OLG Düsseldorf: “Underberg” – Werbung für Kräuterspirituose mit gesundheitsbezogenen Angaben Urteil vom 23.03.2010 – I-20 U 183/09

Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 23.03.2010 – I-20 U 183/09Underberg
§ 8 Abs. 1, §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i. V. m. Artikel 4 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 („Health-Claims-VO“)

Tenor:

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das am 2. Oktober 2009 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Kleve teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfügungsverfahrens werden dem Antragsteller auferlegt.

G r ü n d e

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Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin hat in der Sache in vollem Umfang Erfolg. Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung liegen auch insoweit nicht vor, als das Landgericht dem Antrag des Antragstellers entsprochen hat. Es fehlt an einem Verfügungsgrund. Über diesen ist nach einer Abwägung der sich gegenüberstehenden Parteiinteressen zu entscheiden (Berneke, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 2. Aufl. 2003, Rn. 51 m. w. Nachw.). Dem Interesse des Antragstellers an der begehrten Eilmaßnahme sind die Nachteile gegenüberzustellen, die der Antragsgegnerin aus der Anordnung drohen (Berneke, a.a.O.). Diese Abwägung fällt hier gegen den Antragsteller aus. Die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG ist widerlegt. Dem Antragsteller kann zugemutet werden, die Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten. Der vorläufigen Sicherung seiner Ansprüche bis dahin bedarf es nicht.

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Das Interesse des Antragstellers geht nach der ausdrücklichen Erklärung seines Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat dahin, im Interesse seiner Mitglieder eine Klärung darüber zu erreichen, in welchem Umfang eine Werbung mit möglicherweise gesundheitsbezogenen Wirkungen von Alkohol noch möglich ist. Diese angestrebte Klärung kann im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht erreicht werden. Gegenstand des Verfahrens ist ein Anspruch aus § 8 Abs. 1, §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i. V. m. Artikel 4 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (ABl. L 404 vom 30.12.2006, S. 9, sog. „Health-Claims-Verordnung“, HCVO). Danach dürfen Getränke mit einem Alkoholgehalt von – wie hier – mehr als 1,2 Volumenprozent keine gesundheitsbezogenen Angaben tragen. Gemäß Artikel 2 Abs. 2 Nr. 5 HCVO bezeichnet der Ausdruck „gesundheitsbezogene Angabe“ jede Angabe, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht. Darauf, ob die angegriffenen Angaben der Antragsgegnerin zu ihrer Kräuterspirituose unter dieses Verbot fallen, bezieht sich der Klärungsbedarf des Antragstellers.

3
Der Begriff der „gesundheitsbezogenen Angabe“ bei alkoholischen Getränken ist in höchstem Maße unklar. Eine Definition der „Gesundheit“ enthält die HCVO nicht. Ein Vorschlag des Europäischen Parlaments, die sehr weite Definition der WHO aufzunehmen („Zustand allgemeinen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens“, vgl. Anlage BK 1), hat sich nicht durchgesetzt. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass es Angaben zum allgemeinen körperlichen Wohlbefinden geben muss, die keine „gesundheitsbezogenen Angaben“ darstellen. Dahin geht auch die Auffassung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom 25. April 2006 (Anlage AG 6). Sie betrifft Artikel 10 Abs. 3 HCVO, in dem Verweise auf allgemeine, nichtspezifische Vorteile des Lebensmittels für die „Gesundheit im Allgemeinen“ dem „gesundheitsbezogenen Wohlbefinden“ gegenübergestellt sind. In diesem Zusammenhang ist das Bundesministerium der Ansicht, dass „Verbraucher bei Aussagen wie ‚bekömmlich’ und ‚wohltuend’ keine Assoziation zur Gesundheit haben dürften.“ Weiter heißt es dort: „Auch ich bin der Auffassung, dass solche Angaben nicht unter den Begriff der gesundheitsbezogenen Angaben fallen.“ Auch diese Auffassung setzt voraus, dass nicht jeder Bezug zum körperlichen Wohlbefinden als gesundheitsbezogen anzusehen ist (so wohl auch OVG Rheinland-Pfalz WRP 2009, 1418). Der Senat folgt diesem Ansatz und sieht das Problem darin, werblich angesprochene menschliche Befindlichkeiten in solche des allgemeinen Wohlbefindens und solche mit Gesundheitsbezug einzuteilen.

4
Die im vorliegenden Verfahren angegriffenen Aussagen sprechen in diesem Zusammenhang ein breites Spektrum von Wirkungen an, mit denen das alkoholische Getränk beworben wird. Es geht – soweit nach dem Stand der letzten mündlichen Verhandlung noch Gegenstand des Berufungsverfahrens – um die folgenden Angaben:

5
a) „besonders nach dem Essen – für den Magen – er tut einfach gut“

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b) „U. weltweit im Dienste des Wohlbefindens“

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c) „Wohlbefinden für den Magen“

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d) „Garantie für höchste Bekömmlichkeit“

9
e) „appetitanregend/seine appetitanregenden Eigenschaften“

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f) „verdauungsfördernd/seine verdauungsfördernden Eigenschaften“.

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Sie reichen von einer sehr allgemeinen Bezugnahme auf das „Wohlbefinden“, in dessen Dienst sich die Antragsgegnerin sieht (Buchstabe b) bis zu Angaben, die recht konkret auf bestimmte Körperfunktionen, nämlich die Verdauung und den Appetit, bezogen sind. Wo angesichts der Neuregelung in Artikel 4 Abs. 3 Satz 1 HCVO die Grenze zu den gesundheitsbezogenen Angaben zu ziehen ist, erscheint derzeit völlig ungeklärt. Das Interesse des Antragstellers an einer Klärung ist vor diesem Hintergrund sehr gut nachzuvollziehen. Nur kann sie in dem gewählten Verfügungsverfahrens wegen der Beschränkung des Instanzenzugs nicht erreicht werden. Die aufgeworfenen Fragen wären dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen, damit allgemeine Kriterien für die Anwendung von Artikel 4 Abs. 3 Satz 1 HCVO gewonnen werden könnten. Eine Vorlage kommt im vorliegenden Eilverfahren indes nicht in Betracht und könnte nur im Hauptsacheverfahren erfolgen. Dies abzuwarten ist dem Antragsteller ohne weiteres zuzumuten. Überwiegende Interessen, die auch nur ein vorläufiges Verbot rechtfertigen könnten, bestehen nicht. Es geht nicht um unmittelbare Gefahren für die Gesundheit der Verbraucher, sondern (lediglich) um eine Werbung mit gesundheits- bzw. wohlbefindenbezogenen Angaben. Es kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass es die fragliche Kräuterspirituose bereits seit 1846 gibt und sie seit jeher mit ihren angeblich wohltuenden Eigenschaften für den Magen und die Verdauung beworben wird und mit dieser Wirkung bei den Verbrauchern bekannt ist. Vor diesem Hintergrund besteht für ein nur vorläufig wirkendes Verbot kein Anlass. Die angesichts der langen Existenz der so beworbenen Spirituose kurze Zeit bis zur Klärung in einem Hauptsacheverfahren fällt nicht ins Gewicht gegenüber den Interessen der Antragsgegnerin, ihre traditionelle und bekannte Werbung nur auf der Grundlage einer gesicherten Klärung der maßgeblichen Rechtsfragen der neuen Rechtslage einstellen zu müssen.

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Gegen ein überwiegendes Interesse der Antragstellers am Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung spricht auch, dass der von ihm geltend gemachte Anspruch auch auf der Grundlage der derzeit möglichen Beurteilung zumindest bezogen auf einige der Werbeaussagen nach Auffassung des Senats sehr zweifelhaft ist; insofern käme ohnehin ein Verbot mangels Verfügungsanspruchs voraussichtlich nicht in Betracht. Das betrifft insbesondere die oben unter b) wiedergegebene Aussage:

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b) „U. weltweit im Dienste des Wohlbefindens“.

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Insoweit liegt sehr nahe, lediglich einen Hinweis auf das allgemeine, nicht gesundheitsbezogene Wohlbefinden anzunehmen, was nach den vorstehenden Ausführungen von dem gesetzlichen Verbot in Artikel 4 Abs. 3 Satz 1 HCVO nicht erfasst ist. Entsprechendes gilt für die Aussagen unter a) und c):

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a) „besonders nach dem Essen – für den Magen – er tut einfach gut“

16
c) „Wohlbefinden für den Magen“.

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Zwar ist hier der Bezug zu einem bestimmten Körperteil, dem Magen, herausgestellt. Hinsichtlich der Wirkung der Spirituose geht die Aussage aber nicht über die Anpreisung eines allgemeinen Wohlbefindens hinaus.

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Der Senat hat ebenfalls erhebliche Zweifel an der Unzulässigkeit der Aussage unter d):

19
d) „Garantie für höchste Bekömmlichkeit“.

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Das OVG Rheinland-Pfalz hat allerdings in einer derartigen Aussage bezogen auf Wein eine „gesundheitsbezogene Angabe“ gesehen (OVG Rheinland-Pfalz, WRP 2009, 1418). Ob dem zu folgen ist, erscheint den erkennenden Senat sehr zweifelhaft. Die „Bekömmlichkeit“ bezieht sich nämlich nicht auf einen positiven, das gesundheitliche Wohlbefinden verbessernden Einfluss des alkoholischen Getränks, sondern auf die Verträglichkeit des Getränks. Die Aussage geht lediglich dahin, dass die Aufnahme des Getränks nicht zu nachteiligen Folgen führt, also das Wohlbefinden nicht beeinträchtigt. Ob dies bereits einen Gesundheitsbezug im Sinne des Artikels 4 Abs. 3 Satz 1 HCVO darstellen kann, erscheint zweifelhaft. Es spricht einiges für die Auffassung, die das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in seinem bereits angesprochenen Schreiben vom 25. April 2006 (Anlage AG 6) geäußert hat, in dem der Gesundheitsbezug der Bekömmlichkeit verneint wird. Die Entscheidung kann jedenfalls – anders als es dies das OVG für möglich gehalten hat – nicht davon abhängen, um welche Art alkoholischen Getränks (Wein oder Schnaps) es sich handelt.

21
Es verbleiben die Aussagen

22
e) „appetitanregend/seine appetitanregenden Eigenschaften“

23
f) „verdauungsfördernd/seine verdauungsfördernden Eigenschaften“,

24
hinsichtlich derer wegen ihres Bezugs auf konkrete Körperfunktionen, die durch die Spirituose positiv beeinflusst werden sollen, an einen Gesundheitsbezug gedacht werden kann. Allerdings bestehen auch insoweit Zweifel. Sie rühren insbesondere daher, dass der Erwägungsgrund 5 der HCVO ausdrücklich traditionelle allgemeine Bezeichnungen von der Anwendung der Verordnung auch dann ausnimmt, wenn sie Eigenschaften mit einem möglichen Gesundheitsbezug betreffen. Ausdrücklich als Beispiel genannt ist der „Digestif“. Das ist indes eine Bezeichnung, die schon ihrem Wortsinn nach ausdrücklich auf die verdauungsfördernde Wirkung des so bezeichneten Getränks Bezug nimmt. Wollte man die unter e) und f) genannten Angaben verbieten, so hätte das die Folge, das eine Spirituose zwar als Digestif bezeichnet werden dürfte, die damit angesprochene Wirkung für die Verdauung aber nicht auf andere Weise verbalisiert, also auch nicht mit Adjektiven umschrieben werden könnte. Dieses Ergebnis wäre nicht frei von Widersprüchen. Das gilt insbesondere in den Ländern, in denen – wie vor allem in Frankreich – der Wortsinn von „Digestif“ ohne weiteres erkannt wird und in denen die Verordnung ebenfalls gilt. Aber auch für Deutschland kann nichts anderes gelten; eine unterschiedliche Auslegung der Verordnung je nach der Sprache des Mitgliedsstaats, in dem sie gerade anzuwenden ist, erscheint zweifelhaft. Nicht zuletzt wegen dieses Bezugs der angegriffenen Angaben zu einer – erlaubten – traditionellen Angabe ist eine Klärung nur durch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu erzielen.

25
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Ein Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit unterbleibt, § 704 Abs. 1, § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

26
Streitwert für das Berufungsverfahren: bis 90.000,– € auf der Grundlage der Festsetzung des Landgerichts.

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