OLG Hamm: Wettbewerbsrechtliche Dringlichkeitsvermutung

OLG Hamm, Urteil vom 31.08.2006 – 4 U 124/06 – Wettbewerbsrechtliche Dringlichkeitsvermutung im einstweiligen Rechtsschutz (LG Bielefeld)

Das Nichterscheinen im Termin zur mündlichen Verhandlung über eine einstweilige Verfügung kann die Dringlichkeit wiederlegen.

OBERLANDESGERICHT HAMM

Urteil

Aktenzeichen: 4 U 124/06

Entscheidung vom 31. August 2006

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das am 16. Juni 2006 verkündete Urteil der VII. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bielefeld abgeändert:

Das Versäumnisurteil vom 5. Mai 2006 wird aufrechterhalten.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.
Die Parteien sind Wettbewerber in Bezug auf den Vertrieb von Kontaktlinsen in entsprechenden Fachgeschäften. Der Antragsteller vertreibt solche Kontaktlinsen und Mittel zu deren Pflege auch über den „Marktplatz“ eBay im Internet. Die Antragsgegnerin bietet sowohl unter ihrer Domain „*internetadresse*“ als auch über eBay unter dem Namen „*internetadresse*“ im Internet Kontaktlinsen an. Unter der Überschrift „Angaben zu Zahlung, Versand und Rücknahme“ hieß es auf der entsprechenden Internetseite am 03.03.2006:

„Angaben des Verkäufers zur Rücknahme:

Der Käufer hat das Recht, den Artikel zurückzugeben“.

Wegen des Internetauftritts der Antragsgegnerin an diesem Tage im einzelnen wird auf die Anlage ASt 3 (Bl. 32-36) Bezug genommen.

Der Antragsteller hat darin einen Verstoß gegen die gesetzlich gebotene klare und verständliche Information über ein etwaiges Widerrufs- oder Rückgaberecht des Käufers gesehen und am 27. März 2006 bei der allgemeinen Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt. Im Verhandlungstermin vom 7. April 2006 hat die Zivilkammer die Sache auf Antrag der Antragsgegnerin, die sich mit näheren Ausführungen gegen den Erlass der Verfügung verteidigt hat, an die zuständige Kammer für Handelssachen verwiesen. Im Termin vom 26. April 2006 hat sich die Antragsgegnerin mit einer Entscheidung durch den Vorsitzenden nicht einverstanden erklärt. Die Ladung zu einem Kammertermin am 5. Mai 2006 haben die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 28. April 2006 erhalten (EB – Bl. 68). Zum Termin erschien für den Antragsteller niemand. Eine Rückfrage im Büro seiner Prozessbevollmächtigten ergab, dass der Termin wahrscheinlich nicht notiert worden sei. Das Büro teilte dann später mit, dass es sich um ein Büroversehen gehandelt habe. Auf Antrag der Antragsgegnerin ist im Termin vom 5. Mai 2006 ein Versäumnisurteil (Bl. 75) ergangen, mit dem der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen worden ist. Auf den Einspruch des Antragstellers vom 18. Mai 2006 ist Termin auf den 9. Juni 2006 anberaumt worden, der auf Antrag der Antragsgegnerin auf den 16. Juni 2006 verlegt worden ist.

Im Kammertermin vom 16. Juni 2006 hat das Landgericht das Versäumnisurteil aufgehoben und entsprechend dem zuletzt gestellten Antrag der Antragsgegnerin verboten, bei der Tätigkeit im Fernabsatz Kontaktlinsen anzubieten und/oder zu verkaufen bzw. anbieten und/oder verkaufen zu lassen, ohne Verbrauchern rechtzeitig vor Abgabe von deren Vertragserklärung in einer dem eingesetzten Fernkommunikationsmittel entsprechenden Weise klar und verständlich Informationen zur Verfügung zu stellen über die Bedingungen, Einzelheiten der Ausübung sowie die Rechtsfolgen des fernabsatzrechtlichen Widerrufs bzw. der Rückgabe, wie geschehen auf dem Online-Marktplatz eBay im Zusammenhang mit dem Angebot unter der Artikelnummer …..

Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Die Antragsgegnerin greift das Urteil mit der Berufung an. Sie vertritt mit näheren Ausführungen weiter die Ansicht, der Antrag sei zu weit und zu unbestimmt. Sie wendet sich auch gegen die Auffassung des Landgerichts, der früher verwendete allgemeine Hinweis auf das Rücktrittsrecht sei zu unbestimmt gewesen. Die Tatsache, dass in dem Hinweis keine Frist angegeben worden sei, wirke sich für den Verbraucher nur positiv aus, da daraus folge, dass die Ware auch nach Ablauf der gesetzlichen Frist noch zurückgegeben werden könne. Soweit nichts dazu gesagt worden sei, welcher Betrag im Falle der Rückgabe zu erstatten sei, verstehe es sich von selbst, dass der komplette Kaufpreis mit etwaigen Versandkosten zu erstatten sei. Nach Meinung der Antragsgegnerin hat deshalb der beanstandete Hinweis ein allgemeines Rückgaberecht begründet, das weiter gehe als das gesetzliche Recht. Der Hinweis könne deshalb nicht unlauter gewesen sein. Die Antragsgegnerin weist schließlich noch darauf hin, dass sie die beanstandete Formulierung nicht gewählt hätte, wenn sie gewusst hätte, dass diese zu Missverständnissen Anlass geben könnte. Sie habe den Hinweis auch sofort nach der Abmahnung geändert.

Die Antragsgegnerin beantragt,

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten.

Der Antragsteller beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Antragsteller verteidigt das angefochtene Urteil und weist darauf hin, dass die Antragsgegnerin weiterhin Kontaktlinsen im Internet anbiete, ohne ihren zum Schutze der Verbraucher erforderlichen Informationspflichten vollständig, also auch im Hinblick auf Angaben zu den Bedingungen, Einzelheiten der Ausübung und den Rechtsfolgen eines Widerrufs oder einer Rücknahme nachzukommen. Sie legt insoweit einen Internetausdruck vom 17. Juli 2006 vor (Bl. 138 ff.), in dem weiterhin im Hinblick auf die Rücknahme der im Fernabsatz angebotenen Waren nur angegeben sei, der Käufer habe das Recht, den Artikel zurückzugeben.

II.
Die Berufung ist begründet, weil die Urteilsverfügung nicht hätte erlassen werden dürfen, weil es schon an einem Verfügungsgrund fehlt.

1) Der Antragsteller macht hier einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch aus §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 312 d Abs. 1 BGB geltend. Im Hinblick auf einen solchen Anspruch wird zwar nach § 12 Abs. 2 UWG die Dringlichkeit vermutet. Hier liegt aber ein Fall vor, in dem die Dringlichkeitsvermutung widerlegt ist.

a) Grundsätzlich ist die Vermutung der Dringlichkeit dann widerlegt, wenn der Antragsteller durch sein Verhalten zu erkennen gegeben hat, dass es ihm doch nicht so eilig war, die begehrte einstweilige Verfügung zu erlangen. Das ist zunächst der Fall, wenn er vor der Antragstellung längere Zeit zuwartet, obwohl er vom Wettbewerbsverstoß und von der Person des Störers in ausreichender Weise Kenntnis erlangt hat. Davon ist hier allerdings nicht auszugehen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller schon vor dem 3. März 2006 von dem entsprechenden Internetauftritt der Antragsgegnerin Kenntnis erlangt hat. Am 27. März 2006 hat der Antragsteller deshalb innerhalb angemessen kurzer Zeit den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt.

b) Der Antragsteller hat aber durch sein späteres Prozessverhalten deutlich gemacht, dass es ihm entgegen dem ersten Eindruck mit der vorläufigen Regelung doch nicht so eilig war. Das ist regelmäßig der Fall, wenn der Antragsteller vor Erlass der einstweiligen Verfügung gegen sich ein Versäumnisurteil ergehen lässt (vgl. OLG Hamm OLGR 1992, 384; OLG Frankfurt WRP 1995, 502; Berneke, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 2. Auflage, Rdn. 87; Ahrens/Schmukle, Der Wettbewerbsprozess, 5. Auflage, Kap. 45, Rdn. 47 m.w.N.). Zwar hat sich der Antragsteller hier nicht aus prozesstaktischen Gründen versäumen lassen, um Zeit für weiteres Vorbringen zu gewinnen, sondern weil im Büro seiner Prozessbevollmächtigten der Termin nicht notiert worden ist. Das ändert aber nichts daran, dass ein Nichterscheinen im Termin und ein Versäumnisurteil gegen den Antragsteller auf besondere Weise fehlende Dringlichkeit im Hinblick auf die begehrte Verfügung deutlich macht. Die Prozessbevollmächtigten hätten mit entsprechenden Maßnahmen sicher stellen müssen, dass der Termin in jedem Fall wahrgenommen werden konnte. Dies gilt umso mehr, als es durch die Anrufung der allgemeinen Zivilkammer in einer Handelssache und die zu erwartende Rüge der Antragsgegnerin schon zu einer Vertagung gekommen war. Zwar lag es nicht im Verantwortungsbereich des Antragstellers, dass der Vorsitzende der Kammer auch im nächsten Termin nicht entscheiden konnte, weil die Antragsgegnerin mit einer Entscheidung durch den Vorsitzenden nicht einverstanden gewesen ist. Dennoch war durch die beiden Vertagungen schon so eine erhebliche Zeit vergangen, dass der Antragsteller alles ihm mögliche dafür tun musste, eine weitere Verzögerung zu vermeiden. Dafür, dass das Büroversehen nicht vermeidbar gewesen ist, hat der Antragsteller nichts vorgetragen. Die Prozessbevollmächtigten hätten im Übrigen auch dann, als sie auf den vergessenen Termin hingewiesen wurden, noch Maßnahmen ergreifen, etwa einen Rechtsanwalt am Ort kurzfristig mit der Interessenvertretung ihres Mandanten beauftragen können. Sie haben solche Anstrengungen aber nicht unternommen, sondern den Erlass des Versäumnisurteils hingenommen. Danach kann der Antragsteller, der für ihr Verhalten einstehen muss, eine Eilregelung nicht mehr beanspruchen.

2) Dafür, dass hier die Voraussetzungen der §§ 935, 940 ZPO gegeben sein könnten, ist nichts vorgetragen oder aus den Umständen ersichtlich.

3) Weil schon kein Verfügungsgrund vorliegt, kann dahin stehen, ob dem Antragsteller der geltend gemachte Unterlassungsanspruch als Verfügungsanspruch zusteht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziffer 10, 711 ZPO.

(Unterschriften)

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