BPatG: WEB VIP / VIP

BPatG, Beschluss vom 08.08.2007 – 32 W (pat) 272/03
MarkenG § 42 Abs. 2 Nr. 1, § 125 b, § 125 d; GMV Art. 32, Art. 108 bis 110

Leitsatz:

Ein auf eine Gemeinschaftsmarkenanmeldung gestützter Widerspruch bleibt zulässig, wenn die Gemeinschaftsmarkenanmeldung rechtskräftig zurückgewiesen und anschließend wirksam in eine deutsche Markenanmeldung umgewandelt wird (Abweichung von BPatG Mitt. 2005, 277 – TAXI MOTO).

Beschluss

betreffend die Marke 300 68 132

hat der 32. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker sowie der Richter Viereck und Kruppa in der Sitzung vom 8. August 2007

beschlossen:

1. Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 41 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 24. Juni 2003 aufgehoben.

Die Marke 300 68 132 wird wegen des Widerspruchs aus der Marke 305 18 876 gelöscht.

2. Die Rechtsbeschwerde wird – beschränkt auf die Frage der Zulässigkeit des Widerspruchs – zugelassen.

Gründe

I.
Die Wortmarke

WEB VIP

ist am 12. September 2000 angemeldet und am 26. März 2001 für die Waren und Dienstleistungen

„09: Magnetaufzeichnungsträger, Schallplatten, analoge und digitale Ton-, Bildton und Datenträger; 38: Ausstrahlung von Rundfunk- und Fernsehprogrammen; Telefon- und Datendienste; Inter-net-Dienste, nämlich Übertragungen von Daten/Nachrichten; Online-Dienste, nämlich Übermittlung von Nachrichten aller Art in Ton, Schrift und Bild; Betrieb und Vermietung von Telekommunikationseinrichtungen; Bereitstellung und Übermittlung von Informationen und Nachrichten aller Art in Bild und Ton; Dienstleistungen eines Online-Anbieters, nämlich Sammeln, Bereitstellen und Übermitteln von Informationen, Texten, Zeichnungen und Bildern über Waren und Dienstleistungen; Betrieb und Vermietung von Einrichtungen für die Telekommunikation; Durchführung von Telefondiensten; Teletext-Services; computergestützte Übertragung von Nachrichten und Bildern; e-Mail-Datendienste (elektronischer Postversand); Pagingdienste (Personalrufdienste); Bereitstellung einer Hotline; Dienstleistungen eines Call-Centers, nämlich Vermittlung, Bearbeitung und Weiterleitung von Waren- und Dienstleistungsbestellungen, Servicebetreuung über Hotlines; 41: Musikveranstaltungen, Musikdarbietungen, Rundfunk- und Fernsehunterhaltung; Rundfunk- und Fernsehproduktion; Veranstaltung von Spielen im Rundfunk, im Fernsehen, in sonstigen audiovisuellen Medien sowie in elektronischen und digitalen Medien und Netz-werken; 42: Internet-Dienste, nämlich Vermittlung und Vermietung von Zugriffszeiten auf Datenbanken, Sammeln, Speichern und Verarbeiten von Daten/Nachrichten; Gestaltung, Design, Bereitstellung von WEB-Seiten und Home-Pages; internetbezogene Dienstleistungen, nämlich Bereitstellung eines Zugangs zu Texten, Grafiken, audiovisuellen und Multimedia-Informationen, Dokumenten, Datenbanken und Computerprogrammen; Einstellen von WEB-Seiten ins Internet für Dritte (WEB-Hosting); Dienstleistungen eines Online-Dienstes, nämlich Bereitstellung von Datenbanken zu interaktiven Foren“

unter der Nr. 300 68 132 in das Markenregister des Deutschen Patent- und Markenamts (nachfolgend als DPMA bezeichnet) eingetragen worden. Die Veröffentlichung erfolgte am 26. April 2001.

Gegen diese Marke ist am 25. Juli 2001 Widerspruch erhoben worden aus der beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (nachfolgend als HABM bezeichnet) am 29. März 2000 für Waren in Klasse 9 und Dienstleistungen in den Klassen 38 und 42 eingereichten Anmeldung der Wort-/Bildmarke

… (VIP)

welche dort unter dem Aktenzeichen 1 581 446 geführt wurde.

Durch Beschluss der Markenstelle für Klasse 41 – Beamtin des gehobenen Dienstes – vom 24. Juni 2003 ist der Widerspruch wegen fehlender Verwechslungsgefahr zurückgewiesen worden. Es stünden sich überwiegend identische und sehr ähnliche Waren/Dienstleistungen gegenüber, weshalb bei vorhandenem durchschnittlichen Schutzumfang der Widerspruchsmarke hohe Anforderungen an den Markenabstand zu stellen seien. Beim Vergleich der Zeichen sei auf den Wortbestandteil „VIP“ der Widerspruchsmarke abzustellen, weil es sich insoweit um die einfachste und kürzeste Bezeichnungsform handele. In Anbetracht des zusätzlichen Bestandteils „WEB“ der jüngeren Marke seien die Unterschiede so deutlich, dass weder in klanglicher noch in bildlicher Hinsicht Irrtümer in Betracht kommen könnten. Der Bestandteil „VIP“ sei innerhalb der angegriffenen Marke nicht selbständig kennzeichnend. Zwar sei „WEB“ die gebräuchliche Abkürzung für das „World Wide Web“ (= Internet), weshalb diesem Markenbestandteil als beschreibende Aussage keine Kennzeichnungskraft zukomme. Aber auch „VIP“, die geläufige Abkürzung für „very important person“, sei beschreibend (im Sinne einer wichtigen Persönlichkeit, die Gegenstand der Dienstleistungen sein könne) und daher kennzeichnungsschwach, weshalb für den Verkehr keine Veranlassung bestehe, diesen an letzter Stelle stehenden Bestandteil herauszugreifen und nur so die Marke zu benennen. Der Verkehr werde „WEB VIP“ eher als Gesamtbegriff i. S. v. „prominente Person im Internet“ auffassen und, auch wegen des reimartigen Klangs, die Marke nur in ihrer Gesamtheit wiedergeben. Eine mittelbare Verwechslungsgefahr scheide aus, weil die Widersprechende nicht über eine Zeichenserie mit dem Bestandteil „VIP“ verfüge und es zudem eine Vielzahl von Marken unterschiedlicher Hersteller und Anbieter mit diesem Wort gebe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden.

Angesichts des Umstands, dass die sich gegenüberstehenden Waren und Dienstleistungen weitgehend identisch und im Übrigen hochgradig ähnlich seien, müssten an den erforderlichen Markenabstand nicht nur „hohe Anforderungen“ gestellt, sondern strenge Maßstäbe angelegt werden, die vorliegend nicht eingehalten würden. Dem Bestandteil „WEB“ der jüngeren Marke komme keine selbständig kennzeichnende bzw. prägende Stellung innerhalb dieser Marke zu, weil es sich um eine ersichtlich glatt beschreibende Angabe handele; dies sei auch in mehreren Entscheidungen des Bundespatentgerichts und des HABM festgestellt worden. Das Wort „WEB“ vermittele auch bei einer Verknüpfung mit anderen Bestandteilen den Sachhinweis, dass die jeweiligen Waren/Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Internet stünden oder zur Verwendung im Internet geeignet seien.
Demgegenüber sei der Begriff „VIP“ unterscheidungskräftig und selbständig kennzeichnend, was auch daraus folge, dass eine entsprechende Wortmarke in Alleinstellung u. a. für Waren in Klasse 9 und Dienstleistungen in Klasse 38 zur Eintragung gelangt sei (deutsche Marke 399 56 351). Dass der Bestandteil „VIP“ in einer Vielzahl von Marken enthalten sei, begründe keine Kennzeichnungsschwäche.
Es sei nicht bekannt, ob und inwieweit die betreffenden Drittmarken benutzt würden; die bloße Registerlage sei, auch in Anbetracht des generell starken Anstiegs von Markenanmeldungen, noch kein Indiz für die Kennzeichnungsschwäche einer Bezeichnung. Zudem seien die sich gegenüberstehenden Marken insoweit verwechselbar, als sie gedanklich miteinander in Verbindung gebracht werden könnten. Sie, die Widersprechende, sei Inhaberin einer Serie von Gemeinschaftsmarken mit dem Bestandteil „VIP“.

Die Widersprechende stellt den Antrag,

den Beschluss der Markenstelle für Klasse 41 vom 24. Juni 2003 aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen.

Die Markeninhaberin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung der Markenstelle für zutreffend. Innerhalb der jüngeren Marke seien die Bestandteile „WEB“ und „VIP“ gleichgewichtig, letzterem komme keine eigenständige Kennzeichnungskraft zu. Der Sinngehalt der Marke (= prominente Person im Internet) ergebe sich aus der Gesamtheit beider Teile. Daraus, dass in einzelnen, im Blick auf die jeweils beanspruchten Waren und Dienstleistungen besondert gelagerten Fällen eine Schutzfähigkeit für Kombinationen mit dem Bestandteil „WEB“ verneint worden sei, lasse sich nicht der Schluss ziehen, dieses Wortelement dürfe innerhalb eines zusammengesetzten Zeichens – wie hier der jüngeren Marke – bei der Kollisionsprüfung nicht berücksichtigt werden. Zudem seien Kombinationen mit dem Bestandteil „WEB“ in einer Vielzahl von Fällen zur Registrierung gelangt. Es gebe auch zahlreiche, für unterschiedliche Inhaber registrierte nationale und Gemeinschaftsmarken mit dem Wortbestandteil „VIP“. Die Widersprechende verfüge bisher lediglich über zwei eingetragene Gemeinschaftsmarken mit diesem Wortbestandteil, so dass von einer Markenserie vorliegend nicht ausgegangen werden könne; außerdem sei der Bestandteil „VIP“ dort jeweils vorangestellt. Zudem stehe „VIP“ in der Widerspruchsmarke, anders als in der jüngeren Marke, nicht als Abkürzung für „Very Important Person“, sondern für „Versatile Internet Platform“.
Seitens des HABM – Widerspruchsabteilung – wurde mit Beschluss vom 29. Oktober 2004 aufgrund eines Widerspruchs von dritter Seite die Anmeldung der Gemeinschaftsmarke 1 581 446 zurückgewiesen. Die Widersprechende hat daraufhin am 24. März 2005 beim HABM den Antrag auf vollständige Umwandlung in eine deutsche Markenanmeldung gestellt, den das HABM genehmigt und am 31. März 2005 dem DPMA übermittelt hat; die Anmeldung wurde dort unter dem Aktenzeichen 305 18 876.3 geführt.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 23. November 2005 – zu diesem Zeitpunkt war das Eintragungsverfahren bezüglich der aus der Umwandlung hervorgegangenen deutschen Markenanmeldung noch nicht abgeschlossen – war Gegenstand der Erörterung u. a. die Frage, ob der Widerspruch, nunmehr gestützt auf die nationale Markenanmeldung, weiterhin zulässig ist. Die Beteiligten haben hierzu im Hinblick auf die Entscheidung des 27. Senats des Bundespatentgerichts vom 9. November 2004 (27 W (pat) 172/02, Mitt. 2005, 277 – TAXI MOTO) unterschiedliche Ansichten vertreten; die Widersprechende hat ihre Auffassung in einem nachgereichten Schriftsatz vertieft.

Der Senat hat mit einem am 25. Januar 2006 an Verkündungs Statt zugestellten Beschluss das Beschwerdeverfahren bis zum Abschluss des Eintragungsverfahrens der Markenanmeldung 305 18 876.3 ausgesetzt.

Die Marke 305 18 876 ist am 26. Oktober 2006 in das Markenregister des DPMA eingetragen worden. Widerspruch wurde nicht erhoben. Das Verzeichnis der Waren und Dienstleistungen lautet nunmehr, nach zwei Beschränkungen in den Jahren 2006 und 2007, wie folgt:

„09: Elektrische und elektronische Apparate und Instrumente (soweit in Klasse 9 enthalten) ausgenommen für Beleuchtungszwecke; Geräte zur Aufzeichnung, Übertragung und Wiedergabe von Ton und/oder Bild und/oder elektronisch verarbeiteten Daten (soweit in Klasse 9 enthalten); Rechenmaschinen, Datenverarbei-tungsgeräte, Computer, Computer-Steckkarten, Bildschirme, Drucker, Datenaufzeichnungsträger, insbesondere bespielte und unbespielte Disketten, CD-ROMs, CDs; elektronische Medien (soweit in Klasse 9 enthalten); elektronisch gespeichertes Lehrmaterial für die Datenverarbeitung; Computerprogramme, insbesondere für Internet-Dienste, Datenbankanwendungen

38: Telekommunikation; elektronischer Datenaustausch; Kommunikationsdienste über das Internet, Intranet, Extranet; Bereitstellung von Zugangsmöglichkeiten zu Datenbanken und zum Internet mittels Telekommunikation

42: Computer-Programmierdienstleistungen; Beratung, Design, Prüfung und Forschung im Bereich der Datenverarbeitung; Vermietung und Leasing von Computern; Software-Dienstleistungen in bezug auf Computernetze; Erstellung von Web-Sites.“

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
Wegen sonstiger Einzelheiten wird auf den Inhalt der Amts- und Gerichtsakten Bezug genommen.

II.
Die Beschwerde der Widersprechenden ist, da sie vor dem 31. Dezember 2004 eingelegt wurde, ohne vorherige Erinnerung statthaft und auch sonst zulässig (§ 66, § 165 Abs. 4 a. F. MarkenG). In der Sache hat sie Erfolg.

1. Der Widerspruch ist (weiterhin) zulässig.

Er war ursprünglich, gemäß Widerspruchsschriftsatz vom 25. Juli 2001, gestützt auf die „EU-Marke 1 581 446 – VIP“, die zu diesem Zeitpunkt, wie auch aus der dem Widerspruch beigefügten Anlage ersichtlich, zwar bereits veröffentlicht, aber noch nicht in das Gemeinschaftsmarkenregister eingetragen. Da nach den Regelungen von § 42 Abs. 2 Nr. 1, § 125 b Nr. 1 die angemeldete Marke der bereits registrierten (Gemeinschafts-)Marke gleichgestellt ist, war der Widerspruch aus der Gemeinschaftsmarkenanmeldung statthaft und erfüllte auch die sonstigen (formalen) Voraussetzungen an die Zulässigkeit.

Der Widerspruch ist auch nicht deshalb nachträglich unzulässig geworden, weil die betreffende Anmeldung aufgrund der Entscheidung der Widerspruchsabteilung des HABM vom 29. Oktober 2004 zurückgewiesen und somit nicht zur Eintragung in das Gemeinschaftsmarkenregister gelangt ist. Denn die Widersprechende hat – nach den insoweit bindenden Feststellungen des HABM – in zulässiger Weise die Umwandlung der Gemeinschaftsmarkenanmeldung 1 581 446 in eine nationale, d. h. deutsche, Markenanmeldung beantragt, die nach der gemäß § 125 d Abs. 2 Satz 1 vorgeschriebenen Prüfung durch das DPMA auf absolute Schutzhindernisse zur Eintragung in das deutsche Markenregister unter der Nr. 305 18 876 geführt hat. Diese deutsche Marke ist an die Stelle der genannten Gemeinschaftsmarkenanmeldung getreten. Dass die Eintragung in das deutsche Markenregister sich nicht (mehr) auf sämtliche ursprünglich beanspruchten Waren und Dienstleistungen erstreckt, gibt zu keiner anderen Beurteilung Anlass. die Widersprechende hat durch die Beschränkung des Verzeichnisses im nationalen Eintragungsverfahren und nochmals im Anschluss an die Registrierung lediglich von ihrer Befugnis nach § 39 Abs. 1 MarkenG Gebrauch gemacht.

Allerdings hat der 27. Senat des Bundespatentgerichts in einem gleichgelagerten Fall den auf der Grundlage der nationalen Folgemarke weiterbetriebenen Widerspruch als unzulässig, nämlich verfristet angesehen (BPatG Mitt. 2005, 277, 278 – TAXI MOTO; dem folgend auch Kirschneck in: Ströbele/Hacker, Markengesetz, 8. Aufl., § 42 Rn. 8). Zur Begründung hat er im wesentlichen ausgeführt, dass der Widersprechende mit der nationalen Folgemarke zwar über ein prioritätsälteres Recht verfüge. Der Widerspruch aus dieser Marke sei aber nicht innerhalb der 3-Monats-Frist des § 42 Abs. 1 MarkenG eingelegt worden. Der auf die Gemeinschaftsmarkenanmeldung gestützte Widerspruch dagegen habe mit deren rechtskräftiger Zurückweisung seine Erledigung gefunden. Mangels einer entsprechenden Regelung im deutschen Recht lebe er auch nicht nach der erfolgten Umwandlung wieder auf. Mit der Umwandlung entstehe eine von der Gemeinschaftsmarkenanmeldung unabhängige und eigenständige nationale Anmeldung. Einziger Rechtsvorteil einer solchen aus einer Umwandlung hervorgegangenen Anmeldung bzw. Marke gegenüber einer regulär angemeldeten Marke sei der durch die Gemeinschaftsmarkenanmeldung begründete und erhalten gebliebene Zeitrang. Schutzlos werde der Inhaber dieser älteren Marke durch den Verlust des Wider-spruchs im übrigen nicht gestellt, da ihm die Möglichkeit der Löschungsklage verbleibe.

Dem vermag der erkennende Senat nicht beizutreten. Dass das nationale Folgerecht den Zeitrang und gegebenenfalls die Priorität der gescheiterten Gemeinschaftsmarkenanmeldung in Anspruch nehmen kann, ergibt sich aus Art. 108 Abs. 3 GMV. Darin erschöpft sich das Wesen dieses Folgerechts indessen nicht. Vielmehr verkörpern die (angemeldete) Gemeinschaftsmarke und die aus dieser im Wege der Umwandlung entstandene nationale Anmeldung bzw. Marke, unbeschadet der räumlich beschränkten Geltung der Letzteren, dasselbe materielle Schutzrecht. Besonders deutlich tritt dies in den Bestimmungen der Art. 32 und 108 Abs. 7 GMV zutage. Nach Art. 32 GMV hat die Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke, deren Anmeldetag feststeht, in den Mitgliedstaaten die Wirkung einer vorschriftsmäßigen nationalen Hinterlegung. Hieran anknüpfend bestimmt Art. 108 Abs. 7 GMV, dass diese Wirkung erlischt, wenn der Umwandlungsantrag nicht innerhalb der – vorliegend einschlägigen – Frist des Art. 108 Abs. 6 GMV eingereicht wurde. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die Wirkung des Art. 32 GMV zunächst bis zum Ablauf der Umwandlungsfrist und, falls der Antrag recht-zeitig gestellt wird, auch darüber hinaus erhalten bleibt. Dabei stellt sich die Wirkungsanordnung des Art. 32 GMV letztlich als eine gesetzliche Fiktion dar, die mit der Überleitung der Umwandlung in das nationale Verfahren zur Wirklichkeit wird. Dieser Regelungszusammenhang steht nach Auffassung des Senats der Annahme entgegen, dass die Gemeinschaftsmarkenanmeldung mit ihrer rechtskräftigen Zurückweisung schlechthin untergehe und eine aus der Umwandlung hervorgehende nationale Folgeanmeldung und -marke als unabhängiges und eigenständiges Schutzrecht zu begreifen sei, so dass zwischen dem Eintritt der Rechtskraft der Zurückweisung der Gemeinschaftsmarkenanmeldung und dem Eingang der Umwandlungsanmeldung bei der nationalen Behörde juristisches Niemandsland liegt. Es ist vielmehr von einer Kontinuität von Gemeinschaftsmar-kenanmeldung und nationalem Folgerecht auszugehen.
Intention des europäischen Gesetzgebers war es offensichtlich, dem mit einer Gemeinschaftsmarkenanmeldung gescheiterten Inhaber gleichwohl auf nationaler Ebene die Wirkungen der Anmeldung so weit wie möglich zu erhalten. Zu den Wirkungen der Anmeldung gehört aber gerade auch die Widerspruchsbefugnis. Der Tragweite dieses vor allem in Art. 32 und 108 Abs. 7 GMV zum Ausdruck gekommenen Anliegens wird es nicht gerecht, als einzigen Vorteil des nationalen Folgerechts dessen aus dem Gemeinschaftsrecht übernommenen Zeitrang zuzubilligen und seinen Inhaber auf die Möglichkeit der Löschungsklage zu verweisen.

Dass unabweisbare praktische Belange eine andere Sichtweise rechtfertigen könnten, ist nicht ersichtlich. Allerdings tritt mit der Rechtskraft der die Gemeinschaftsmarkenanmeldung zurückweisenden Entscheidung zunächst ein Schwebezustand ein, weil nicht bekannt ist, ob überhaupt ein Umwandlungsantrag gestellt werden wird. Daher kann über den Widerspruch zunächst nicht entschieden werden, es sei denn, dieser wäre aus anderen Gründen, z. B. mangels Verwechslungsgefahr, ohnehin und in jedem Falle zurückweisungsreif. Dieser Schwebezustand ist jedoch durch die in Art. 108 Abs. 4-6 GMV vorgesehenen Fristen für die Stellung des Umwandlungsantrags (jeweils drei Monate mit unterschiedlichen Anknüpfungspunkten) zeitlich abschließend begrenzt. Im übrigen unterscheidet sich dieser Schwebezustand nicht wesentlich von dem, der bei jeder Widerspruchserhebung aus einer bloßen Anmeldung eintritt. In diesen Fällen ist die Entscheidung über den Widerspruch, sofern er Aussicht auf Erfolg hat, stets blockiert, bis über den Bestand des älteren Rechts Klarheit herrscht (§ 32 Abs. 2 MarkenV).

2. Der Widerspruch und damit die Beschwerde ist auch in der Sache begründet, da die angegriffene Marke der Widerspruchsmarke verwechselbar nahekommt (§ 42 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG).

Die Frage der Verwechslungsgefahr ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit die Identität oder Ähnlichkeit der zum Vergleich stehenden Marken sowie der von den Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen. Darüber hinaus ist die Kennzeichnungskraft der älteren Marke und – davon abhängig – der dieser im Einzelfall zukommende Schutzumfang in die Betrachtung mit einzubeziehen. Dabei impliziert der Begriff der Verwechslungsgefahr eine gewisse Wechselwirkung zwischen den genannten Faktoren (vgl. EuGH GRUR 1998, 387, 389 (Nr. 22) – Sabél/Puma; GRUR Int. 2000, 899, 901 (Nr. 40) – Marca/Adidas; GRUR 2006, 237, 238 (Nr. 18 f.) – PICASSO; BGH GRUR 2005, 513, 514 – MEY/Ella May; GRUR 2006, 859, 860 – Malteserkreuz; GRUR 2007, 321, 322 – COHIBA). Nach diesen Grund-sätzen kann im vorliegenden Fall eine Verwechslungsgefahr nicht verneint werden.

a) Die sich in Klasse 9 gegenüberstehenden Waren sind identisch; „Schallplatten“ umfassen auch „CDs“. Die Dienstleistung der „Ausstrahlung von Rundfunk- und Fernsehprogrammen“ in Klasse 38 ist mit den für die Widerspruchsmarke geschützten Waren „Geräte zur Aufzeichnung, Übertragung und Wiedergabe von Ton und/oder Bild“ ähnlich (Richter/Stoppel, Die Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen, 13. Aufl., S. 358). Die sonstigen Telekommunikations- und Internetdienstleistungen der jüngeren Marke finden in dem allgemeiner abgefassten Verzeichnis der Widerspruchsmarke sämtlich ihre Entsprechung. Die Dienstleistungen eines Call-Centers, welche sich der Telekommunikation bedienen, sind zu dieser Dienstleistung zumindest hochgradig ähnlich. Die für die jüngere Marke registrierten, auf das Internet bezogenen Dienstleistungen in Klasse 42 sind mit dem vom Wortlaut her stärker auf den Computerbereich abstellenden Dienstleistungen der Widersprechenden zumindest ähnlich, wenn nicht sogar, vor allem angesichts der weiten Oberbegriffe „Beratung, Design, Prüfung und Forschung im Bereich der Datenverarbeitung“, teilweise gleich. Der größte Abstand besteht hinsichtlich der für die jüngere Marke geschützten musikbezogenen und sonstigen Unterhaltungsdienstleistungen in Klasse 41, welche im Verzeichnis der Widerspruchsmarke keine unmittelbare Entsprechung finden. Allerdings sind auch diese Dienstleistungen, da sie in Rundfunk und Fernsehen sowie in sonstigen audiovisuellen und elektronischen Medien verbreitet und reproduziert werden, mit den entsprechenden Geräten in Klasse 9 zur Aufzeichnung, Übertragung und Wiedergabe von Ton und Bild sowie zu den dort enthaltenen Trägern der Datenaufzeichnung und -speicherung ähnlich (Richter/Stoppel, a. a. O., S. 365).

b) Der Schutzumfang der Widerspruchsmarke liegt von Hause aus, wovon auch die Markenstelle ausgegangen ist, im durchschnittlichen Bereich. Dass die Kennzeichnungskraft sich lediglich aus dem Bildbestandteil des Zeichens ergeben würde, ist in keiner Weise naheliegend, zumal die Abbildung der Weltkugel in eher unauffälliger Weise in den Endbuchstaben „P“ integriert ist und es sich bei dieser um ein verbrauchtes Gestaltungselement – mit vagem Hinweis auf eine globale Bedeutung – handelt. Die Kennzeichnungskraft und somit die Schutzfähigkeit der Widerspruchsmarke beruhen mithin auf dem Wort (bzw. der Buchstabenfolge) „VIP“, das für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen jedenfalls nicht unmittelbar beschreibend ist. Unberücksichtigt zu bleiben hat dabei zunächst, dass die Widersprechende selbst, wie aus einigen anderen für sie registrierten Marken ersichtlich ist, „VIP“ als Abkürzung für „Versatile Internet Platform“ verwendet. Denn es ist bereits fraglich, ob es sich hierbei um eine generell geläufige Fachbezeichnung handelt; jedenfalls wird „VIP“ – zumal sich die Waren und Dienstleistungen nicht nur an Fachkreise richten – nicht naheliegender Weise als deren Abkürzung verstanden. Denn allgemeine Bekanntheit genießt die Bezeichnung „VIP“ als Kurzform für „very important person“; in dieser Bedeutung ist sie als Lehnwort in den deutschen (Alltags-)Sprachgebrauch eingegangen. Da aber nicht ersichtlich ist, dass die für die Widerspruchsmarke registrierten Waren und Dienstleistungen in irgendeiner Beziehung zu „VIPs“ stünden, insbesondere keine naheliegende Bestimmungsangabe (nur für wichtige oder prominente Personen bestimmte oder geeignete Waren und Dienstleistungen) vorliegt, kann „VIP“ als wesentlicher Teil der Widerspruchsmarke von Hause aus nicht als kennzeichnungsschwach angesehen werden. Dass dieses Wort, wie von der Markeninhaberin belegt, auch in einer Reihe weiterer Marken, die keiner der Beteiligten des vorliegenden Rechtsstreits zustehen, enthalten ist, zeigt zwar dessen Beliebtheit als Markenbestandteil, besagt aber mangels Erkenntnissen über die jeweilige Benutzung der Drittmarken noch nichts über eine etwaige Kennzeichnungsschwäche.

c) Die sich gegenüberstehenden Zeichen stimmen im Wortbestandteil „VIP“ überein, unterscheiden sich aber durch das nur in der jüngeren Marke enthaltene und dort am Anfang stehende Wort „WEB“. Wenngleich nicht zu erwarten ist, dass dieser Anfangsbestandteil der angegriffenen Marke überhört oder überlesen bzw. bei der Wiedergabe weggelassen wird – mithin eine unmittelbare Gefahr von Verwechslungen ausgeschlossen werden kann -, besteht gleichwohl die Gefahr, dass die Vergleichsmarken gedanklich miteinander in Verbindung gebracht (gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2, Alt. 2 MarkenG) und unter diesem Gesichtspunkt irrtümlich ein und demselben Hersteller bzw. Anbieter zugeordnet werden.

Innerhalb der jüngeren Marke ist der Bestandteil „VIP“ – wie oben bereits bei der Erörterung der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke dargelegt – nicht in gleicher Weise kennzeichnungsschwach wie der Eingangsbestandteil „WEB“. Dass dem Wort „WEB“ als Teil einer Kombinationsmarke – wie hier der angegriffenen – wegen der waren- und dienstleistungsbeschreibenden Bedeutung keine Kennzeichnungskraft zukommt, hat die Markenstelle zutreffend erkannt. Für Waren und Dienstleistungen im Kommunikationsbereich, unabhängig davon, ob technische, wirtschaftliche oder Unterhaltungszwecke im Vordergrund stehen, weist „WEB“ den beschreibenden Sinngehalt auf, dass der Ort des Einsatzes oder die Bestimmung (im Internet oder für das Internet) angezeigt werden. Mit „WEB VIP“ gekennzeichnete Waren und Dienstleistungen können also ohne weiteres, gerade auch von einem halbwegs aufmerksamen Betrachter, auf den bei der Beurteilung einer Verwechslungsgefahr durch gedankliches Inverbindungbringen vorrangig abzustellen ist (vgl. z. B. BPatG GRUR 2005, 773, 776 – Blue Bull/RED BULL), im Sinne eines Hinweises auf eine „Web-Variante“ von Erzeugnissen und Angeboten der Marke „VIP“ verstanden werden.

Andererseits verkörpert „WEB VIP“ – entgegen der Auffassung der Markenstelle – keinen im Bedeutungsgehalt feststehenden Gesamtbegriff (i. S. v. wichtige Person im Internet); für diese Annahme fehlen jegliche tatsächlichen Anhaltspunkte, insbesondere auch Belege. Da beide Wortelemente unterschiedliche Vokale enthalten, erschließt sich auch nicht, aus welchen Gründen der – angeblich – reimartige Klang die angegriffene Marke zu einer Einheit verbinden soll. Mithin kommt dem Bestandteil „VIP“ in der jüngeren Marke durchaus die Eignung zu, den Hinweis auf den Betrieb der Widersprechenden zu vermitteln und so in einer Verwechslungsgefahr begründenden Weise gedankliche Verbindungen zur gleichlautenden Widerspruchsmarke auszulösen. Anders wäre der Fall möglicherweise dann zu beurteilen, wenn die jüngere Marke eine besondere schriftbildliche oder grafische Gestaltung aufwiese, insbesondere einen von der Weltkugel in der Widerspruchsmarke völlig abweichenden Bildbestandteil enthielte (vgl. BPatG GRUR 2006, 868, 871 – go seven). Da „WEB VIP“ aber eine reine Wortmarke ist und die Abbildung in der Widerspruchsmarke – wie ausgeführt – im Gesamteindruck zurücktritt, vermag sich dieser Gesichtspunkt im vorliegenden Fall letztlich nicht gegen die Annahme mittelbarer Verwechslungsgefahr auszuwirken.

Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob die Widersprechende bereits – was die Anzahl weiterer Marken und deren Wortbildung anbetrifft – über eine Zeichenserie mit „VIP“ verfügt, zumal es sich hierbei nicht um ein zwingendes Erfordernis für die Bejahung einer Verwechslungsgefahr durch gedankliches Inverbindungbringen handelt (vgl. z. B. BGH GRUR 1998, 927, 929 – COMPO-SANA).

3. Für die Auferlegung von Verfahrenskosten (gemäß § 71 Abs. 1 MarkenG) besteht kein Anlass.

4. Die Rechtsbeschwerde wird – beschränkt auf die Frage der Zulässigkeit des Widerspruchs – gemäß § 83 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 MarkenG zugelassen, weil die hiermit im Zusammenhang stehenden Fragen sowohl von grundsätzlicher Bedeutung als auch Gegenstand divergierenden Rechtsprechung des Bundespatentgerichts sind.

(Unterschriften)

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