die Eintragung beantragt. Handelt es sich um eine Bezeichnung, die bereits als geographische Herkunftsangabe für eine bestimmte Warengruppe bekannt ist, so muß von einem Unternehmen, das ihre Eintragung für eine Ware derselben Gruppe beantragt, erst recht eine offenkundig besonders langfristige und intensive Benutzung der Marke nachgewiesen werden.

51.
Bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft einer Marke, die Gegenstand eines Eintragungsantrags ist, können auch der von der Marke gehaltene Marktanteil, die Intensität, die geographische Verbreitung und die Dauer der Benutzung dieser Marke, der Werbeaufwand des Unternehmens für die Marke, der Teil der beteiligten Verkehrskreise, der die Ware aufgrund der Marke als von einem bestimmten Unternehmen stammend erkennt sowie Erklärungen von Industrie- und Handelskammern oder von anderen Berufsverbänden berücksichtigt werden.

52.
Gelangt die zuständige Behörde aufgrund dieser Angaben zu der Auffassung, daß die beteiligten Verkehrskreise oder zumindest ein erheblicher Teil dieser Kreise die Ware aufgrund der Marke als von einem bestimmten Unternehmen stammend erkennen, so muß sie daraus den Schluß ziehen, daß die Voraussetzung, die Artikel 3 Absatz 3 der Richtlinie für die Eintragung der Marke aufstellt, erfüllt ist. Jedoch können die Umstände, unter denen diese Voraussetzung als erfüllt angesehen werden kann, nicht nur aufgrund von generellen und abstrakten Angaben, wie z. B. bestimmten Prozentsätzen, festgestellt werden.

53.
Was die Frage angeht, nach welcher Methode die Unterscheidungskraft der Marke, deren Eintragung beantragt wird, beurteilt werden kann, verbietet das Gemeinschaftsrecht nicht, daß die zuständige Behörde, wenn sie bei dieser Beurteilung auf besondere Schwierigkeiten stößt, diese Frage nach Maßgabe ihres nationalen Rechts durch eine Verbraucherbefragung klären läßt (siehe in diesem Sinn Urteil vom 16. Juli 1998 in der Rechtssache C-210/96, Gut Springenheide und Tusky, Slg. 1998, I-4657, Randnr. 37).

54.
Nach alledem ist auf die Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 der Richtlinie betreffenden Fragen zu antworten, daß nach dieser Vorschrift

— die durch Benutzung erworbene Unterscheidungskraft der Marke besagt, daß die Marke geeignet ist, die Ware, für die die Eintragung beantragt wird, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und diese Ware damit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden;

— eine Differenzierung der Unterscheidungskraft nach dem festgestellten Interesse daran, die geographische Bezeichnung für die Benutzung durch andere Unternehmen freizuhalten, nicht zulässig ist;

— die zuständige Behörde bei der Feststellung, ob eine Marke infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat, in einer Gesamtschau die Gesichtspunkte zu prüfen hat, die zeigen können, daß die Marke die Eignung erlangt hat, die betreffende Ware als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und diese Ware somit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden;

— die zuständige Behörde, wenn sie zu der Auffassung gelangt, daß ein erheblicher Teil der beteiligten Verkehrskreise die Ware aufgrund der Marke als von einem bestimmten Unternehmen stammend erkennt, daraus folgern muß, daß die Voraussetzung für die Eintragung der Marke erfüllt ist;

— das Gemeinschaftsrecht nicht verbietet, daß die zuständige Behörde, wenn sie bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft der Marke, deren Eintragung beantragt wird, auf besondere Schwierigkeiten stößt, diese Frage nach Maßgabe ihres nationalen Rechts durch eine Verbraucherbefragung klären läßt.

Kosten

55.
Die Auslagen der italienischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

1: Verfahrenssprache: Deutsch.

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