BGH, Beschluss vom 08.12.1999 – I ZB 2/97 – (Bundespatentgericht)
MarkenG § 8 Abs. 2 Nr. 1
Bei einem Werbeslogan (hier: Radio von hier, Radio wie wir) sind keine strengeren Anforderungen an die Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zu stellen als bei anderen Wortmarken. Indizien für die Eignung, die konkret angemeldeten Waren und Dienstleistungen eines bestimmten Anbieters von denen anderer zu unterscheiden, können Kürze, eine gewisse Originalität und Prägnanz einer Wortfolge sein und diese damit zu einem eingängigen und aussagekräftigen Werbeslogan machen.
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 15. September 1999 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Erdmann und die Richter Prof. Dr. Mees, Dr. Bornkamm, Pokrant und Dr. Büscher beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Anmelderin wird der Beschluß des 29. Senats (Marken-Beschwerdesenats VI) des Bundespatentgerichts vom 23. Oktober 1996 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Bundespatentgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 50.000 DM festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Anmelderin begehrt mit ihrer am 30. Juni 1992 eingereichten Anmeldung Schutz für die Wortfolge Radio von hier, Radio wie wir für die Dienstleistungen
Rundfunkwerbung; Ausstrahlung von Rundfunkprogrammen; Rundfunkunterhaltung, Produktion von Hörfunkprogrammen bildender, unterrichtender und unterhaltender Art; rundfunktechnische Beratung; Organisation und Durchführung von Musik- und Unterhaltungsdarbietungen, insbesondere von Konzerten, Tanzveranstaltungen, Bällen; Veranstaltung von Wettbewerben im Bildungs-, Unterrichts-, Unterhaltungs- und Sportbereich; Beherbergung und Verpflegung von Gästen; Verwertung von Urheberrechten und gewerblichen Schutzrechten für andere.
Die zuständige Markenstelle des Deutschen Patentamts hat die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft zurückgewiesen.
Die Beschwerde der Anmelderin ist erfolglos geblieben (BPatGE 37, 77 = GRUR 1997, 282).
Mit der (zugelassenen) Rechtsbeschwerde verfolgt die Anmelderin ihr Eintragungsbegehren weiter.
II. Das Bundespatentgericht hat die angemeldete Wortfolge als von der Eintragung nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ausgeschlossen angesehen und zur Begründung ausgeführt:
Es handele sich um einen Werbeslogan, der die beanspruchten Dienstleistungen ihrer Art nach beschreibe und anpreise. Derartige Werbeslogans könnten nur dann als Marke eingetragen werden, wenn sie entweder einen selbständig kennzeichnenden Bestandteil oder einen so erheblichen phantasievollen Überschuß in der Aussage oder in der sprachlichen Form aufwiesen, daß der angesprochene Verkehr in der Lage sei, mit dem Wiedererkennungseffekt einen Hinweis auf die betriebliche Herkunft zu verbinden. Daran fehle es bei der vorliegenden Wortfolge. Diese weise als glatt inhaltsbeschreibender Titel einer Rundfunksendung oder eines programms nicht auf einen Anbieter, sondern ein ortsbezogenes und volksverbundenes Programmangebot hin. Auch ein sonstiges schutzbegründend kennzeichnendes Element sei in dem Werbespruch nicht zu erkennen. Er enthalte weder einen erheblichen phantasievollen Überschuß in der sprachlichen Gestaltung noch erweise er sich inhaltlich als besonders originell. Die einfache Aussage, es werde Radio (programm) von Ortsansässigen für Ortsansässige mit lokalen volksnahen Themen geboten, habe in der straffen Sprachform der Marke eine leicht verständliche, nicht unoriginelle, in jedem Fall aber werbeübliche Gestaltung gefunden. Der Verkehr könne sie als interpretationsbedürftig, deshalb interessant und zum Nachdenken anregend empfinden. Ihm werde jedoch stets bewußt sein, daß er es mit einem letztlich inhaltsbeschreibenden Titel der ortsgebundenen und volksverbundenen Rundfunksendung zu tun habe und nicht mit einer Marke.
III. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Das Bundespatentgericht ist wie auch schon die Markenstelle des Deutschen Patentamts nach dem Inkrafttreten des Markengesetzes zutreffend davon ausgegangen, daß auf die Prüfung der vorliegenden Anmeldung ungeachtet ihres früheren Zeitrangs die Vorschriften des Markengesetzes Anwendung finden (§ 152 MarkenG; zur Frage des Zeitrangs nach § 156 Abs. 1 MarkenG vgl. nachfolgend unter IV).
2. Das Bundespatentgericht ist ohne dies ausdrücklich anzuführen zutreffend davon ausgegangen, daß Werbeslogans nach § 3 Abs. 1 MarkenG markenfähig sind, weil sie als Mehrwortzeichen grundsätzlich abstrakt zur Unterscheidung von Waren und Dienstleistungen gleich welcher Art geeignet sind (vgl. Fezer, Markenrecht, 2. Aufl., § 8 Rdn. 94). Dies gilt auch für die angemeldete Wortfolge.
3. Die Beurteilung des Bundespatentgerichts, die angemeldete Wortfolge habe jedoch keine ausreichende (konkrete) Unterscheidungskraft i. S. des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG, ist nicht frei von Rechtsfehlern.
a) Unterscheidungskraft i. S. von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel für die von der Marke erfaßten Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens gegenüber solchen anderer Unternehmen aufgefaßt zu werden (vgl. BGH, Beschl. v. 19. 1. 1995 I ZB 20/92, GRUR 1995, 408, 409 PROTECH; Beschl. v. 15. 7. 1999 I ZB 47/96, WRP 1999, 1169, 1171 = MarkenR 1999, 351, 353 FOR YOU; Beschl. v. 15. 7. 1999 I ZB 16/97, WRP 1999, 1167, 1168 = MarkenR 1999, 349, 351 YES). Hierbei ist grundsätzlich von einem großzügigen Maßstab auszugehen, d. h. jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft reicht aus, um das Schutzhindernis zu überwinden (vgl. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 12/6581, S. 70 = BlPMZ 1994, Sonderheft, S. 64). Kann einer Wortmarke kein für die in Frage stehenden Waren im Vordergrund stehender beschreibender Begriffsinhalt zugeordnet werden und handelt es sich auch sonst nicht um ein gebräuchliches Wort der deutschen Sprache, das vom Verkehr etwa auch wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung stets nur als solches und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden wird, so gibt es keinen tatsächlichen Anhalt dafür, daß ihr die vorerwähnte Unterscheidungseignung und damit jegliche Unterscheidungskraft fehlt (BGH WRP 1999, 1167, 1168 f. YES).
b) Das Bundespatentgericht hat zu hohe Anforderungen an die Unterscheidungskraft von Werbeslogans gestellt, indem es verlangt hat, sie müßten entweder einen selbständig kennzeichnenden Bestandteil oder sonst einen so erheblichen phantasievollen Überschuß in der Aussage oder in der sprachlichen Form aufweisen, daß der angesprochene Verkehr in der Lage sei, mit dem Wiedererkennungseffekt einen Hinweis auf die betriebliche Herkunft zu verbinden (vgl. auch BPatG GRUR 1994, 217 MADE IN PARADISE; GRUR 1997, 643 SOMETHING SPECIAL IN THE AIR; GRUR 1998, 57 Nicht immer, aber immer öfter; GRUR 1998, 715 MIT UNS KOMMEN SIE WEITER; MarkenR 1999, 245 GEGEN DAS VERGESSEN; zustimmend Althammer/Ströbele/ Klaka, Markengesetz, 5. Aufl., § 8 Rdn. 35). Diese Auffassung ist im Schrifttum auf Kritik gestoßen (vgl. Fezer aaO § 8 Rdn. 97a-97e; ders., GRUR 1999, 859 ff.; Ingerl/Rohnke, Markengesetz, § 8 Rdn. 37). Zu der mit Art. 3 Abs. 1 lit. b MarkenRL, der mit § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG umgesetzt worden ist, wörtlich entsprechenden Vorschrift des Art. 7 Abs. 1 lit. b GMV hat auch die Zweite Beschwerdekammer des Harmonisierungsamtes für den Binnenmarkt geringere Anforderungen an die Eintragungsfähigkeit gestellt (vgl. Beschl. v. 11. 2. 1999 R 73/ 982 beauty isn’t about looking young but looking good und Beschl. v. 4. 5. 1999 R 153/982, GRUR Int. 1999, 964 Früher an später denken!).
Mit der Forderung nach einem selbständig kennzeichnenden Bestandteil oder einem so weitreichenden phantasievollen Überschuß in der Aussage oder in der sprachlichen Form, daß der angesprochene Verkehr mit dem Wiedererkennungseffekt einen Hinweis auf die betriebliche Herkunft verbindet, stellt das Bundespatentgericht zu Unrecht strengere Anforderungen an die Unterscheidungskraft von Werbeslogans als an die anderer Wortmarken.
Der Verkehr wird zwar bei Werbeslogans häufig eine Werbeaussage annehmen, die nicht in erster Linie der Identifizierung der Herkunft des Produktes, sondern ausschließlich seiner Beschreibung dient (vgl. Ingerl/ Rohnke aaO § 8 Rdn. 36). Dies rechtfertigt es aber nicht, von unterschiedlichen Anforderungen an die Unterscheidungskraft von Werbeslogans gegenüber anderen Wortmarken auszugehen. Denn bei einer Marke schließen sich die Identifizierungsfunktion und die Werbewirkung nicht gegenseitig aus (vgl. Begr. zum Regierungsentwurf BT-Drucks. 12/6581, S. 82 = BlPMZ 1994, Sonderheft, S. 76). Vielmehr ist in jedem Fall zu prüfen, ob der Werbeslogan einen ausschließlich produktbeschreibenden Inhalt hat oder ob ihm über diesen hinaus eine, wenn auch noch so geringe Unterscheidungskraft für die angemeldeten Waren oder Dienstleistungen zukommt (vgl. Fezer aaO § 8 Rdn. 97a). Von mangelnder Unterscheidungskraft ist deshalb auch bei Werbeslogans lediglich bei beschreibenden Angaben oder Anpreisungen und Werbeaussagen allgemeiner Art auszugehen. Grundsätzlich nicht unterscheidungskräftig werden des weiteren in der Regel längere Wortfolgen sein. Indizien für die Eignung, die konkret angemeldeten Waren und Dienstleistungen eines bestimmten Anbieters von denen anderer zu unterscheiden, können dagegen Kürze, eine gewisse Originalität und Prägnanz einer Wortfolge sein und diese damit zu einem eingängigen und aussagekräftigen Werbeslogan machen. Auch die Mehrdeutigkeit und daher Interpretationsbedürftigkeit der Werbeaussage kann einen Anhalt für eine hinreichende Unterscheidungskraft bieten. Dabei dürfen die Anforderungen an die Eigenart im Rahmen der Bewertung der Unterscheidungskraft von Werbeslogans nicht überspannt werden. Auch einer für sich genommen eher einfachen Aussage kann nicht von vornherein die Eignung zur Produktidentifikation abgesprochen werden (vgl. zur Frage der wettbewerblichen Eigenart im Rahmen des § 1 UWG: BGH, Urt. v. 17. 10. 1996 I ZR 153/94, GRUR 1997, 308, 310 = WRP 1997, 306 Wärme fürs Leben).
c) Diesen nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG an die Unterscheidungskraft zu stellenden Anforderungen genügt die Wortfolge „Radio von hier, Radio wie wir“ auf der Grundlage der vom Bundespatentgericht selbst getroffenen Feststellungen. Zwar hat das Bundespatentgericht die Wortfolge als einen glatt inhaltsbeschreibenden Titel einer Rundfunksendung oder eines Rundfunkprogramms angesehen, der nicht auf den Anbieter, sondern ein ortsbezogenes („von hier“) und volksverbundenes („wie wir“) Programm hinweist und eine inhaltliche Ausrichtung im Sinne einer besonderen Bodenständigkeit und Heimatverbundenheit des Gebotenen hat, die dem Hörer ein Gefühl des „Gutaufgehoben-Seins“ und des „Verstandenwerdens“ vermittelt, nicht aber die Vorstellung eines Hinweises auf einen bestimmten Erbringer der gekennzeichneten Dienstleistung. Der Werbeslogan ist aber, wie das Bundespatentgericht ebenfalls selbst dargelegt hat, kurz und prägnant und hebt sich deutlich von einer längeren Wortfolge ab. Er ist aufgrund der einfachen, in Reimform gehaltenen Aussage besonders eingängig und regt wegen seiner Mehrdeutigkeit zum Nachdenken an. Entgegen der Annahme des Bundespatentgerichts handelt es sich nicht um einen rein inhaltsbeschreibenden Titel einer Rundfunksendung. Vielmehr ist die unmittelbar produktbeschreibende Aussage des Werbeslogans nur eine von mehreren Interpretationsmöglichkeiten. Der Satzteil „Radio von hier“ läßt neben der vom Bundespatentgericht gewählten Interpretation eines ortsbezogenen Programms auch die Annahme eines Hinweises auf die Herkunft des Programms von einem örtlichen Rundfunksender zu. Bei dieser Auslegung kommt der Aussage kein direkt produktbeschreibender Inhalt, sondern ein Hinweis auf die betriebliche Herkunft zu. In dem zweiten Satzteil kann zwanglos statt der vom Bundespatentgericht gewählten Beschreibung des Produktinhalts im Sinne eines volksverbundenen Programms eine Aufforderung zur Identifikation des Zuhörers mit der Dienstleistung des Anbieters gesehen werden. Danach ist ein ausschließlich beschreibender Inhalt aufgrund der Mehrdeutigkeit der Wortfolge nicht zu erkennen. Dies reicht insgesamt aus, nicht jede Unterscheidungskraft des Werbeslogans i. S. von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zu verneinen.
IV. Nach alledem ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Bundespatentgericht zurückzuverweisen (§ 89 Abs. 4 MarkenG).
Das Bundespatentgericht wird nunmehr die bislang offengebliebene Frage eines eventuellen Freihaltebedürfnisses (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG) zu beantworten sowie gegebenenfalls auch der Frage nachzugehen haben, ob nach den Bestimmungen des Warenzeichengesetzes der Eintragung mit dem Zeitrang des vor dem Inkrafttreten des Markengesetzes liegenden Anmeldetages von Amts wegen zu berücksichtigende Gründe entgegenstanden (§ 156 MarkenG i. V. mit § 4 Abs. 2 Nr. 1 WZG; vgl. BGH GRUR 1995, 408, 409 PROTECH; Beschl. v. 5. 2. 1998 I ZB 25/95, GRUR 1998, 813 f. = WRP 1998, 745 CHANGE).
(Unterschriften)
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