OLG Hamburg: Five Four – Bindung des Verletzungsgerichts hinsichtlich der Beachtung der formellen Eintragungsvoraussetzungen einer Registereintragung bei einer Gemeinschaftsmarke

Leitsätze

1. Hinsichtlich der Beachtung der formellen Eintragungsvoraussetzungen bei der Eintragung einer (Gemeinschafts)Marke ist das Verletzungsgericht an die Beurteilung der Erteilungsinstanz (hier: HABM) gebunden.

2. Dies gilt auch für die Frage, ob die Voraussetzungen einer Prioritätserstreckung durch Inanspruchnahme einer früheren ausländischen Priorität ausreichend dargelegt bzw. zutreffend gewürdigt worden sind. Diese Voraussetzungen unterliegen allein der Amtsprüfung.

OLG Hamburg, Beschluss vom 05.01.2009 – 5 U 194/07Five Four
Art. 17 Abs. 6 und Art. 23 Abs. 1 GMV

Tenor

Es wird festgestellt, dass die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg vom 18.01.2007 sowie das Widerspruchsurteil vom 23.08.2007 nach übereinstimmender Erledigungserklärung der Parteien zur Hauptsache wirkungslos geworden sind.

Die Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz trägt die Antragstellerin.

Der Streitwert wird für beide Instanzen entsprechend der Angaben der Antragstellerin auf EUR 250.000.- festgesetzt. Er vermindert sich im Anschluss an die übereinstimmende Erledigungserklärung zur Hauptsache auf die bis dahin entstandenen Kosten.

Gründe

Nachdem die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, hat der Senat gem. § 91 a ZPO nach dem bisherigem Sach- und Streitstand über die entstandenen Kosten zu entscheiden. Es entspricht billigem Ermessen, die Kosten des Rechtsstreits vollständig der Antragstellerin aufzuerlegen, denn diese wäre ohne Eintritt des erledigenden Ereignisses voraussichtlich in vollem Umfang unterlegen. Eine Markenrechtsverletzung zu Lasten der Antragstellerin ist weder begangen worden noch drohte diese. Denn gegenüber der Marke der Antragstellerin verfügte die Marke des Antragsgegners über die bessere Priorität, so dass sie sich im Kollisionsfall – jedenfalls bis zu einer abweichenden Entscheidung des HABM im Widerspruchsverfahren – voraussichtlich durchgesetzt hätte. Zumindest hat der Senat hiervon im Verletzungsrechtsstreit – erst recht im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens – auszugehen. Die gegenteilige Auffassung des Landgerichts teilt der Senat nicht.

1. Die Verletzungsmarke, Gemeinschaftsmarke „five four“ CTM 004793501 (Anlage ASt 2 und B 1) ist unter Inanspruchnahme einer ausländischen (libanesischen) Priorität mit dem Datum des 08.06.2005 als Erstanmeldung von dem HABM eingetragenen und am 28.08.2006 im Blatt für Gemeinschaftsmarken für den gesamten Bereich der Gemeinschaft offiziell veröffentlicht worden, nachdem das HABM die Voraussetzungen für eine Prioritätserstreckung nach Art. 30 GMV geprüft (vgl. Art. 36 Abs. 1 lit. b GMV i.V.m. Regel 6 der Durchführungsverordnung sowie Art. 5.1 der Prüfungsrichtlinien des HABM, vorgelegt als Anlage B 2) und bejaht hatte.

2. An diese Entscheidung im Eintragungsverfahren hält sich der Senat gebunden. Nach Auffassung des Senats ist es weder rechtlich statthaft noch sinnvoll oder angemessen, die sich auf den Prioritätstag beziehenden formalen Voraussetzungen des Eintragungsverfahrens im Rahmen eines Verletzungsprozesses zur Disposition bzw. zur Prüfung zu stellen. Eine Rechtsgrundlage hierfür vermag der Senat nicht zu erkennen. Soweit die markenrechtlichen Vorschriften – z. B. nach dem nationalen Markenrecht – den Angriff einer eingetragenen Marke zur Löschung vor einem Verletzungsgericht z. B. wegen Nichtigkeit oder Verfalls vorsehen (§ 55 MarkenG), sind Grundlage hierfür konkrete rechtliche Bestimmungen, die sich in erster Linie an materiellen Voraussetzungen (Schutzfähigkeit) oder der Einhaltung fester Fristen (Benutzung) orientieren. Für den gesamten Bereich der Einhaltung der formalen Eintragungsvoraussetzungen, die unter anderem auch für den Prioritätstag entscheiden sind, fehlt es – soweit ersichtlich – an entsprechenden Vorschriften. Insoweit besteht nach dem Verständnis des Senats eine Entscheidungsprärogative des DPMA bzw. des HABM, die der Verletzungsrichter zu beachten hat. Für die Korrektur fehlerhafter Entscheidungen steht das Widerspruchsverfahren vor dem Amt (Art. 42 GMV) zur Verfügung. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um die Klagemarke oder das Verletzungszeichen handelt.

a. Eine derartige Rechtsfolge ergibt sich nach dem Verständnis der Senat bereits aus der Natur der Sache.

aa. Der Prioritätszeitpunkt ist mit der Markeneintragung formell bekannt gemacht worden, und zwar für den gesamten Bereich der Europäischen Gemeinschaft (Art. 40 GMV). Er gilt deshalb verbindlich in jedem Staat dieser Gemeinschaft und gibt Auskunft darüber, ob sich diese Marke gegenüber kollidierenden Zeichen als älteres Recht durchzusetzen vermag. Ein derartiges Merkmal eines Schutzrechts kann nicht in einem einzelnen Verletzungsrechtsstreit – nur im Verhältnis der dort streitenden Parteien – zur Beurteilung gestellt werden, ohne dass zugleich in irgendeiner Weise – wie dies bei Löschungsverfahren der Fall ist – insgesamt verbindlich über das Schicksal der Marke entschieden wird. Denn die Feststellung des Prioritätszeitpunkts ist Gegenstand des Verwaltungsakts einer europäischen Behörde, der nicht beliebig der Disposition nationaler Gerichte anheim gestellt werden kann. Andernfalls wäre eine nachhaltige Rechtsunsicherheit in Bezug auf den in der Gemeinschaft maßgeblichen Prioritätszeitpunkt die Folge, der im ungünstigsten Fall in unterschiedlichen Verletzungsprozessen individuell beurteilt wird, obwohl die Marke als solche unverändert im Markenregister mit einem abweichenden Prioritätszeitpunkt gemeinschaftsweit veröffentlicht ist.

bb. Der Antragsgegner hat zutreffend darauf hingewiesen, dass sich die Bindungswirkung der (formellen) Rechtswirkungen der Registereintragung einer Gemeinschaftsmarke unter anderem aus Art. 17 Abs. 6 und Art. 23 Abs. 1 GMV ergibt. Dementsprechend ist zum Beispiel in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu der nationalen Marke ausdrücklich anerkannt, dass dem Verletzungsrichter nicht die Befugnis zusteht, eigenverantwortlich in vollem Umfang über die Eintragungsvoraussetzungen zu befinden. Die Bindung der Verletzungsgerichte an Eintragung einer Marke verwehrt ihnen, der Marke in der eingetragenen Form jegliche Unterscheidungskraft abzusprechen (BGH WRP 07, 1090, 1092 – Pralinenform). Dies bedeutet, dass die Eintragungsentscheidung zu respektieren ist und im Verletzungsrechtstreit zwar in ihrer Reichweite, nicht jedoch als solche infrage gestellt werden kann. Dies gilt selbst für den Fall, dass die Behauptung der Antragstellerin zutreffend wäre, das HABM nähme – im Widerspruch zu den bereits zitierten Verwaltungsanweisungen – bei der Eintragung ausländischer Prioritäten keine Amtsprüfung vor. Auch in derartigen Fällen obliegt es jedenfalls nicht dem Verletzungsgericht, in jedem individuellen Rechtsstreit derartige Prüfungen nachzuholen.

cc. Schon aus diesen Gründen kann es auch nicht darauf ankommen, ob sich eine Bindungswirkung des Verletzungsgerichts bei derartigen Entscheidungen des Markenamtes auf die Klagemarke oder das Verletzungszeichen bezieht. Denn die entsprechende prozessuale Position kann von Fall zu Fall unterschiedlich sein, während der Prioritätszeitpunkt einer Marke in beiden Fallgestaltungen gleichermaßen offiziell festgestellt und veröffentlicht worden ist.

dd. Der Hinweis der Antragstellerin auf die Möglichkeiten des Verletzungsgerichts, etwa im Rahmen von § 55 MarkenG eingetragene Marken einer Löschung zuzuführen, verfängt in diesem Zusammenhang ebenfalls nicht. Denn hierbei wird ebenfalls endgültig und umfassend, und nicht etwa nur im Rahmen eines einzelnen Rechtsstreits über das Schicksal der Marke entschieden, und zwar mit Wirkung gegenüber jedermann (§ 52 Abs. 1 und 2 MarkenG). Dementsprechend sind diese national-rechtlichen Möglichkeiten mit dem von der Antragstellerin allein im vorliegenden Rechtsstreit inter partes erhobenen „Fälschungseinwand“ nicht vergleichbar.

ee. An diesem Ergebnis vermag auch die Argumentation des Landgerichts nichts zu ändern, das darauf abgestellt hatte, es werde nicht in den Bestand des Registers für Gemeinschaftsmarken angegriffen, sondern dem Antragsgegner lediglich der Einwand des Rechtsmissbrauchs bei der Beanspruchung einer besseren Priorität entgegengehalten. Da dieser Einwand nicht lediglich das (individuelle) Rechtsverhältnis der Parteien betrifft, sondern wegen der erforderlichen Einheitlichkeit der Festlegung der Markenpriorität (z.B. nach Art. 97 Abs. 2 GMV i.V.m. § 6 MarkenG) zur Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen die (generelle) Wirkung der eingetragene Marke auch im Rechtsverhältnis zu beliebigen Dritten gleichermaßen betreffen muss, vermögen diese Ausführungen des Landgerichts ebenfalls nicht zu überzeugen.

b. Die Antragstellerin hat aus der nach ihrer Darstellung bestehenden Unrichtigkeit des Gemeinschaftsmarkenregisters offensichtlich auch die rechtlich zutreffenden Konsequenzen gezogen und ein Widerspruchsverfahren nach Art. 42 GMV gegen das Verletzungszeichen beim HABM eingeleitet. Ihre Einwände gegen den zu Grunde gelegten Prioritätszeitpunkt hat sie in jenem Verfahren geltend zu machen. Die gegenteilige Auffassung des Landgerichts, welches die materielle Prüfung des von der Antragstellerin erhobenen Betrugsvorwurfs in dem Verletzungsrechtsstreits vorgenommen hat, teilt der Senat nicht.

3. Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen ist aber auch das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Verletzungsgericht offensichtlich ungeeignet, eine derartige Frage angemessen zu klären. Ein Rechtsschutzbedürfnis – sei es nach §§ 935, 940 ZPO, sei es aus Art. 12 Abs. 2 UWG analog – steht der Antragstellerin insoweit nicht zur Verfügung. Die Erörterungen der Parteien sowie die von ihnen vorgelegten Glaubhaftmachungsmittel zeigen, dass die Frage, welchen Erklärungswert bestimmte Feststellungen im bzw. Urkunden aus dem Libanon haben, unterschiedlich verstanden bzw. beurteilt werden können. Für die erforderliche Verbindlichkeit der Klärung, mit welchem Prioritätstag das Verletzungszeichen tatsächlich als Marke im Libanon angemeldet worden ist, bedarf es jedenfalls im Bereich formeller markenrechtlicher Eintragungsvoraussetzungen einer verbindlichen sowie verlässlichen Beurteilung und nicht lediglich einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, schon gar nicht, wenn das Ergebnis mit dem strafrechtlich relevanten Betrugsvorwurf einer gezielten Fälschung verbunden ist und hieraus rechtliche Konsequenzen für den Prioritätstag einer eingetragenen Marke abgeleitet werden.

a. Das Landgericht hat sich eine Meinung darüber gebildet, welchen Geschehensablauf es für überwiegend wahrscheinlich hält. Es mag in der Tat einiges dafür sprechen, dass sich der Antragsgegner entweder in unlauterer Weise Dokumente verschafft hat, die seiner Marke zu Unrecht eine bessere Priorität bescheinigen, oder zusätzliche Erkenntnisquellen bei dem an das HABM gerichteten Eintragungsantrag bewusst nicht vorgelegt hat, die den Aussagewert und die juristische Bedeutung der vorgelegten Unterlagen in einem anderen Licht erscheinen lassen. Es mag auch sein – ohne dass der Senat hierüber im Rahmen dieses Rechtsstreits in irgendeiner Weise zu befinden hat -, dass der Antragsgegner ein „Schurke“ bzw. ein „Markenpirat“ ist, obwohl er sich nachdrücklich gegen diesen Vorwurf wendet. Gleichwohl erscheint es dem Senat nicht als hinreichend gesichert, dass die von dem Antragsgegner gegebene Erklärung als widerlegt angesehen werden kann.

b. Vielmehr hat sich – auch ohne Berücksichtigung der Entscheidungsprärogative des HABM – bereits auf Grund der vorgelegten Unterlagen und der sich widersprechenden Glaubhaftmachungsmittel jedenfalls zu dem allein maßgeblichen Zeitpunkt bei Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz eine „non-liquet“-Situation ergeben, die dem Landgericht hätte Veranlassung geben müssen, den Verfügungsantrag zurückzuweisen und die erlassene einstweilige Verfügung wieder aufzuheben. Dies umso mehr, als der Antragsgegner den prozessualen, nur in Teilbereichen hinreichend glaubhaft gemachten Sachvortrag der Antragstellerin umfassend bestritten hatte.

aa. Zu Gunsten des Antragsgegners streitet die amtliche Registereintragung eines prioritätsbesseren Rechtes. Selbst wenn insoweit – was indes nicht der Fall ist – eine Klärung im Verletzungsverfahren möglich wäre, oblag die volle Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast der Antragstellerin, so dass etwaige Unklarheiten oder Mängel zu ihren Lasten gingen. Es war nicht Sache des Antragsgegners, eine vermeintliche Priorität der Antragstellerin zu erschüttern. Zweifel an der Darstellung des Antragsgegners konnten insoweit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ausreichen. Ebenso wenig überzeugend wirft die Antragstellerin dem Antragsgegner vor, er habe es versäumt rechtzeitig zu behaupten, seine Marke genieße „tatsächlich“ die Priorität vom 08.06.2005. Derartiges musste der Antragsgegner nicht behaupten, weil dies vom HABM bereits festgestellt worden war.

bb. Allerdings hatte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 02.08.2007 weitere Erkenntnisse und Glaubhaftmachungsmittel vorgelegt, die in der Tat nachhaltige Zweifel daran begründen, dass der von dem Antragsgegner geltend gemachte Prioritätszeitpunkt in Bezug auf den Libanon zutreffend ist. Hiernach mag unter Umständen die Behauptung der Antragstellerin eine Bestätigung gefunden haben.

aaa. Dieser Sachvortrag kann indes die von dem Landgericht Hamburg getroffene Entscheidung nicht tragen. Denn das Landgericht hat diesen Sachvortrag in rechtlich zu beanstandender Weise seiner Entscheidung zu Grunde gelegt. Die mündliche Verhandlung vor dem Landgericht war am 18.07.2007 geschlossen worden. Verkündungstermin war auf den 09.08.2007 anberaumt worden. Damit hat die Antragstellerin mit ihrem Schriftsatz vom 02.08.2007 neuen Sachvortrag nach Schluss der mündlichen Verhandlung vorgetragen, der gemäß § 296 a ZPO nicht mehr berücksichtigungsfähig war. Dem zugleich gestellten Antrag der Antragstellerin, die mündliche Verhandlung gemäß § 156 ZPO wiederzueröffnen, hat das Landgericht nicht entsprochen und durfte diesem Antrag – wie noch auszuführen sein wird – auch nicht entsprechen. Dementsprechend war jedweder neuer Vortrag einer Berücksichtigung entzogen. Hiergegen hat das Landgericht verstoßen und seine Entscheidung sogar ausdrücklich maßgeblich auf die Erkenntnisse aus diesem unzulässigen Sachvortrag gestützt. Dieser Umstand hat auch im Rahmen einer Kostenentscheidung gemäß § 91 a ZPO Berücksichtigung zu finden.

bbb. Die Antragstellerin behauptet zu Unrecht, das Landgericht habe auf dieses neue Vorbringen „nur am Rande“ Bezug genommen, ohne seine Entscheidung hierauf zu stützen. Bereits die verwendete Formulierung „Abgesehen davon…“ lässt unzweifelhaft erkennen, dass das Landgericht seine Entscheidung (hauptweise) auf mehrere Argumente gleichzeitig gestützt hat. Das weitere Argument des Landgerichts, die von dem Antragsgegner vorgelegte „Bestätigung“ sei kein Mittel der Glaubhaftmachung, ist im Übrigen weder nachvollziehbar noch zutreffend. Zumindest hätte diese Rechtsauffassung einer nachprüfbaren Begründung bedurft. Dies vor allem deshalb, weil sich das Landgericht für seine Entscheidung umfassend auf von der Antragstellerin vorgelegte „Glaubhaftmachungsmittel“ (z.B. Anlagen ASt 45 und ASt 5) gestützt hatte, obwohl diese ebenfalls nicht in jeder Hinsicht den Voraussetzungen der Zivilprozessordnung in Bezug auf Glaubhaftmachungsmittel gemäß § 294 ZPO entsprechen. Insbesondere waren von der Antragstellerin keine Urkunden, sondern lediglich unbeglaubigte, zusammenhangslose Vorder- und Rückseiten als Kopien vorgelegt worden. Die Vorlage der Originale ist ebenfalls erst deutlich nach Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgt. Vor diesem Hintergrund durfte das Landgericht vor dem Hintergrund des Gebots einer fairen Prozessführung die von den Antragsgegnern als Mittel der Glaubhaftmachung vorgelegte „Bestätigung“ nicht ohne Weiteres als unbeachtlich behandeln. Die schon deshalb nicht, weil es ersichtlich – auch für die Antragstellerin – erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringt, Glaubhaftmachungsmittel aus einem fremden Kulturkreis mit für das Prozessgericht unleserlichen Schriftzeichen beizubringen, die den Anforderungen der nationalen Prozessordnung vollständig gerecht werden können.

ccc. Für die Frage der Berücksichtigungsfähigkeit des neuen Sachvortrags aus dem Schriftsatz vom 02.08.2007 ist es unerheblich, ob die Antragstellerin in der Lage gewesen wäre, diese Tatsachen zu einem früheren Zeitpunkt vorzutragen oder ob sie aufgrund aufwändiger Recherchen verständiger Weise erst nach der mündlichen Verhandlung vorliegen konnten. Im Rahmen des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung findet nach ständiger Rechtsprechung des Senats weder eine Vertagung der mündlichen Verhandlung gemäß § 227 Abs. 1 ZPO noch die Gewährung eines Schriftsatznachlasses gemäß § 283 ZPO statt. Vielmehr hat sich jede Prozesspartei darauf einzurichten, unmittelbar in der mündlichen Verhandlung alle erforderlichen Angriffs-, Verteidigungs- und Glaubhaftmachungsmittel vorzulegen. Sie hat sich insbesondere auch auf neuen bzw. ergänzenden Sachvortrag der Gegenpartei einzustellen und Vorsorge dafür zu treffen, hierauf auf der Stelle angemessen reagieren zu können. Dementsprechend war der Antragstellerin keine weitere Frist für etwaige ergänzende Recherchen zuzubilligen. Dies umso weniger, als die Antragstellerin als Angreiferin den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung in der Hand hatte. Wenn die Antragstellerin den Antragsgegner im Rahmen eines Verfügungsverfahrens mit dem Betrugsvorwurf einer Manipulation des Prioritätszeitpunktes konfrontieren wollte, musste sie darauf vorbereitet sein, der sich der Antragsgegner hiergegen nachhaltig zur Wehr setzen würde. Die von dem Antragsgegner in dem Eintragungsverfahren vor dem HABM vorgelegten libanesischen Unterlagen waren der Antragstellerin hinreichend und vollständig bekannt. Dementsprechend hätte es ordnungsgemäßer Prozessführung entsprochen, alle hierzu notwendigen Informationen zeitnah vor der Einleitung eines Verletzungsprozesses zu beschaffen, um im Rahmen eines Eilverfahrens zweckentsprechend auf Gegenargumente des Antragsgegners reagieren zu können bzw. – notfalls bei dem Erfordernis weiterer Recherchen – von einer Rechtsdurchsetzung im Eilverfahren abzusehen und ein ordentliches Klageverfahren anzustrengen. Dies hat die Antragstellerin offensichtlich versäumt, obwohl ein derartiges Vorgehen üblicher anwaltlicher Vorsicht im Verfahren des gewerblichen Rechtsschutzes entspricht. Dieser Umstand geht zu ihren Lasten. Die Antragstellerin wirft dem Antragsgegner insoweit zu Unrecht vor, er habe versucht, sie im Rahmen der mündlichen Verhandlung zu „überrumpeln“. Selbst wenn dieser Vorwurf zuträfe, wäre er unter Berücksichtigung der von der Antragstellerin selbst gewählten Verfahrensart nicht notwendigerweise von vornherein rechtsmissbräuchlich.

cc. Auch nach Vorlage weiterer Unterlagen bleibt der Sachverhalt unverändert undurchsichtig und ungeeignet, eine von der Registereintragung abweichende Beurteilung zu rechtfertigen. So ist etwa der als Anlage BB 1 von dem Antragsgegner vorgelegten Mietvertrag sowie die Arbeitsbescheinigung in Anlage BB 2 auf „ Z. H.K.T.“ (eine weibliche Person?) ausgestellt, während ausweislich der Anlage ASt 5 Markeninhaber „ Fr. R. H.K.T.“ (eine männliche Person mit weiblichem Kürzel der Anrede?) sein soll. Diese und weitere (möglicherweise nur vermeintliche) Widersprüche belegen mit aller Deutlichkeit, dass eine verbindliche Klärung der Prioritätslage bei Inanspruchnahme einer früheren ausländischen Priorität selbst unabhängig von den formalen Bindungswirkungen der Entscheidung des HABM auch inhaltlich nicht angemessen in einem Verletzungsrechtstreit im einstweiligen Verfügungsverfahren vorgenommen werden kann.

4. Eine nahe liegende, allerdings im vorliegenden Rechtsstreit nicht mehr berücksichtigungsfähige Erklärung für die unterschiedliche Beurteilung der libanesischen Eintragungspriorität mag sich allerdings aus den von der Antragstellerin selbst mit Schriftsatz vom 17.08.2007 zur Akte gereichten Originalunterlagen (Anlage ASt 10 bis ASt 12) ergeben. Dort heißt es in einer „Declaration“ am Ende unter „N.B.“:„It is to be noted that the date of the beginning of the protection in Lenbanon is the date of the actual payment of due fees, and hence the protection of trademark No. 105134 has started on 24/1/2006.” Als weitere Anlage ist eine „Declaration of trademark deposit“ beigefügt, die als „Date and time of deposit: 24/1/2006 at 11.24 a.m.“ ausweist. Auf der Grundlage dieser – von der Berücksichtigung ausgeschlossenen, weil erst weit nach der mündlichen Verhandlung eingereichten – Unterlagen stellt sich die Situation möglicherweise so dar, dass beide von den Parteien genannten Zeitpunkte ihre Berechtigung haben – und zwar ohne dass in Bezug auf das Datum (wohl aber möglicherweise auf die Art der Präsentation von Unterlagen gegenüber dem HABM ) ein Manipulationsvorwurf gerechtfertigt ist. Danach mag es so sein, dass die Marke des Antragsgegners tatsächlich bereits am 08.06.2005 im Libanon angemeldet (bzw. zur Anmeldung vorgelegt) worden ist, diese Anmeldung indes wesentlich später am/zum 24.01.2006 wirksam geworden ist, weil erst zu diesem Zeitpunkt die erforderlichen Gebühren eingezahlt worden sind. Ob eine derartige Wirksamkeitsvoraussetzung nach libanesischem Markenrecht tatsächlich besteht, lässt sich im vorliegenden Rechtsstreit nicht verlässlich beurteilen. Dies umso weniger im Hinblick auf die von dem Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht vorgelegte Bescheinigung eines „A.H. Translation Office“, aus der sich ergibt, dass die „Eintragungskosten“ bereits am 21.06.2005 vereinnahmt worden sein sollen. Diese Hinweise auf die mögliche Relevanz der beiden streitigen Zeitpunkte zeigen umso mehr, dass eine verbindliche Entscheidung über den Prioritätszeitpunkt einer Gemeinschaftsmarke mit der Inanspruchnahme einer früheren ausländischen Priorität nicht im Verletzungsverfahren getroffen werden kann.

5. Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass die Antragstellerin ohne das erledigende Ereignis – die Abgabe der Unterlassungserklärung des Antragsgegners mit Schriftsatz vom 02.11.2007 (Anlage BB 3) und deren Annahme durch die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 13. 11. 2007 (Anlage BB 4) – bei streitiger Fortführung des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz voraussichtlich unterlegen wäre. Dementsprechend sind ihr gemäß § 91 a ZPO die gesamten Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Die zahlreichen weiteren Streitpunkte, die von den Parteien im Rahmen dieses Rechtsstreits thematisiert worden sind, bedürfen angesichts der Tatsache, dass dem Verfügungszeichen schon nicht der Prioritätsvorrang gegenüber dem Verletzungszeichen gebührt, keiner weiteren Erörterung.

6. Im Hinblick auf das zu beanstandende prozessuale Vorgehen des Landgerichts bei der Entscheidungsfindung sowohl bei dem Erlass der einstweiligen Verfügung als auch bei dem Widerspruchsurteil hat es der Senat für notwendig erachtet, im vorliegenden Fall – ausnahmsweise – die Wirkungslosigkeit der einstweiligen Verfügung sowie des Widerspruchsurteils als Folge der übereinstimmenden Erledigungserklärung zur Klarstellung ausdrücklich festzustellen. Nach der Rücknahme der Klage kann das Gericht die Wirkungslosigkeit zuvor ergangener Entscheidungen gemäß § 269 Abs. 3 Satz 1 und 3 ZPO aussprechen (BGH GRUR 98, 818 – Puma). Entsprechendes gilt bei übereinstimmender Hauptsacheerledigung gem. § 91a ZPO.

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