Leitsatz:
Die Benutzung einer Gemeinschaftsmarke kann auch dann als rechtserhaltend einzustufen sein, wenn sie nur in einem Mitgliedsstaat erfolgt ist.
BPatG, Beschluss vom 14.04.2011 – 30 W (pat) 1/10 – Verwechslungsgefahr zwischen den Marken „TOLTEC“ ./. „TOMTEC“
MarkenG § 125 b Nr. 4; GMV Art. 15
BESCHLUSS
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Marke 304 35 294
hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 14. April 2011 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker und der Richterinnen Winter und Hartlieb
beschlossen:
I.
Auf die Beschwerde der Widersprechenden werden die Beschlüsse des Deutschen Patent- und Markenamts vom 5. Oktober 2005 und vom 9. Oktober 2009 insoweit aufgehoben, als der Widerspruch aus der Gemeinschaftsmarke 001244557 zurückgewiesen worden ist.
Die Löschung der Marke 304 35 294 wird wegen des Widerspruchs aus der Gemeinschaftsmarke 001244557 angeordnet.
II.
Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.
III.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die am 18. Juni 2004 angemeldete Wort-/Bildmarke
ist am 5. August 2004 unter der Nummer 304 35 294 für die Waren „Mikrobildmessgeräte“ in das beim Deutschen Patent- und Markenamt geführte Register eingetragen worden.
Die Veröffentlichung erfolgte am 10. September 2004.
Gegen die Eintragung ist am 7. Dezember 2004 Widerspruch erhoben worden aus der am 18. Oktober 2000 unter anderem für „auf Datenträger gespeicherte Softwareprogramme“ eingetragenen Gemeinschaftsmarke 001244557
TOMTEC.
Mit Erstbeschluss vom 5. Oktober 2005 hat die Markenstelle des Deutschen Patent- und Markenamts eine Verwechslungsgefahr verneint und den Widerspruch zurückgewiesen (§§ 43 Abs. 2, 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG i. V. m. § 125 b MarkenG). Wegen der auf „Technik, Technologie“ hinweisenden und insoweit kennzeichnungsschwachen Endbestandteile „TEC“ werde der angesprochene Fachverkehr mehr auf die Wortanfänge achten; dort handele es sich um kurze Wortbildungen, die durch Abweichungen stärker beeinflusst würden als längere Markenwörter; deshalb seien die Abweichungen in den Konsonanten „L“ gegenüber „M“ geeignet, eine Verwechslungsgefahr auch im Bereich identischer Waren mit hinreichender Sicherheit auszuschließen.
Gegen diesen Beschluss hat die Widersprechende am 25. Oktober 2005 Erinnerung eingelegt. Auf die von der Inhaberin der angegriffenen Marke mit Schriftsatz vom 10. März 2006 bestrittene Benutzung der Widerspruchsmarke hat die Widersprechende mit Schriftsatz vom 22. Mai 2006 Unterlagen zur Glaubhaftmachung der Benutzung der Widerspruchsmarke für den Zeitraum 2001 bis 2004 vorgelegt.
Die Markenstelle des Deutschen Patent- und Markenamts hat in einem zweiten Beschluss vom 9. Oktober 2009 die Erinnerung zurückgewiesen, weil die Benutzung für den nach §§ 43 Abs. 1 Satz 2, 125 b Nr. 4 MarkenG i. V. m. Art. 15 GMV maßgeblichen Zeitraum von Oktober 2004 bis Oktober 2009 nicht glaubhaft gemacht sei. Die vorgelegten Benutzungsunterlagen beträfen diesen Zeitraum nur unzureichend; zudem sei nicht erkennbar, welche Umsätze aus dem angegebenen Gesamtjahr 2004 auf den relevanten Zeitraum ab Oktober 2004 entfielen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Sie verweist zunächst darauf, dass im Zeitpunkt der Entscheidungsreife im Patentamtsverfahren mit den vorgelegten Nachweisen aus den Jahren 2001 bis 2004 die Benutzung hinreichend glaubhaft gemacht gewesen sei; die Markenstelle habe, ohne dass weitere Schriftsätze zur Sache eingereicht worden seien, die Entscheidung so lange hinausgezögert, bis sie die Benutzungsunterlagen als nicht mehr ausreichend habe bewerten können. Die dreijährige Untätigkeit des Patentamts gehe auf Kosten der Widersprechenden. Die Widersprechende hat im Beschwerdeverfahren weitere Unterlagen zur Glaubhaftmachung der Benutzung vorgelegt; sie hält mit näheren Ausführungen Verwechslungsgefahr für gegeben. Die sich gegenüberstehenden Waren seien ähnlich, da die Messgeräte der angegriffenen Marke regelmäßig mit Software ausgestattet seien, die vom Gerät gemessene Daten speichere und anzeige. Die sich gegenüberstehender Markenwörter seien klanglich und bildlich hochgradig ähnlich.
Die Widersprechende beantragt sinngemäß,
die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle des Deutschen Patent- und Markenamts aufzuheben und die angegriffene Marke 304 35 294 zu löschen.
Der Inhaber der angegriffenen Marke hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert. Im Patentamtsverfahren hat er insbesondere die Auffassung vertreten, dass wegen des in der angegriffenen Marke enthaltenen Bildbestandteils, der Schutzunfähigkeit des in beiden Marken enthaltenen Wortbestandteils „TEC“ sowie den mit den Waren der jüngeren Marke angesprochenen Fachkreisen Verwechslungen nicht zu befürchten seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Widersprechenden hat auch in der Sache Erfolg. Zwischen den Vergleichsmarken besteht für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen (§ 42 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 125 b Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG). Daher sind die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke 304 35 294 ist anzuordnen (§ 125 b Nr. 1 i. V. m. § 43 Abs. 2 Satz 1 MarkenG).
1. Der Inhaber der angegriffenen Marke hat im Erinnerungsverfahren mit Schriftsatz vom 10. März 2006 die Benutzung der Widerspruchsmarke unbeschränkt bestritten. Nach § 125 b Nr. 4 MarkenG sind für den Fall, dass ein Widerspruch auf eine ältere Gemeinschaftsmarke gestützt wird (vgl. § 42 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 125 b Nr. 1 MarkenG), die Glaubhaftmachungsregeln des § 43 Abs. 1 MarkenG entsprechend anzuwenden mit der Maßgabe, dass an die Stelle der Benutzung der Marke gemäß § 26 MarkenG die Benutzung der Gemeinschaftsmarke gemäß Art. 15 der Verordnung über die Gemeinschaftsmarke (GMV) tritt.
Danach muss die Marke in der Gemeinschaft ernsthaft benutzt worden sein. Eine Marke wird ernsthaft benutzt, wenn sie entsprechend ihrer Hauptfunktion – die Ursprungsidentität der Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen wurde, zu garantieren – benutzt wird, um für diese Waren oder Dienstleistungen einen Absatzmarkt zu erschließen oder zu sichern, unter Ausschluss symbolischer Verwendungen, die nur zu dem Zweck vorgenommen werden, die Marke um ihrer selbst willen zu erhalten. Die Frage, ob die Benutzung der Marke ernsthaft ist, ist anhand sämtlicher Umstände zu prüfen, die belegen können, dass die Marke tatsächlich geschäftlich verwertet wird; dazu gehören vor allem Dauer und Intensität der Benutzung sowie die Art der Waren oder Dienstleistungen (vgl. EuGH GRUR 2003, 425, 428, Nr. 38 – Ajax/Ansul; EuGH GRUR 2006, 582, 584, Nr. 70 – VITAFRUIT). Nach der europäischen Spruchpraxis ist davon jedenfalls auszugehen, wenn die Marke „tatsächlich, stetig und mit stabilem Erscheinungsbild auf dem Markt präsent ist“ (vgl. EuGH GRUR 2008, 343, 346, Nr. 74 – Il Ponte Finanziaria SpA/HABM).
Dass der Markeninhaber die Einrede nicht ausdrücklich auf einen der beiden Tatbestände des § 43 Abs. 1 MarkenG gestützt hat, spielt keine Rolle. In einem undifferenzierten Bestreiten der Benutzung ist regelmäßig die Erhebung beider Einreden zu sehen, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen (Ströbele/Hacker, Markengesetz, 9. Aufl., § 43 Rdn. 19 m. w. N.). Das ist hier nur hinsichtlich der gemäß §§ 43 Abs. 1 Satz 2, 125 b Nr. 4 MarkenG erhobenen Nichtbenutzungseinrede der Fall; das Bestreiten der Benutzung der Widerspruchsmarke gemäß §§ 43 Abs. 1 Satz 1, 125 b Nr. 4 MarkenG ist unzulässig, denn die fünfjährige sogenannte Benutzungsschonfrist der am 18. Oktober 2000 eingetragenen Widerspruchsmarke endete erst nach der am 10. September 2004 erfolgten Veröffentlichung der Eintragung der angegriffenen Marke.
Die Widersprechende ist ihrer Obliegenheit, für eingetragene Waren eine ernsthafte Benutzung der Widerspruchsmarke 001244557 gemäß Art. 15 GMV in der Gemeinschaft im mittlerweile maßgeblichen Fünfjahreszeitraum April 2006 bis April 2011, wie er sich aus § 43 Abs. 1 Satz 2 MarkenG ergibt, glaubhaft zu machen, in Bezug auf die registrierten Waren „auf Datenträger gespeicherte Softwareprogramme“ nachgekommen.
Aus der Eidesstattlichen Versicherung des F. …, Chief Marketing Officer der Widersprechenden, vom 28. Dezember 2009 (Anlage G) ergibt sich, dass die Widersprechende in den Jahren 2006 bis 2009, die einen wesentlichen Teil des relevanten Benutzungszeitraums abdecken, in der Gemeinschaft – nämlich in Deutschland – mit auf Datenträgern gespeicherter Software Umsätze in Höhe von jährlich mindestens … Euro bis … Euro erzielt hat. Was den Umfang der Benutzung anbetrifft, so sind die Umsatzzahlen abstrakt betrachtet zwar nicht besonders hoch. Bei der Beurteilung eines ausreichenden Umfangs der Benutzung ist allerdings die Art der Waren von zentraler Bedeutung; so reichen bei teueren oder nur für einen begrenzten Abnehmerkreis bestimmten und relativ selten benötigten Produkten bereits geringere Mengen für eine rechtserhaltende Benutzung aus als bei billigen Erzeugnissen des täglichen Massenkonsums (vgl. Ströbele/Hacker, a. a. O. § 26 Rdn. 54 m. w. N.; BPatG GRUR 2001, 58, 59 – COBRA CROSS). So liegt der Fall hier; es handelt sich – wie aus den eingereichten Rechnungen ersichtlich – um Software zum Einzelpreis von 1.900,- Euro, die – wie den Rechnungen weiter zu entnehmen ist – nur für eine beschränkte Zahl von Abnehmern bestimmt, nämlich Universitäten, Kliniken und Großhersteller medizinischer Geräte. Vor dem Hintergrund der tatsächlichen Verhältnisse ist die Benutzung vom Umfang her ausreichend. Davon, dass die Benutzung lediglich als symbolisch anzusehen ist, kann nach Auffassung des Senats damit nicht ausgegangen werden.
Die für Software belegte Benutzung der Widerspruchsmarke wird auch in Bezug auf die räumliche Verteilung den Anforderungen an eine ernsthafte Benutzung in der Gemeinschaft gerecht. Wie den eingereichten Rechnungen zu entnehmen ist, hat die Benutzung im gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, die gemessen am Bruttoinlandsprodukt die größte Volkswirtschaft in Europa ist, stattgefunden. Angesichts der mit Software getätigten jährlichen Umsätze im oben genannten Abnehmerkreis kann eine ernsthafte Benutzung in der Gemeinschaft im Sinne von Art. 15 GMV bei Benutzung nur in diesem Mitgliedsstaat nicht in Frage gestellt werden (vgl. OLG Hamburg GRUR-RR 2005, 312, 314 – NEWS; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2011, 172, 173 – ZAPPA; BPatG 24 W (pat) 35/07 – Stradivari; Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Aufl., § 125 b Rdn. 20; zweifelnd dagegen Ströbele/Hacker, a. a. O., § 125 b Rdn. 13; vgl. auch die Rechtsprechung des EuGH, wonach es für die „Bekanntheit“ einer Gemeinschaftsmarke im Sinne von Art. 9 Abs. 1 lit. c GMV ausreichend ist, wenn die Marke im gesamten Gebiet eines Mitgliedsstaates bekannt ist, EuGH GRUR 2009, 1158, 1159, Nr. 29 – PAGO-/Tirolmilch). Denn richtigerweise ist die Frage der rechtserhaltenden Benutzung einer Gemeinschaftsmarke, was die räumliche Ausdehnung der Benutzung angeht, generell nicht schematisch danach zu entscheiden, ob eine Benutzung in einem Mitgliedsstaat ausreicht oder nicht. Die Gemeinschaftsmarke ist ein supranationales Schutzrecht mit einheitlicher Wirkung (Art. 1 Abs. 2 GMV). Demzufolge ist ein Denken in mitgliedsstaatlichen Kategorien und eine Beurteilung der Benutzung (ebenso wie auch der Bekanntheit) einer Marke anhand mitgliedsstaatlicher Territorien letztlich verfehlt. Entscheidend ist – nicht anders als bei der Beurteilung der quantitativen Benutzung – allein, ob die in der Gemeinschaft erfolgte Benutzung insgesamt als ernsthaft einzustufen ist. Das kann ohne weiteres auch bei einer Benutzung in nur einem Mitgliedsstaat der Fall sein, muss aber nicht immer so sein. Im vorliegenden Fall kann – wie ausgeführt – eine hinreichende Benutzung auch insoweit nicht zweifelhaft sein.
Unschädlich ist, dass die Widerspruchsmarke in der belegten Form der Benutzung der auf Datenträger gespeicherten Software (Abbildung einer CD-ROM, Anlage H)
Tom
IMAGING SYSTEMS
von der Form abweicht, in der sie eingetragen ist. Nach § 125 b Nr. 4 MarkenG i. V. m. Art. 15 Abs. 1 Satz 2 lit. a GMV gilt als Benutzung der Gemeinschaftsmarke auch die Benutzung in einer Form, die von der Eintragung nur in Bestandteilen abweicht, ohne dass dadurch die Unterscheidungskraft der Marke beeinflusst wird. Davon ist auszugehen, wenn der Verkehr die eingetragene und die benutzte Form als ein und dieselbe Marke ansehen und der grafischen Veränderung keine eigene maßgeblich kennzeichnende Wirkung beimessen wird (vgl. zu § 26 Abs. 3 MarkenG: BGH GRUR 2008, 616, 617, Nr. 12 – AKZENTA; GRUR 2008, 719, 721, Nr. 24 – idw Informationsdienst Wissenschaft; GRUR 2009, 772, 775, Nr. 39 – Augsburger Puppenkiste; GRUR 2010, 729, 730, Nr. 17 – MIXI). Eine zulässige Veränderung ist beispielsweise anzunehmen, wenn es sich lediglich um Modernisierungen in Schrift und Bild handelt, welche die wesentlichen gestalterischen Elemente beibehalten. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine zwar durch modernere grafische Gestaltung veränderte Widerspruchsmarke, die aber nach wie vor als dieselbe Marke identifiziert wird. Auch die Hinzufügung der Wörter „IMAGING SYSTEMS“ beeinflusst die Unterscheidungskraft der registrierten Widerspruchsmarke 001244557 TOMTEC nicht, weil „IMAGING SYSTEMS“ in der Bedeutung von „Abbildungssysteme“ (vgl. Langenscheidt, Fachwörterbuch Technik und angewandte Wissenschaften, Englisch-Deutsch, 2. Aufl. 2004, S. 978) als Hinweis auf Art und Bestimmung der Software – für den angesprochenen Fachverkehr ohne weiteres erkennbar – eine warenbeschreibende Angabe ist.
Von einer schädlichen Abweichung der Form der Benutzung der Widerspruchsmarke kann damit nicht ausgegangen werden.
Da die auf Seiten der Widerspruchsmarke zu berücksichtigende Software unter den registrierten Oberbegriff „auf Datenträger gespeicherte Softwareprogramme“ fällt, hat die Widersprechende die ernsthafte Benutzung in der Gemeinschaft für die registrierten Waren „auf Datenträger gespeicherte Softwareprogramme“ glaubhaft gemacht; bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr sind nur diese Waren zu berücksichtigen (§ 125 b Nr. 4, § 43 Abs. 1 Satz 3 MarkenG).
2. Ob Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG vorliegt, ist im Einzelfall unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Identität bzw. Ähnlichkeit der Waren/Dienstleistungen, des Schutzumfangs der Widerspruchsmarke, des Grades der Ähnlichkeit der Zeichen sowie der Art der Waren/Dienstleistungen und der bei der Auswahl bzw. Auftragsvergabe zu erwartenden Aufmerksamkeit des beteiligten Verkehrs umfassend zu beurteilen (st. Rspr.; vgl. EuGH GRUR 1998, 387 – Sabèl/Puma; GRUR 2008, 343, Nr. 48 – Il Ponte Finanziaria SpA/HABM; GRUR 2006, 413 ff., Nr. 17 – ZIRH/SIR; GRUR 2006, 237 ff., Nr. 18 – Picaro/Picasso; BGH GRUR 2008, 903, Nr. 10 – SIERRA ANTIGUO; zur Wechselwirkung der genannten Einzelfaktoren vgl. Ströbele/Hacker, a. a. O. § 9 Rdn. 32, 33).
Nach diesen Grundsätzen kann eine markenrechtlich relevante Gefahr von Verwechslungen nicht verneint werden.
Die Widerspruchsmarke verfügt in ihrer Gesamtheit originär über eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft; Anhaltspunkte dafür, dass dieser eine beschreibende, die Kennzeichnungskraft schwächende Bedeutung zukommen könnte, sind nicht ersichtlich.
Von einer Ähnlichkeit von Waren ist nach gefestigter Rechtsprechung dann auszugehen, wenn diese unter Berücksichtigung aller erheblichen Faktoren, die ihr Verhältnis zueinander kennzeichnen, insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- oder Erbringungsart, ihrem Verwendungszweck und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung oder ihrer Eigenschaft als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte oder anderer für die Frage der Verwechslungsgefahr wesentlichen Gründe so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise bei identischer Kennzeichnung der Meinung sein könnten, sie stammten aus denselben oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen oder würden zumindest unter einheitlicher Kontrolle hergestellt werden (vgl. EuGH GRUR 1998, 922, 923f, Nr. 22 Canon; GRUR 2006, 582, 584, Nr. 85 – VITAFRUIT; MarkenR 2009, 47, 53, Nr. 65 – Edition Albert René; BGH GRUR 2003, 428, 432 – BIG BERTHA; Ströbele/Hacker, a. a. O. § 9 Rdn. 49 m. w. N.).
Auf dieser Grundlage ist davon auszugehen, dass die auf Seiten der Widerspruchsmarke zu berücksichtigenden Waren „auf Datenträger gespeicherte Softwareprogramme“ mit den Waren „Mikrobildmessgeräte“ der jüngeren Marke deutliche Berührungspunkte aufweisen können und deshalb enge Warenähnlichkeit besteht. Zwar ist im Warenverzeichnis der angegriffenen Marke „Software“ nicht aufgeführt; wie aber die Widersprechende ausgeführt hat und wie auch einer von ihr im Patentamtsverfahren vorgelegten Kopie eine Prospekts (Anlage F) zu entnehmen sowie dem Senat aus anderen Verfahren bekannt ist, werden im Bereich der Messtechnik die Messgeräte mit einer entsprechenden Software ausgestattet, die beispielsweise die vom Gerät gemessenen Daten verarbeitet, auswertet, anzeigt und speichert. Es kann sich damit um Waren handeln, die aufeinander bezogen und aufeinander abgestimmt sind, sich also gegenseitig ergänzen (vgl. BPatG 30 W (pat) 44/00 – MicroMotion, veröffentlicht auf der Homepage des Gerichts). Es liegt daher nahe, dass der Verbraucher wegen der Bezogenheit der Waren aufeinander von einem gemeinsamen betrieblichen Verantwortungsbereich und damit von einer gemeinsamen betrieblichen Herkunft der jeweiligen Waren ausgeht.
Bei dieser Ausgangslage hält die angegriffene Marke den zur Vermeidung von Verwechslungen erforderlichen, deutlichen Abstand in klanglicher Hinsicht nicht ein.
Bei der Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist grundsätzlich vom jeweiligen Gesamteindruck der einander gegenüberstehenden Zeichen auszugehen (BGH GRUR 2008, 258, Nr. 26 – INTERCONNECT/T-InterConnect; GRUR 2008, 905, Nr. 12 – Pantohexal; GRUR 2008, 909, Nr. 13 – Pantogast). Eine markenrechtlich erhebliche Zeichenähnlichkeit kann sowohl in klanglicher wie auch in schriftbildlicher oder begrifflicher Hinsicht vorliegen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in klanglicher, bildlicher und begrifflicher Hinsicht wirken (vgl. EuGH GRUR 2006, 413, 414, Nr. 19 – ZIRH/SIR; GRUR 2005, 1042, 1044, Nr. 28 – THOMSON LIFE; GRUR Int. 2004, 843, Nr. 29 – MATRATZEN; BGH GRUR 2010, 235, Nr. 15 – AIDA/AIDU; GRUR 2009, 484, 487, Nr. 32 – METROBUS; GRUR 2006, 60 ff., Nr. 17 – coccodrillo; GRUR 2004, 779, 781 – Zwilling/Zweibrüder). Dabei kann schon die Ähnlichkeit in einer Wahrnehmungsrichtung eine Verwechslungsgefahr hervorrufen (vgl. BGH a. a. O., Nr. 17 – SIERRA ANTIGUO; GRUR 2008, 803, 804, Nr. 21 – HEITEC; Ströbele/Hacker, a. a. O. § 9 Rdn. 183 m. w. N.).
Soweit bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr auf Fachkreise abzustellen ist, ist zu bedenken, dass auch Fachleute nicht dagegen gefeit sind, insbesondere klanglich ähnliche Marken zu verwechseln. Zudem ist schon allgemein davon auszugehen, dass grundsätzlich nicht auf einen sich nur flüchtig mit der Ware befassenden, sondern auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher abzustellen ist, dessen Aufmerksamkeit je nach Art der Ware unterschiedlich hoch sein kann (vgl. BGH MarkenR 2000, 140 – ATTACHÉ/TISSERAND; BGH GRUR 1998, 942, 943 li. Spalte – ALKA- SELTZER; EuGH MarkenR 1999, 236, 239, Nr. 24 – Lloyd/Loint’s).
Die Aufmerksamkeit des Publikums bei Auswahl und Erwerb von Waren der vorliegenden Art wird angesichts der speziellen „Mikrobildmessgeräte“ auf Seiten der angegriffenen Marke und der besonderen Art der Waren der Widerspruchsmarke eher höher sein.
Die angegriffene Marke ist zwar grafisch gestaltet. Es bestehen jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend der (klangliche) Gesamteindruck der angegriffenen Marke aus Rechtsgründen nicht durch das Wort TOLTEC geprägt wird, und dass die grafische Gestaltung der angegriffenen Marke einer kollisionsbegründenden Bedeutung des Wortes entgegenstehen könnte (vgl. BGH GRUR 2004, 778, 779 – URLAUB DIREKT). Zudem ist bei Wort-Bild-Marken von dem allgemein anerkannten Erfahrungssatz auszugehen, dass der Verkehr in der Regel dem Wort als einfachster und kürzester Bezeichnungsform die prägende Bedeutung zumisst (vgl. Ströbele/Hacker, a. a. O. § 9 Rdn. 332 m. w. N).
Stehen sich danach die Wörter TOLTEC und TOMTEC gegenüber, besteht unter Berücksichtigung der maßgeblichen Faktoren in klanglicher Hinsicht Verwechslungsgefahr. Die abweichenden Konsonanten in den Wortmitten – „L“ in der angegriffenen Marke gegenüber „M“ in der Widerspruchsmarke – wirken sich im Klang kaum differenzierend aus. Eine unterschiedliche Betonung der Markenwörter, die dem entgegenwirken könnte, lässt sich nicht feststellen. Beide Marken stellen Phantasiewörter dar, für die es keine feste Betonungsregel gibt. Naheliegend erscheint bei beiden Wörtern eine Betonung auf der ersten Silbe.
Dass die jeweiligen Endungen „TEC“ der Markenwörter im Sinn von „Technik“ kennzeichnungsschwach bzw. schutzunfähig sind, führt nicht dazu, dass sie bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr von vornherein unberücksichtigt bleiben; der maßgebliche Gesamteindruck kann auch durch solche Elemente mitbestimmt werden und im Zusammenhang mit weiteren Ähnlichkeiten beider Marken als zusätzlicher Grund für die Bejahung der Verwechslungsgefahr Bedeutung erlangen (vgl. Ströbele/Hacker, a. a. O. § 9 Rdn. 141 m. w. N).
Es besteht damit in klanglicher Hinsicht Verwechslungsgefahr, was – wie oben ausgeführt – bereits für eine Löschung der angegriffenen Marke ausreicht (vgl. BGH GRUR 2008, 714, 717, Nr. 37 – idw).
Vor allem in der europäischen Rechtsprechung finden sich zwar Erwägungen, dass die klangliche Zeichenähnlichkeit in der rechtlichen Beurteilung der Verwechslungsgefahr in den Hintergrund tritt, soweit die betreffenden Waren bzw. Dienstleistungen überwiegend auf Sicht gekauft bzw. in Anspruch genommen werden (EuG GRUR Int. 2003, 1017, 1019, Nr. 55 – BASS-PASH; EuGH GRUR 2006, 313, 414, Nr. 21 – ZIRH/SIR); hinsichtlich der hier vorliegenden Marken lässt sich indessen schon nicht feststellen, dass sie vor allem visuell wahrgenommen werden.
Zudem wird in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hervorgehoben, dass auch dem „Kauf auf Sicht“ häufig mündliche Nachfragen, Empfehlungen und auch Gespräche unter Verbrauchern vorausgehen, bei denen klangliche Verwechslungen von Marken stattfinden können (vgl. BGH GRUR 1999, 241, 244 – Lions). Abgesehen davon wird erfahrungsgemäß selbst bei einer nur optischen Wahrnehmung einer Marke gleichzeitig der klangliche Charakter des den Gesamteindruck prägenden Markenwortes unausgesprochen mit aufgenommen und damit die Erinnerung an klanglich ähnliche Marken geweckt, die von früheren Begegnungen bekannt sind. Die klangliche Verwechslungsgefahr wird insoweit nicht durch ein unmittelbares Hören, sondern durch die ungenauen Erinnerungen an den Klang einer der beiden Marken ausgelöst (vgl. BPatGE 23, 176, 179 – evit/ELIT; Ströbele/Hacker, a. a. O. § 9 Rdn. 188 m. w. N.).
Es bleibt daher bei dem Grundsatz, dass es für die Feststellung der Verwechslungsgefahr ausreichend ist, dass nur in einer Richtung Markenähnlichkeit besteht.
Die Beschwerde hat daher Erfolg; die angegriffene Marke ist zu löschen.
3. Hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens verbleibt es bei der gesetzlichen Regelung des § 71 Abs. 1 Satz 2 MarkenG, da Billigkeitsgründe für die Auferlegung der Kosten auf einen Beteiligten weder vorgetragen wurden noch ersichtlich sind.
Die Anordnung, die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen, beruht auf § 71 Abs. 3 MarkenG. Die Gebührenrückzahlung kann aus Billigkeitsgründen erfolgen, also in Fällen, in denen es aufgrund besonderer Umstände unbillig wäre, die Beschwerdegebühr einzubehalten. Derartige Billigkeitsgründe für die Rückzahlung können sich insbesondere aus fehlerhafter Sachbehandlung des Patentamts ergeben, wenn zwischen dem jeweiligen Fehlverhalten und der Notwendigkeit einer Beschwerdeeinlegung Kausalität besteht (vgl. Ströbele/Hacker, a. a. O. § 71 Rdn. 31 f.). Eine derartige fehlerhafte Sachbehandlung liegt hier vor. Es verstößt gegen den selbstverständlichen Grundsatz des fairen Verfahrens (vgl. BGH GRUR 2003, 903 – Katzenstreu), wenn das Patentamt, nachdem die Widersprechende mit Schriftsatz vom 22. Mai 2006 Unterlagen zum Nachweis der Benutzung der Widerspruchsmarke im Zeitraum 2001 bis 2004 für registrierte Waren vorgelegt hatte, mit der Entscheidung bis zum 9. Oktober 2009 zugewartet und die Erinnerung der Widersprechenden zurückgewiesen hat, weil zum Entscheidungszeitpunkt der nunmehr maßgebliche Benutzungszeitraum mit den vorgelegten Benutzungsnachweisen nicht (mehr) abgedeckt sei. Zwar hat ein Widersprechender den sich ständig verändernden Benutzungszeitraum nach § 43 Abs. 1 Satz 2 MarkenG von sich aus laufend zu berücksichtigen. Wenn aber wie vorliegend das Patentamt die Sache über drei Jahre unbearbeitet lässt, auch Stellungnahmen der Beteiligten nicht mehr eingehen, hätte es auf die Anfrage der Widersprechenden mit Schriftsatz vom 16. September 2009, wann mit einer Entscheidung zu rechnen sei, eines Hinweises bedurft, dass die Sache zur Entscheidung ansteht. Bei einer solchen Sachbehandlung hätte die Widersprechende Gelegenheit gehabt, weitere Unterlagen zur Glaubhaftmachung der Benutzung der Widerspruchsmarke vorzulegen. Dies konnte durch die fehlerhafte Sachbehandlung des Patentamts nur durch Einlegung der Beschwerde im Beschwerdeverfahren geschehen. Jedenfalls kann mit Bezug auf die im Beschwerdeverfahren vorgelegten Nachweise nicht ausgeschlossen werden, dass bei ordnungsgemäßer Sachbehandlung diese Nachweise im patentamtlichen Verfahren eingereicht und Benutzung und Verwechslungsgefahr hätten bejaht werden können.
4. Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil die Frage, ob es für eine ernsthafte Benutzung einer Gemeinschaftsmarke ausreicht, dass diese Marke innerhalb der Grenzen nur eines Mitgliedsstaates benutzt wird, höchstrichterlicher Klärung bedarf (§ 83 Abs. 2 MarkenG). Der Gerichtshof in Den Haag hat in einem Rechtsstreit in der Sache ONEL/OMEL mit der Entscheidung vom 1. Februar 2011 – Az.: 200.057.983/01 – dem EuGH diese Frage zur Entscheidung vorgelegt; der EuGH hat ein Aktenzeichen hierzu bisher noch nicht veröffentlicht.
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