BPatG, Beschluss vom 06.07.2006 – 27 W (pat) 70/05 – Drillisch ALPHATEL/ALCATEL
§ 9 MarkenG
Für eine Ausweitung der THOMSON LIFE-Rechtsprechung des EuGH auf die Bildung einer jüngeren Marke, die aus einem mit der Widerspruchsmarke lediglich ähnlichen Zeichen und dem Unternehmens-Kennzeichen des Inhabers der angegriffenen Marke zusammengesetzt ist, besteht keine Veranlassung.
BESCHLUSS
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Marke 302 06 966
hat der 27. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 6. Juli 2006 durch …
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I
Die Markenstelle für Klasse 9 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat mit Beschluss vom 4. März 2005 die Widersprüche der Widersprechenden aus ihren jeweils seit 17. April 1989 für eine Vielzahl von Waren und Dienstleistungen, u. a. der Klassen 9, 39 und 42, eingetragenen Marken Nr. 1 137 897
… (Abbildung)
und Nr. 1 138 855
ALCATEL
sowie aus ihren ebenfalls jeweils u. a. für Waren und Dienstleistungen der Klassen 9, 38 und 42 international seit 11. Dezember 1987 und 11. Mai 1988 eingetragenen Marken Nr. 525 160
… (Abbildung)
und Nr. 526 405
ALCATEL
gegen die für Waren und Dienstleistungen der Klassen 9, 38 und 42 eingetragenen Marke Nr. 302 06 966
Drillisch ALPHATEL
mangels hinreichender Markenähnlichkeit zurückgewiesen. Dabei könne dahinstehen, ob die Markenwörter „ALPHATEL“ und „ALCATEL“ eine markenrechtlich relevante Verwechslungsgefahr begründen könnten, weil die angegriffene Marke nicht allein von dem Markenteil „ALPHATEL“ geprägt werde; denn auch wenn ein relevanter Teil der angesprochenen Verkehrskreise den weiteren Markenteil „Drillisch“ als Firma der Inhaberin der angegriffenen Marke erkennen würden, sei nicht davon auszugehen, dass sie ihn unberücksichtigt ließen, da der Verkehr auf dem hier einschlägigen Wirtschaftssektor der Herstellerbezeichnung eine besondere betriebskennzeichnende Bedeutung zumesse. Da sich die gegenüberstehenden Marken in ihrem jeweiligen Gesamteindruck aber deutlich unterschieden, sei eine Verwechslungsgefahr selbst angesichts des hohen Grades an Warenähn-lichkeit ausgeschlossen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Sie ist der Ansicht, dass eine Verwechslungsgefahr gegeben sei. Die Verkehrskreise würden der ihnen wegen ihrer Marktpräsens durchaus bekannten Firma der Inhaberin der angegriffenen Marke keine eigene Bedeutung beimessen, so dass die angegriffene Marke allein durch den Bestandteil „ALPHATEL“ geprägt sei; zumindest komme diesem Bestandteil in der angegriffenen Marke eine selbständig kennzeichnende Funktion zu. Die Markenbestandteile „ALPHATEL“ und „ALCATEL“ seien aber schriftbildlich und optisch zu ähnlich, um eine Verwechslungsgefahr auszuschließen, wobei auch die erhöhte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke zu berücksichtigen sei. Da die jeweils beanspruchten Waren und Dienstleistungen ebenfalls einen hohen Grad an Ähnlichkeit auswiesen, sei die jüngere Marke aus dem Register zu löschen.
Die Widersprechende beantragt,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Löschung der Marke Nr. 302 06 966 anzuordnen.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält eine Verwechslungsgefahr wegen der geringen Zeichenähnlichkeit für nicht gegeben. Die jüngere Marke werde dabei nicht allein durch den Bestandteil „ALPHATEL“ geprägt; der Bestandteil „Drillisch“ sei den Verkehrskreisen nämlich weder als Herstellerangabe bekannt noch als Unternehmenskennzeichen erkennbar. Ungeachtet dessen seien die Bestandteile „ALPHATEL“ und „ALCATEL“ weder optisch noch akustisch ähnlich. Wegen der Unähnlichkeit der gegenüberstehenden Zeichen komme es auf die Kennzeichnungskraft der Wider-spruchsmarken und die Ähnlichkeit der jeweils beanspruchten Waren und Dienstleistungen nicht an.
Ihren Hilfsantrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung hat die Widersprechende mit Schriftsatz vom 26. Juni 2006 zurückgenommen. Eine zwischenzeitlich von der Inhaberin der angegriffenen Marke vorgeschlagene vergleichsweise Regelung ist gescheitert, nachdem die Widersprechende erklärt hat, hieran nicht interessiert zu sein.
II
A. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Markenstelle hat zu Recht und mit zutreffender Begründung, der sich der Senat anschließt, den Widerspruch wegen mangelnder Gefahr von Verwechslungen der Vergleichsmarken nach § 43 Abs. 2 Satz 2, § 42 Abs. 2 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG zurückgewiesen.
Unter Berücksichtigung der bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr miteinander in Wechselbeziehung stehenden Komponenten der Waren- und Markenähnlichkeit sowie der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke (vgl. EuGH GRUR 1998, 922, 923 – Canon; MarkenR 1999, 236, 239 – Lloyd/Loints), wobei ein geringer Grad der Ähnlichkeit der Waren durch einen größeren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.; vgl. EuGH GRUR 1998, 387, 389 Tz. 23 f. – Sabèl/Puma; EuGH GRUR 1998, 922, 923 Tz. 16 f. – Canon; BGH GRUR 1999, 241, 243), scheidet eine Verwechslungsgefahr aus, weil ungeachtet des Grades der Ähnlichkeit der jeweils beanspruchten Waren und Dienstleistungen der Grad der Zeichenähnlichkeit zu gering ist, um eine Verwechslungsgefahr zu den mangels hinreichenden Vortrages der Widersprechenden zu einer Steigerung der Kennzeichnungskraft nur als durchschnittlich kennzeichnungskräftig anzusehenden Widerspruchsmarken zu begründen.
1. Soweit die Widersprechende eine Steigerung der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarken behauptet hat, vermag der Senat dem nicht beizutreten. Die Widersprechende hat sich hierzu allein auf eine Entscheidung des Deutschen Patent- und Markenamtes in einer anderen Sache berufen, in welcher die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke für den Telekommunikationsbereich als amtsbekannt bezeichnet wird, ohne dass die Grundlagen dieser Einschätzung offenbart werden. Demgegenüber ist eine Steigerung der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke nicht gerichtsbekannt. Dem Senat ist die Widersprechende lediglich als eine von vielen Anbietern für Telefonanlagen bekannt, wobei ihr Marktanteil auf diesem Warensektor unbekannt ist. Nach ihrer Eigenwerbung im Internet ist die Widersprechende zudem als Lieferantin für „Kommunikationslösungen für Netzbetreiber, Diensteanbieter und Unternehmen“ in Deutschland tätig, wobei eine „führende Stellung bei Fest- und Mobilfunknetzen“ behauptet wird; auch hieraus ergeben sich aber keine Anhaltspunkte für ihren Marktanteil im Verhältnis zu anderen Anbietern gleicher Waren und Dienstleistungen, die teilweise – wie die Deutsche Telekom im Bereich des Festnetzes und des Mobilfunknetzes – über eine große Bekanntheit verfügen. Inwieweit die Widersprechende schließlich den angesprochenen Verkehrskreisen bekannt ist, kann den ermittelbaren Daten nicht entnommen werden. Auch die Widersprechende hat weitere Ausführungen hierzu nicht gemacht, so dass es im Ergebnis dabei zu verbleiben hat, dass die Widerspruchsmarken nur über eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft verfügen.
2. Entgegen der Auffassung der Widersprechenden sind die sich gegenüberstehenden Zeichen nur in einem sehr geringen Grad ähnlich.
a) Von ihrem Gesamteindruck, auf den grundsätzlich bei der Beurteilung der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr unabhängig vom Prioritätsalter der sich gegenüberstehenden Zeichen vorrangig abzustellen ist (vgl. EuGH GRUR 2005, 1042, 1044 [Rz. 28] – THOMSON LIFE; GRUR 1998, 397, 390 [Rz. 23] – Sabèl/ Puma; BGH GRUR 2000, 233 f. – Rausch/Elfi Rauch), unterschieden sich die gegenüberstehenden Marken in optischer, akustischer und semantischer Hinsicht bereits durch den Zusatz „Drillisch“ in der angegriffenen Marke; darüber hinaus liegen erhebliche optische Unterschiede zwischen der als bloßer Wortmarke geschützten angegriffenen Marke und den Widerspruchsmarken 1 139 897 und IR 525 160 wegen deren grafischer Ausgestaltung vor.
b) Entgegen der Auffassung der Widersprechenden wird die angegriffene Marke auch nicht allein von dem Bestandteil „ALPHATEL“ geprägt.
aa) Soweit die Widersprechende sich hierzu auf die THOMSON LIFE-Entscheidung des EuGH (a. a. O.) beruft und meint, dem Bestandteil „ALPHATEL“ komme eine selbständig kennzeichnende Wirkung zu, verkennt sie den Aussagegehalt dieser Entscheidung. Wie der EuGH nämlich ausdrücklich hervorhebt (vgl. a. a. O. [Rz. 30]), besteht der Ausnahmefall einer selbständig kennzeichnenden Stellung einzelner Markenelemente von dem Grundsatz der Beurteilung nach dem Gesamteindruck bzw. von der Prägung durch einzelne Markenbestandteile „im Einzelfall“ nur dort, wo das angegriffene Zeichen aus der älteren Marke und dem Unternehmenskennzeichen des Inhabers der jüngeren Marke zusammengesetzt ist. Ein solcher Fall der Übernahme des älteren Zeichens liegt hier aber schon deshalb nicht vor, weil die Markenteile „ALPHATEL“ und „ALCATEL“ nicht identisch sind. Für eine Ausweitung der Rechtsprechung des EuGH auf die „Übernahme“ (die in diesem Fall ja schon begrifflich nicht vorliegen kann) eines lediglich mit der älteren Marke ähnlichen Zeichens unter Hinzufügung des Unternehmenskennzeichens des Inhabers der angegriffenen Marke besteht angesichts des eindeutigen Wortlauts der Entscheidung über das Regel-Ausnahme-Verhältnis keine Veranlassung, so dass zu dieser Frage weder eine Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 234 EGV einzuholen noch die Rechtsbeschwerde nach § 83 Abs. 2 MarkenG zuzulassen ist.
bb) Soweit die Widersprechende darüber hinaus meint, der Bestandteil „Drillisch“ in der angegriffenen Marke trete als Herstellerangabe zurück, verkennt sie schon im Ansatz, dass es einen solchen allgemeinen Erfahrungssatz nach der Rechtsprechung des BGH nicht gibt (vgl. BGH GRUR 2004, 865, 866 – MUSTANG). Für den von ihr vor allem geltend gemachten Bereich der Telekommunikation hat der BGH darüber hinaus der Herstellerangabe eine mitprägende Bedeutung gerade zugesprochen (vgl. BGH GRUR 2003, 70, 73 f. – T-INNOVA/Innova), so dass auf dem hier in Rede stehenden Waren- und Dienstleistungssektor davon auszugehen ist, dass in den Augen der angesprochenen Verkehrskreise der Markenteil „Drillisch“ nicht nur nicht zurücktritt, sondern sogar das eigentlich prägende Element darstellt. Ob an der Differenzierung nach Branchen nach der THOMSON LIFE-Entscheidung noch festgehalten werden kann (krit. Ströbele/Hacker, Markengesetz, 8. Aufl. 2006, § 9 Rn. 289), bedarf keiner Entscheidung, weil nach Ansicht des EuGH die Herstellerangabe – insoweit abweichend von der Rechtsprechung des BGH – stets ein zusammengesetztes Zeichen dominiert (vgl. EuGH, a. a. O. [Rz. 34 a. E.] – THOMSON LIFE), so dass auch unter Zugrundelegung der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung des EuGH dem Markenbestandteil „Drillisch“ in der angegriffenen Marke eine zumindest mit-, wenn nicht gar allein prägende Stellung in der angegriffenen Marke zukommt.
c) Im Ergebnis hat es daher dabei zu verbleiben, dass die Markenähnlichkeit allein nach dem Gesamteindruck der gegenüberstehenden Marken zu beurteilen ist, so dass ein nur sehr geringer Grad an Zeichenähnlichkeit vorliegt.
d) Für eine Verwechslungsgefahr aus anderen Gründen ist weder etwas vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
3. Angesichts des äußerst geringen Grades an Markenähnlichkeit und der durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke scheidet eine Verwechslungsgefahr nach der Wechselwirkungstheorie des EuGH selbst im Falle identischer Waren und Dienstleistungen aus, so dass es auf den zwischen den Beteiligten streitigen Grad der Ähnlichkeit der gegenüberstehenden Waren und Dienstleistungen nicht (mehr) ankommt.
4. Da die Markenstelle daher die Widersprüche der Widersprechenden zutreffend zurückgewiesen hat, war der hiergegen gerichteten Beschwerde der Erfolg zu versagen.
B. Da Gründe für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen nach § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich sind, hat es dabei zu verbleiben, dass beide Beteiligte ihre jeweiligen außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen haben (§ 71 Abs. 1 Satz 2 MarkenG).
(Unterschriften)
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