BGH: Geltendmachung der Abmahnkosten

BGH, Beschluss vom 20.10.2005 – I ZB 21/05 – Geltendmachung der Abmahnkosten (OLG Hamburg)
ZPO § 91 Abs. 1 Satz 1

Die auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG nicht anrechenbare Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 dieser Anlage für eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung zählt nicht zu den Kosten des Rechtsstreits i. S. des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO und kann nicht im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103, 104 ZPO, § 11 Abs. 1 Satz 1 RVG festgesetzt werden.

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Oktober 2005 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die Richter Prof. Dr. Bornkamm, Dr. Büscher, Dr. Schaffert und Dr. Bergmann beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, 8. Zivilsenat, vom 18. Januar 2005 wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 1.020, 92 € festgesetzt.

Gründe:

I. Die Antragstellerin mahnte die Antragsgegnerin mit anwaltlichem Schreiben vom 13. Juli 2004 wegen einer Kennzeichenverletzung und eines Wettbewerbsverstoßes ab. Nachdem sich die Antragsgegnerin geweigert hatte, die begehrte Unterwerfungserklärung abzugeben, erwirkte die Antragstellerin eine einstweilige Verfügung. In dem Beschluss wurden der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens auferlegt.

Im Kostenfestsetzungsverfahren hat die Antragstellerin u. a. beantragt, gegen die Antragsgegnerin auch die anteilige Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG (Vergütungsverzeichnis Anlage 1 zum RVG) abzüglich des nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnenden Teils festzusetzen.

Das Landgericht hat dem Antrag insoweit nicht entsprochen. Das Oberlandesgericht hat die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen (OLG Hamburg MDR 2005, 898).

Mit ihrer (zugelassenen) Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren Antrag weiter, die anteilige Geschäftsgebühr von 1. 020, 92 € festzusetzen.

II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

Die Kosten des vorgerichtlichen Abmahnschreibens seien keine Kosten des Rechtsstreits i. S. des § 91 ZPO, die im Kostenfestsetzungsverfahren festgesetzt werden könnten. Die Zielrichtung des wettbewerbsrechtlichen Abmahnschreibens gehe dahin, den Rechtsstreit im Wege des Vergleichs oder einer freiwilligen Leistung des Gegners zu vermeiden. Der Rechtsfrieden solle ohne Prozess wiederhergestellt oder dem Gegner ein sofortiges Anerkenntnis i. S. des § 93 ZPO verwehrt werden. Bei der Abmahnung gehe es nur darum, die rechtlichen Voraussetzungen einer auch im Kostenpunkt erfolgreichen Klage herzustellen und nicht die Durchführung eines Rechtsstreits vorzubereiten. Der Umstand, dass die Abmahnung auch erfolge, um dem Gegner die Berufung auf § 93 ZPO zu verwehren, führe nicht dazu, dass die Abmahnung aus nachträglicher Sicht als Vorbereitung des späteren Prozesses angesehen werden könne.

2. Diese Auffassung hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kann die anteilige Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG für die erfolglose Abmahnung nicht zur Erstattung im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103, 104 ZPO angemeldet werden.

a) Die Frage, ob die Kosten, die für eine Abmahnung entstanden sind, zu den Kosten des Rechtsstreits i. S. des § 91 ZPO zählen und im Kostenfestsetzungsverfahren festgesetzt werden können, war bereits vor dem Inkrafttreten des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes am 1. Juli 2004 in Rechtsprechung und Literatur umstritten (bejahend: OLG Köln NJW 1969, 935; OLG München JurBüro 1982, 1192; KG WRP 1982, 25; OLG Nürnberg WRP 1992, 588; OLG Dresden GRUR 1997, 318; OLG Düsseldorf AnwBl 2001, 187; Großkomm. UWG/ Kreft, Vor § 13 C Rdn. 184; Köhler/ Piper, UWG, 3. Aufl., Vor § 13 Rdn. 191; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 8. Aufl., Kap. 41 Rdn. 90; Wieczorek/ Schütze/ Steiner, ZPO, 3. Aufl., § 91 Rdn. 11; Dittmar, NJW 1986, 2088, 2089 f.; Borck, WRP 2001, 20, 23 f.; a. A.: OLG Frankfurt GRUR 1985, 328; OLG Schleswig JurBüro 1985, 1863; OLG Hamburg MDR 1993, 388; OLG Rostock MDR 1996, 1192; OLG Hamm MDR 1997, 205; OLG Karlsruhe AnwBl 1997, 681; Melullis, Handbuch des Wettbewerbsprozesses, 3. Aufl. Rdn. 802). Auch unter Geltung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ist die Frage nach wie vor umstritten. Für die anteilige, nicht anrechenbare Geschäftsgebühr des Rechtsanwalts nimmt die überwiegende Ansicht losgelöst von der Frage der Abmahnkosten generell an, diese Gebühr könne nicht im Kostenfestsetzungsverfahren angemeldet werden, sondern müsse im Klageverfahren eingeklagt werden (OLG Köln RVG-Report 2005, 76; OLG Frankfurt NJW 2005, 759; Schons, NJW 2005, 3089, 3091; Eulerich, NJW 2005, 3097, 3099; vgl. auch Weglage/ Pawliczek, NJW 2005, 3100; unter Geltung der BRAGO: OLG Bamberg JurBüro 1991, 704; OLG Karlsruhe MDR 2001, 293; OLG München MDR 2002, 237; OLG Frankfurt JurBüro 2003, 201; a. A. OLG Frankfurt AGS 2004, 276; AG Hamburg ZMR 2005, 79, 80). Teilweise wird die Möglichkeit einer Festsetzung der wettbewerbsrechtlichen Abmahnkosten im Kostenfestsetzungsverfahren allgemein (Harte/ Henning/ Brüning, UWG, § 12 Rdn. 87; Baumbach/ Lauterbach/ Hartmann, ZPO, 63. Aufl., § 91 Rdn. 286; Musielak/ Wolst, ZPO, 4. Aufl., § 91 Rdn. 36) oder jedenfalls der Festsetzung der Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG bejaht (M. Stöber, AGS 2005, 45, 47), während zum Teil die Möglichkeit der Kostenfestsetzung der Abmahnkosten nach wie vor verneint wird (OLG Frankfurt GRUR 2005, 360; Ahrens/ Scharen, Der Wettbewerbsprozess, 5. Aufl., Kap. 11 Rdn. 3; Baumbach/ Hefermehl/ Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 23. Aufl., § 12 UWG Rdn. 1. 91; Gerold/ Schmidt/ Madert, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, VV 2400 Rdn. 253; Stein/ Jonas/ Bork, ZPO, 22. Aufl., § 91 Rdn. 43; Zöller/ Herget, ZPO, 25. Aufl., § 104 Rdn. 21 „Außergerichtliche Anwaltskosten“).

b) Die für die Abmahnung entstehende Geschäftsgebühr zählt nicht zu den Kosten des Rechtsstreits i. S. des § 91 ZPO.

aa) Zu den Prozesskosten rechnen nicht nur die durch die Einleitung und Führung eines Prozesses ausgelösten Kosten, sondern auch diejenigen Kosten, die der Vorbereitung eines konkret bevorstehenden Rechtsstreits dienen (vgl. BGH, Urt. v. 11. 12. 1986 – III ZR 268/ 85, WM 1987, 247, 248; Stein/ Jonas/ Bork aaO § 91 Rdn. 39). Diese werden aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit den Prozesskosten zugerechnet und können im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht werden (vgl. BGH WM 1987, 247, 248; Teplitzky aaO Kap. 41 Rdn. 90; Dittmar, NJW 1986, 2088, 2089 f.; M. Stöber, AGS 2005, 45, 47). Hierzu werden Kosten für Detektivermittlungen (vgl. OLG Frankfurt NJW 1971, 1183), für Testkäufe (KG GRUR 1976, 665) und für Nachforschungen im Zusammenhang mit Patentstreitigkeiten (BPatGE 8, 181; Benkard/ Schäfers, Patentgesetz, 9. Aufl., § 80 Rdn. 53) gerechnet.

bb) Die Kosten einer Abmahnung gehören nicht zu den einen Rechtsstreit unmittelbar vorbereitenden Kosten. Die Abmahnung hat eine doppelte Funktion. Sie dient der Streitbeilegung ohne Inanspruchnahme der Gerichte und mit ihr verfolgt der Gläubiger das weitere Ziel, dem Schuldner die Möglichkeit zu verwehren, den gerichtlich geltend gemachten Anspruch mit der Kostenfolge des § 93 ZPO anzuerkennen. Auch dieser letztgenannte Zweck hat keine den Prozess unmittelbar vorbereitende Funktion. Zulässigkeit und Begründetheit der Klage hängen nicht von einer vorangegangenen Abmahnung ab (vgl. hierzu auch BGH, Beschl. v. 15. 7. 2005 – GSZ 1/ 04, GRUR 2005, 882, 885 = WRP 2005, 1408 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen). Soweit der Gläubiger mit der Abmahnung darauf abzielt, die ihm ungünstige Kostenfolge des § 93 ZPO zu vermeiden, kommt diese Funktion auch einer Mahnung zu, ohne dass die Mahnkosten den im Kostenfestsetzungsverfahren zu erstattenden Prozesskosten zugerechnet werden (vgl. Musielak/ Wolst aaO § 91 Rdn. 7; Thomas/ Putzo/ Hüßtege, ZPO, 27. Aufl., § 91 Rdn. 8; Zöller/ Herget aaO § 91 Rdn. 13, Stichwort „Mahnschreiben“; a. A. Wieczorek/ Schütze/ Steiner aaO § 91 Rdn. 70). Auch vermögen Gründe der Prozesswirtschaftlichkeit nach der Neuregelung, die die Geschäftsgebühr durch das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz erfahren hat, eine Festsetzung der Abmahnkosten im Kostenfestsetzungsverfahren nicht zu rechtfertigen. Zwar erfolgt anders als unter Geltung der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung, die eine Anrechnung der vorprozessual entstandenen Geschäftsgebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO auf die Gebühren des anschließenden gerichtlichen Verfahrens im vollen Umfang vorsah (§ 118 Abs. 2 Satz 1 BRAGO), nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 des VV RVG nur eine anteilige Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens. Dadurch hat die Frage der Festsetzung der für eine Abmahnung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz entstandenen Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren aber keine derartige Bedeutung erlangt, dass allein aus Gründen der Verfahrensökonomie eine Festsetzung der nicht anrechenbaren Geschäftsgebühr gerechtfertigt wäre. Im Regelfall wird ein Unterlassungsschuldner, der eine im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach §§ 935, 940 ZPO ergangene Verbotsverfügung hinnimmt, die für die Abmahnung entstandenen Kosten begleichen. Akzeptiert der Schuldner die einstweilige Verfügung nicht, kann im anschließenden Hauptsacheverfahren die anteilige, nicht anrechenbare Geschäftsgebühr ohne weiteres mit eingeklagt werden. Die verbleibenden Fälle haben dagegen zahlenmäßig kein solches Gewicht, dass anders als bei den Mahnkosten eine Kostenerstattung der Abmahnkosten im Kostenfestsetzungsverfahren vorzusehen ist. Zudem müssen der materielle und der prozessuale Kostenerstattungsanspruch keineswegs deckungsgleich sein. So kann der Gläubiger zwar einen Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten nach § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG haben, während der prozessuale Kostenerstattungsanspruch wegen eines nur teilweisen Obsiegens im Prozess dahinter zurückbleibt, etwa wenn der Gläubiger nur mit dem Unterlassungsantrag durchdringt, während der Auskunfts- und der Schadensersatzantrag abgewiesen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

(Unterschriften)

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