OLG Karlsruhe: Angabe eines maximalen Wirkstoffgehalts auf der Verpackung eines Fertigarzneimittels

OLG Karlsruhe Urteil vom 22.02.2006 – 6 U 86/05

Irreführende Werbung: Angabe eines maximalen Wirkstoffgehalts auf der Verpackung eines Fertigarzneimittels

Liegt der Wirkstoffgehalt eines pflanzlichen Arzneimittels zwischen 1.350 mg und 2.700 mg pro Dragee, so ist die hervorgehobene Werbeaussage „Extra stark, bis zu 2.700 mg Baldrian pro Dragee“ irreführend.

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 17.03.2005 – 3 O 406/04 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ziffer 1 des Tenors wie folgt lautet:

1. Der Beklagten wird bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- Euro und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden, einer Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten verboten, das Fertigarzneimittel „XY Baldrian Forte Beruhigungsdragees“ wie folgt zu kennzeichnen:

„Extra stark bis zu 2.700 mg Baldrian pro Dragee“

insbesondere, wenn dies geschieht wie aus der nachstehenden Abbildung ersichtlich.

II. Die Kosten des Berufungsrechtszugs trägt die Beklagte.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 110.000,- abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

I. Der Kläger ist ein eingetragener Verein, der es sich zur Aufgabe gesetzt hat, für die Lauterkeit der Heilmittelwerbung zu streiten. Ihm gehören u.a. die beiden größten Verbände der Arzneimittelindustrie – der Bundesverband der Arzneimittelhersteller e.V. und der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie e.V. – sowie weitere Verbände und 61 einschlägig tätige Einzelunternehmen an.

Die Beklagte ist ein pharmazeutisches Unternehmen, das das frei verkäufliche Fertigarzneimittel „XY Baldrian Forte Beruhigungsdragees“ in Verkehr bringt. Das Mittel wird über Apotheken, Drogeriemärkte und Lebensmittelhändler vertrieben. Nach den Angaben des Beipackzettels enthält das Mittel u.a.

„450 mg Trockenextrakt aus Baldrianwurzel (3-6:1)“.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beipackzettel, Anlage K 3, verwiesen. Der Hinweis „3-6: 1“ bedeutet, dass aus 3 bis 6 Teilen der Droge ein Teil Trockenextrakt hergestellt wird. 450 mg Trockenextrakt Baldrian entsprechen damit einem Minimalwert von 1.350 mg und einem Maximalwert von 2.700 mg Baldrian, jeweils pro Dragee.

Die Faltschachtel zeigt auf der Vorderseite die Bezeichnung des Mittels und eine Blütendolde. Am rechten Rand, etwas unterhalb der Mitte, ist eine gelbe Fläche von etwa 2 auf 3 cm, auf der mit schwarzer Schrift vermerkt ist:

EXTRA STARK

Bis zu 2.700 mg Baldrian pro Dragee

Die Parteien bezeichnen diese Aufschrift als „Störer“. Auf der schmalen Seite der Faltschachtel ist bei der Zusammensetzung u.a. vermerkt:

450 mg Trockenextrakt aus Baldrianwurzel (3-6:1; Auszugsmittel: Ethanol 70 % (V/V)

Wegen der Gestaltung der Faltschachtel wird auf Anlage K 4 verwiesen.

Der Kläger hält die Angaben auf der Faltschachtel für irreführend. Der Kunde werde durch die hervorgehobenen Angaben „EXTRA STARK“ und „2.700 mg“ zu der Annahme verleitet, das Produkt der Beklagten enthalte besonders viel Wirkstoff. Jedenfalls verstehe er die Angabe dahin, dass der Wirkstoff bei 2.700 mg oder doch nur geringfügig darunter liege. Das treffe nicht zu, weil der Wirkstoffgehalt sich in der Spanne von 1.350 bis 2.700 mg bewege. Die Angabe auf der Seitenfläche zum Droge-Extrakt-Verhältnis schaffe keine hinreichende Klarheit, zumal sie dem durchschnittlichen Verbraucher nicht verständlich sei.

Der Kläger hat im ersten Rechtszug beantragt:

Der Beklagten wird bei Vermeidung näher bezeichneter Ordnungsmittel verboten, das Fertigarzneimittel „XY Baldrian Forte Beruhigungsdragees“ wie folgt zu kennzeichnen: „Extra stark bis zu 2.700 mg Baldrian pro Dragee“, insbesondere, wie aus der Anlage ersichtlich.

Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt (allerdings ohne den „insbesnodere“-Zusatz). Gegen dieses Urteil, auf das wegen des Sach- und Streitstands im ersten Rechtszug und der tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren Antrag auf Klageabweisung weiter verfolgt.

Die Beklagte macht geltend, sie sei in Folge der ihr erteilten Arzneimittelzulassung gehalten, die arzneilich wirksamen Bestandteile nach Art und Menge anzugeben. Daraus ergebe sich hier die Spanne von 1.350 bis 2.700 mg Droge pro Dragee. Die zuständige Behörde schreibe nicht vor, dass der Mittelwert angegeben werden müsse. Dass die Beklagte angesichts dieser Spanne den oberen Wert für ihre Werbung auswähle, sei nicht zu beanstanden, weil sie durch den Zusatz „bis zu“ objektiv zutreffend informiere. Die Folgerung des Landgerichts, der Verbraucher verstehe den Hinweis im Störer dahin, dass die Dosierung bei 2.700 mg oder doch nur unwesentlich darunter liege, sei nicht überzeugend und durch nichts belegt. Absicht der Beklagten sei es, dem Verbraucher einen Vergleichswert an die Hand zu geben, der es ihm ermögliche, die Dosierung mit anderen Baldrian-Präparaten zu vergleichen.

Der Kläger tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

II. Das Rechtsmittel ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat eine irreführende Werbung nach §§ 3, 5 UWG und einen sich daraus ergebenden Unterlassungsanspruch (§ 8 Abs. 1 UWG) zu Recht bejaht. Der Anspruch besteht zudem auch nach §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1 UWG i.V. mit § 3 Satz 2 Nr. 3a HWG. Die Klagebefugnis des Klägers ergibt sich aus § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG. Die Berufung ist mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass in den Tenor, wie vom Kläger beantragt, ein „insbesondere“-Zusatz aufgenommen wird.

1. Die Angabe auf der Packung der von der Beklagten vertriebenen Baldriandragees, wonach diese „bis zu 2.700 mg Baldrian pro Dragee“ enthalten, ist, worüber die Parteien nicht streiten, objektiv zutreffend. Nach den Erläuterungen der Parteien zum Droge-Extrakt-Verhältnis und den Ausführungen in dem Werk „Heilende Kräuter in modernen Arzneimitteln“, das auszugsweise als Anlage K 6 vorgelegt wurde, ergibt sich bei einem Trockenextrakt von 450mg pro Dragee und einem Verhältnis von 3 bis 6 zu 1, dass der Gehalt der Droge Baldrian zwischen 1.350 mg und 2.700 mg pro Dragee liegt.

2. Auch eine objektiv zutreffende Angabe kann jedoch irreführend sein. Das ist der Fall, wenn ein beachtlicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise mit einer objektiv richtigen Angabe eine unrichtige Vorstellung verbindet (Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 24. Auflage, § 5 Rdn. 2.71 m.w.N.). Eine solche Konstellation hat das Landgericht hier zutreffend angenommen. Abzustellen ist dabei auf das Verständnis eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbrauchers.

a) Die angegriffene Aussage richtet sich an das allgemeine Publikum. Die Baldriandragees der Beklagten werden in Apotheken, aber auch in Drogeriemärkten und Lebensmittelfilialen jedermann angeboten.

b) Ein nicht unerheblicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise versteht die angegriffene Aussage auch nach der Überzeugung des Senats dahin, dass der Gehalt an Baldrian pro Dragee bei 2.700 mg oder doch jedenfalls nicht wesentlich niedriger liegt. Dieses Verständnis ist insbesondere deshalb zu erwarten, weil die Angabe durch die Hervorhebung im sogenannten Störer und durch den Zusatz „Extra Stark“ besonders betont wird und dem Publikum bekannt ist, dass die Wirkung eines Arzneimittels in der Regel von der Menge des Wirkstoffs abhängig ist. Gerade deshalb wird der durchschnittlich informierte Verbraucher nicht erwarten, dass ein Wert werbend hervorgehoben wird, der nur im günstigsten Fall erreicht wird, der aber ebensogut nur die Hälfte betragen kann. Dem steht nicht entgegen, dass die Angabe zur Wirkstoffmenge durch den Zusatz „Bis zu“ eingeschränkt ist. Diesen Zusatz versteht das Publikum zwar dahin, die Beklagte wolle oder könne nicht dafür einstehen, dass in jedem Dragee 2.700 mg Wirkstoff enthalten sind. Der Verbraucher wird dies darauf zurückführen, dass gewisse Abweichungen durch die Fertigung des Arzneimittels oder durch natürliche Schwankungen des Wirkstoffgehalts in der Baldrianpflanze nicht völlig vermieden werden können. Die angesprochenen Verkehrskreise verstehen die Angabe im Störer trotz dem einschränkenden Zusatz „Bis zu“ jedoch dahin, dass der Wirkstoffgehalt den optisch hervorgehobenen Wert von 2.700 mg, der noch durch den Zusatz „Extra Stark“ betont wird, nicht wesentlich unterschreitet. Insbesondere kann es als ausgeschlossen angesehen werden, dass ein nennenswerter Teil des Publikums mit einer möglichen Spanne der Wirkstoffmenge von 1.350 bis 2.700 mg rechnet, also die Aussage korrekt versteht.

c) Zu Recht hat das Landgericht verneint, dass die Angabe zur Menge des Trockenextrakts pro Dragee, verbunden mit der Angabe „3-6:1“ diesem Verständnis der Angabe im Störer entgegensteht. Das gilt selbst dann, wenn man zugunsten der Beklagten davon ausgeht, die angesprochenen Verkehrskreise beschäftigten sich trotz der hervorgehobenen Angabe zur Wirkstoffmenge im Störer näher mit den im Verhältnis dazu sehr klein gedruckten Angaben auf der Seitenfläche der Packung. Auch wer die Packung in die Hand nimmt und die Angaben über die Zusammensetzung liest, wird nicht ohne weiteres die Verbindung zwischen der dort angegebenen Menge des Trockenextrakts zu der Angabe der Wirkstoffmenge im Störer herstellen. Voraussetzung hierfür wäre, dass den Verbrauchern bekannt ist, wie solche pflanzlichen Arzneimittel hergestellt werden, worauf sich die Zahlenangabe „3-6:1“ bezieht und wie die – auf der Packung in keiner Weise erläuterte – Angabe zum Droge-Extrakt-Verhältnis zu verstehen ist. Das Landgericht hat in nicht zu beanstandender Weise aus dem Umstand, dass den Mitgliedern der erkennenden Kammer diese Zusammenhänge nicht bekannt waren, gefolgert, dass solche Kenntnisse dem durchschnittlich informierten Verbraucher fehlen, jedenfalls aber bei einem nicht unerheblichen Teil der Verbraucher nicht vorhanden sind. Aber selbst wenn ein Teil der Verbraucher erkennt, dass die Angabe von 2.700 mg Baldrian pro Dragee in der Weise mit den Angaben zur Menge des Trockenextrakts und zum Droge-Extrakt-Verhältnis in Beziehung gesetzt werden kann, dass man die Menge des Trockenextrakts mit dem höchsten Wert des Droge-Extrakt-Verhältnisses, hier also 450 mg mit 6 multipliziert, wird er aus der Tatsache, dass das Droge-Extrakt-Verhältnis von 3 bis 6 reicht, nicht schließen, dass der Baldriangehalt pro Dragee irgendwo zwischen 1.350 und 2.700 mg liegt. Vielmehr wird selbst ein solcherart informierter Verbraucher aufgrund des hervorgehobenen Hinweises „Extra Stark“ und der Betonung der Obergrenze der möglichen Spannweite zu der Annahme gelangen, dass das Produkt der Beklagten in der Regel einen Wirkstoffgehalt aufweisen wird, der 2.700 mg/Dragee allenfalls unwesentlich unterschreitet.

3. Die Feststellung dieser Verkehrsauffassung durch das Landgericht ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Ermittlung des Verkehrsverständnisses kann in der Regel ohne sachverständige Hilfe erfolgen, wenn die entscheidenden Richter – wie hier – selbst den angesprochenen Verkehrskreisen angehören (BGH v. 2.10.2003 – I ZR 150/01, GRUR 2004, 244 – Marktführerschaft). Eine Umfrage durch ein Marktforschungsinstitut ist daher nicht veranlasst.

4. Mit den wirklichen Verhältnissen stimmt die bei einem erheblichen Teil der angesprochenen Verkehrskreise erweckte Erwartung der Verbraucher nicht überein. Der Gehalt an Baldrian pro Dragee liegt zwischen 1.350 und 2.700 mg, durchschnittlich also bei 2.025 mg, dagegen nicht durchweg bei 2.700 mg oder einem nicht wesentlich darunter liegenden Wert. Die darin liegende Irreführung ist auch wettbewerbsrechtlich relevant, da der Wirkstoffgehalt eines Arzneimittels wesentlichen Einfluss auf die Kaufentscheidung des Verbrauchers hat.

5. Damit hat der Kläger einen Unterlassungsanspruch sowohl nach §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1 UWG i.V. mit § 3 Satz 2 Nr. 3a HWG als auch nach §§ 3, 5, 8 Abs. 1 UWG. Die Berufung der Beklagte war daher mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass der vom Kläger in den Antrag aufgenommene „Insbesondere-Zusatz“ in den Tenor eingefügt wird.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

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