LG Stuttgart: Rechtsschutz von generischen Umlaut-Domains – bürger.de

LG Stuttgart, Urteil vom 05.07.2005 – 17 O 128/05
§§ 14 Abs. 2 Nr. 1, 2; 15 Abs. 2 MarkenG

Leitsätze

Aus der Inhaberschaft an einer Domain mit umschriebenem Umlaut lässt sich ein Recht an der entsprechenden IDN (Umlautdomain) nicht herleiten. Es bleibt dabei, dass bei Gattungsbegriffen in aller Regel das Prioritätsprinzip gilt.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Streitwert: 100.000 EUR

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um die Domain „bürger.de“.

2
Die klagende B KG stellt Lebensmittel her, insbesondere schwäbische Teigspezialitäten. Sie benutzt seit 1934 das Firmenkennzeichen „Bürger“ und ist Inhaberin von Wort- und Wort-/Bildmarken mit dem Zeichen „Bürger“. Sie genießt in den Landesteilen Württemberg, Baden, Bayern, Hessen und Pfalz einen besonderen Ruf. Die Klägerin unterhält seit dem Jahr 2002 unter der Domain „buerger.de“ eine eigene Webseite.

3
Die Beklagte registrierte unmittelbar mit der Bereitstellung der Umlaut-Domains im März 2004 die IDN (Umlaut-Domain) „bürger.de“. Sie betreibt unter dieser Domain ein Erotikangebot.

4
Die Klägerin verlangt Unterlassung und Freigabe der Domain. Sie meint, sie habe die besseren Rechte daran. Die Beklagte verletze die Namens- und Markenrechte der Klägerin, das die Beklagte selbst keine Marken-, Namens- und Kennzeichnungsrechte an dem Zeichen „Bürger“ habe und ihr Angebot auch keinen Bezug habe zu dem Begriff „Bürger“. Die Beklagte blockiere die Klägerin und behindere sie in sittenwidriger Weise. Die Klägerin beruft sich auch auf den Schutz der bekannten Marke, da sie durch ihre mindestens regionale Verkehrsgeltung bundesweit Schutz zu beanspruchen habe.

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Die Klägerin beantragt,

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1. der Beklagten zu verbieten, sich im geschäftlichen Verkehr der Internet-Domain „bürger.de“ zu bedienen, insbesondere, sie auf einer Homepage einzusetzen oder einsetzen zu lassen,

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2. der Beklagten es aufzugeben, gegenüber der deutschen Registrierungsstelle DENIC die Domain „bürger.de“ freizugeben,

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3. der Beklagten für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten anzudrohen,

9
4. der Beklagten die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in Höhe von 900,10 EUR aufzuerlegen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie ist der Auffassung, bei Domains mit beschreibendem Inhalt gelte uneingeschränkt das Prioritätsprinzip. Marken- oder namensrechtliche Ansprüche der Klägerin scheiterten an der fehlenden Produktähnlichkeit und der schwachen Kennzeichnungskraft des Zeichens der Klägerin. Aus Kennzeichen mit nur regionaler Verkehrsgeltung lasse sich kein bundesweites Verbotsrecht herleiten. Nachdem die Klägerin über die Domain „buerger.de“ verfüge, könne sie nicht behindert sein und benötige nicht zusätzlich „bürger.de“. Die Beklagte trägt vor, es fehle auch an einer Schädigungsabsicht, und zwar schon deshalb, weil sie plane, die Domain im Rahmen eines Jugendschutzsystems im Internet einzusetzen.

13
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 31.05.2005 (Bl. 53/54 d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nicht begründet.

15
Der Klägerin stehen keine Unterlassungs-, Freigabe- oder Zahlungsansprüche zu. Die Voraussetzungen eines markenrechtlichen Anspruches liegen nicht vor (Ziff. 1). Daneben sind namensrechtliche Ansprüche ausgeschlossen (Ziff. 2). Auch wettbewerbsrechtliche oder bürgerlich-rechtliche Normen ergeben keine Grundlage für die Klage (Ziff. 3). Aus der Inhaberschaft an einer Domain mit umschriebenem Umlaut lässt sich ein Recht an der entsprechenden IDN (Umlautdomain) nicht herleiten (Ziff. 4). Es bleibt dabei, dass bei Gattungsbegriffen in aller Regel das Prioritätsprinzip gilt.

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1. a) Markenrechtliche Ansprüche nach §§ 14 Abs. 2 Nr. 1, 2 bzw. 15 Abs. 2 MarkenG bestehen nicht und werden von der Klägerin auch nicht geltend gemacht, weil zwischen den Lebensmitteln der Klägerin und dem Erotikangebot der Beklagten keinerlei Produktähnlichkeit besteht, sondern Produktferne. Nichts anderes würde gelten, wenn man von der behaupteten zukünftigen Nutzung der Beklagten – Jugendschutzsystem im Internet – ausgehen würde. Eine Verwechslungsgefahr scheidet daher aus.

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b) Bekanntheitsschutz über den Ähnlichkeitsbereich hinaus nach §§ 14 Abs. 2 Nr. 3, 15 Abs. 3 MarkenG steht der Klägerin nicht zu, denn dass ihre Marke oder Firma bundesweit bekannt wäre im Sinn dieser Normen, behauptet sie selbst nicht. Nach der „Chevy“-Rechtsprechung des EuGH wäre dazu Bekanntheit in einem wesentlichen Teil eines Mitgliedsstaats erforderlich (GRUR Int. 2000, 73 – Tz. 26). Die regionale Verkehrsgeltung in einzelnen Bundesländern, wie die Klägerin sie reklamiert, reicht dazu nicht aus (BGH GRUR 1991, 465, 466 – Salomon). Das gilt insbesondere für den Bereich der Domainnamen, weil hier besonders hohe Anforderungen für den Schutz bekannter Marken gelten (vgl. Ingerl/Rohnke, MarkenG, 2. Aufl., Rn. 71 nach § 15). Abgesehen davon fehlt es auch dem weiteren Merkmal der unlauteren Rufausnutzung (näher dazu unten Ziff. 3).

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c) Die Argumentation der Klägerin zum bundesweiten Schutz von Zeichen mit nur regionaler Verkehrsgeltung trägt nicht. Die Meinung von Ingerl/Rohnke (a.a.O., § 14 Rn. 802), wonach es über § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG hinaus einen räumlich beschränkten Schutz innerhalb der Region, in der Verkehrsgeltung besteht, geben könne, betrifft die vorliegende Konstellation schon deshalb nicht, weil diese Ausnahme nur für nicht eingetragene Marken gelten soll. Hier geht es dagegen vor allem um eingetragene Marken, weshalb die Vorgaben der MRRL der Auslegung der markenrechtlichen Normen Grenzen setzen. Eine solche Erweiterung wird von der Rechtsprechung daher auch nicht anerkannt. Denn nach der Systematik des Markengesetzes verschafft Verkehrsgeltung zwar Markenschutz ohne Eintragung (§ 4 Nr. 2), aber keinen Markenschutz ohne Verwechslungsgefahr (§ 14 Abs. 2 Nr. 1, 2 einerseits und Nr. 3 andererseits). Selbst wenn man aber diese Auffassung zu Grunde legte, würden räumlich beschränkte Unterlassungsansprüche der Klägerin keinen Anspruch auf Freigabe einer bundesweit nutzbaren Domain zur Folge haben.

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2. Auf Namensrecht kann die Klägerin ihr Begehren nicht stützen, weil das Markenrecht in seinem Anwendungsbereich als speziellere Regelung grundsätzlich namensrechtliche Ansprüche sperrt, um Wertungswidersprüche zu vermeiden (BGH NJW 2002, 2031 ff. – shell.de, mit zahlreichen Nachweisen; dem folgend die Kammer, z.B. Urteil vom 24.10.2002, Az. 17 O 240/02 – unicomp.de ; ebenso Ingerl/Rohnke, a.a.O., Rn. 3, 4 nach § 15). Zu keinem anderen Ergebnis gelangt man, wenn man zwar die Anwendbarkeit bejaht, aber wegen des Spezialitätsverhältnisses die Begründetheitsvoraussetzungen des namensrechtlichen Anspruchs denen des markenrechtlichen angleicht (vgl. Ingerl/Rohnke, MarkenG, 1. Aufl., nach § 15 Rn. 5.).

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3. a) Für einen außermarkenrechtlichen Anspruch zum Schutz der geschäftlichen Bezeichnung nach §§ 3, 4 Nr. 10 UWG fehlt es schon am Wettbewerbsverhältnis. Vor allem fehlt es aber an einem unlauteren oder sittenwidrigen Verhalten. Dasselbe gilt für deliktische bürgerlich-rechtliche Ansprüche nach § 823 Abs. 1 BGB (Eingriff in den Gewerbebetrieb) bzw. § 826 BGB. Entgegen der Auffassung der Klägerin bedarf die Registrierung und Benutzung einer bestimmten Domainbezeichnung keiner besonderen Rechtfertigung, so lange fremde Namens- und Kennzeichenrechte nicht verletzt werden. Daher kommt es nicht darauf an, wer von den Parteien die besseren Rechte an der Bezeichnung „Bürger“ hat. Es spielt auch keine Rolle, dass das Erotikangebot der Beklagten als solches wenig schutzwürdig erscheint und keine Beziehung zu dem Begriff „Bürger“ aufweist. Im Bereich der aus Gattungsbegriffen gebildeten Domainnamen gilt uneingeschränkt das Prioritätsprinzip, und zwar selbst dann, wenn an dem Gattungsbegriff gleichzeitig Namens- und Kennzeichnungsrechte bestehen, wie der Bundesgerichtshof jüngst klargestellt hat (Urteil vom 02.12.2004, Az. I ZR 207/01 – weltonline.de, ebenso NJW 2001, 3262 ff. – mitwohnzentrale.de). Das entspricht auch der Rechtsprechung im hiesigen OLG-Bezirk (OLG Stuttgart GRUR 2002, 192 ff. – netz.de). Denn auf Seiten der Beklagten stellt die Benutzung der Domain „bürger.de“ einen bloßen Hinweis auf den Begriff „Bürger“ im Sinn von „Einwohner“ dar und enthält keinen Bezug auf die Klägerin. Denn dass die Beklagte mit der Namenswahl gezielt die an Delikatessen interessierten Kunden der Klägerin ansprechen und auf ihr eigenes, in anderer Weise delikates Onlineangebot aufmerksam machen wolle, behauptet die Klägerin selbst nicht, und derartiges ist auch sonst in keiner Weise ersichtlich.

21
Der Hinweis der Klägerin auf die „J.C.Winter“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (GRUR 1996, S. 422 ff.) ändert an diesen Grundsätzen nichts, denn in diesem Fall ging es um eine Verwendung der als Name – und nicht als Sachhinweis – verstandenen Zeichen „J.C.Winter“ bzw. „Winter“.

22
b) Das Verhalten der Beklagten stellt auch keine sittenwidrige Blockade gegenüber der Klägerin dar. Dass diese faktisch gehindert wird, unter derselben Domainadresse online erreichbar zu sein, ist eine Folge dessen, dass Domains Unikate sind, und – jedenfalls im hier vorliegenden Bereich der Gattungs-Domains – nicht Folge einer gezielten Behinderung.

23
Abgesehen ist die Klägerin unter ihrem Firmenschlagwort „Bürger“ über die Domain „buerger.de“ im Internet vertreten. Der Einwand der Klägerin, sie brauche sich nicht auf eine grammatikalisch falsche Schreibweise verweisen zu lassen, verfängt nicht.

24
a) Das gilt zum einen deswegen, weil die Schreibweise mit umschriebenem Umlaut zwar im Deutschen grammatikalisch falsch sein mag. Im für das Internet maßgebenden internationalen Verkehr ist sie es dagegen nicht. Deutsche Umlaute werden international und daher auch im Verkehr mit Domainnamen durch Umschreibung umgesetzt. Daran ist der Verkehr jedenfalls bisher auch gewöhnt, wie den Kammermitgliedern aus beruflicher und privater Anschauung selbst bekannt ist. Insofern erscheint „buerger.de“ nicht als „falsche“ und „bürger.de“ nicht als „richtige“ Domain der Klägerin, und insbesondere stehen sie nicht in einem Verhältnis von „Hauptdomain“ und „Ersatzdomain“ wie etwa „bürger.de“ zu „bürger-online.de“, „bürger-web.de“ o.ä.

25
b) Zum anderen greift der Einwand der Klägerin deshalb nicht, weil es die Zeichenfolge „bürger.de“ als Domainname an sich gar nicht gibt, sondern es sich dabei nur eine vereinfachende Schreibweise für die Domain „xn--brger-…de“ handelt. Seit der Einführung des neuen IDNA-Standards (Internationalizing Domain Names in Applications), für die de-Domains umgesetzt seit 01.03.2004, besteht zwar die Möglichkeit, bestimmte Umlaute in Domains zu verwenden. Dabei handelt es sich jedoch nur um die Vereinbarung einer Umschreibung für Umlaute, also eine Art Lesehilfe, nicht aber um eine echte Erweiterung der im Internet verwendbaren Domainnamen. Denn die Umlaute müssen von den Anwendungen des jeweiligen Nutzersystem umcodiert werden mit der Folge, dass weder die Internetserver diese Schreibweise benutzen noch dass alle Endbenutzersysteme sie ohne aktualisierte Software beherrschen (vgl. zum technischen Hintergrund z.B. http://de.wikipedia.org/wiki/IDNA). Die Domain mit der Bezeichnung „xn--brger-…de“ steht der Beklagten aber ebenso gut oder wenig zu wie der Klägerin, weshalb es beim Prioritätsprinzip bleiben muss.

26
4. Denkbar und möglicherweise konsequent und zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten auch sinnvoll wäre es unter Umständen gewesen, dem Inhaber einer Domain mit umschriebenem Umlaut ein Recht an der entsprechenden IDN (Umlautdomain) einzuräumen. Der Gesetzgeber hat von dieser Möglichkeit aber keinen Gebrauch und der de-Registrierungsstelle DENIC eG auch keine solchen Vorgaben gemacht. Aus der Tatsache, dass es in Deutschland für IDNs nicht einmal eine sog. „sunrise period“, also eine Vorregistrierungsphase für Interessenten mit entsprechenden Schutzrechten gegeben hat, ist zu schließen, dass der Gesetzgeber an der Vergabe der Domains schlicht nach der Reihenfolge der Registrierungen nichts ändern und Vorrechte für Inhaber entsprechender Umschreibungs-Domains nicht einräumen wollte. Eine solche gesetzgeberische Entscheidung hat die Rechtsprechung zu akzeptieren.

27
Nebenentscheidungen: §§ 91, 709 S. 1, 2 ZPO

(Unterschriften)

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