EuGH: Arthur ./. Arthur et Felicie

EuGH, Urt. v. 20.03.2003 – C-291/00 – Arthur/ Arthur et Felicie (1)

„Marken – Rechtsangleichung – Richtlinie 89/104/EWG – Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a – Begriff des mit der Marke identischen Zeichens – Benutzung des Unterscheidungsmerkmals der Marke unter Ausschluss anderer Bestandteile – Benutzung aller Bestandteile, die die Marke bilden, aber unter Hinzufügung weiterer Elemente“

Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken ist dahin auszulegen, dass ein Zeichen mit der Marke identisch ist, wenn es ohne Änderung oder Hinzufügung alle Elemente wiedergibt, die die Marke bilden, oder wenn es als Ganzes betrachtet Unterschiede gegenüber der Marke aufweist, die so geringfügig sind, dass sie einem Durchschnittsverbraucher entgehen können.

In der Rechtssache C-291/00

Urteil

1.
Das Tribunal de grande instance Paris hat mit Urteil vom 23. Juni 2000, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Juli 2000, gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe a der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1, im Folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2.
Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der LTJ Diffusion SA (im Folgenden: LTJ Diffusion) und der Sadas Vertbaudet SA (im Folgenden: Sadas) wegen des Vorwurfs, Sadas habe eine für LTJ Diffusion für Bekleidungsartikel eingetragene Marke verletzt.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3.
In der ersten Begründungserwägung der Richtlinie wird festgestellt, dass die nationalen Rechtsvorschriften über Marken Unterschiede aufwiesen, durch die der freie Warenverkehr und der freie Dienstleistungsverkehr behindert und die Wettbewerbsbedingungen im Gemeinsamen Markt verfälscht werden könnten. Daraus folge, dass zur Errichtung und zum Funktionieren des Binnenmarktes eine Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten erforderlich sei. In der dritten Begründungserwägung heißt es, dass es „gegenwärtig nicht notwendig [erscheine], die Markenrechte der Mitgliedstaaten vollständig anzugleichen“.

4.
Die zehnte Begründungserwägung der Richtlinie lautet:

„Zweck des durch die eingetragene Marke gewährten Schutzes ist es, insbesondere die Herkunftsfunktion der Marke zu gewährleisten; dieser Schutz ist absolut im Falle der Identität zwischen der Marke und dem Zeichen und zwischen den Waren oder Dienstleistungen. Der Schutz erstreckt sich ebenfalls auf Fälle der Ähnlichkeit von Zeichen und Marke und der jeweiligen Waren oder Dienstleistungen. Es ist unbedingt erforderlich, den Begriff der Ähnlichkeit im Hinblick auf die Verwechslungsgefahr auszulegen. Die Verwechslungsgefahr stellt die spezifische Voraussetzung für den Schutz dar; ob sie vorliegt, hängt von einer Vielzahl von Umständen ab, insbesondere dem Bekanntheitsgrad der Marke im Markt, der gedanklichen Verbindung, die das benutzte oder eingetragene Zeichen zu ihr hervorrufen kann, sowie dem Grad der Ähnlichkeit zwischen der Marke und dem Zeichen und zwischen den damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen. …“

5.
In Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie, wo weitere Eintragungshindernisse oder Ungültigkeitsgründe bei Kollision mit älteren Rechten aufgezählt werden, heißt es:

„Eine Marke ist von der Eintragung ausgeschlossen oder unterliegt im Falle der Eintragung der Ungültigerklärung,

a) wenn sie mit einer älteren Marke identisch ist und die Waren oder Dienstleistungen, für die die Marke angemeldet oder eingetragen worden ist, mit den Waren oder Dienstleistungen identisch sind, für die die ältere Marke Schutz genießt;

b) wenn wegen ihrer Identität oder Ähnlichkeit mit der älteren Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die beiden Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht, die die Gefahr einschließt, dass die Marke mit der älteren Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.“

6.
Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie über die Rechte aus der Marke bestimmt:

„Die eingetragene Marke gewährt ihrem Inhaber ein ausschließliches Recht. Dieses Recht gestattet es dem Inhaber, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr

a) ein mit der Marke identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die sie eingetragen ist;

b) ein Zeichen zu benutzen, wenn wegen der Identität oder der Ähnlichkeit des Zeichens mit der Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die Marke und das Zeichen erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht, die die Gefahr einschließt, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.“

Nationale Regelung

7.
Das Markenrecht ist in Frankreich in den Bestimmungen des seit 1992 kodifizierten Gesetzes vom 4. Januar 1991 und insbesondere im VII. Buch des Code de la propriété intellectuelle [Gesetzbuch über das geistige Eigentum] (JORF vom 3. Juli 1992, S. 8801, im Folgenden: CPI) geregelt.

8.
Artikel L. 713-2 CPI untersagt

„[d]ie Wiedergabe, die Benutzung oder die Anbringung einer Marke, auch unter Hinzufügung von Worten wie .Formel, Art, System, Nachahmung, Gattung oder Methode, sowie die Benutzung einer wiedergegebenen Marke für Waren oder Dienstleistungen, die mit den in der Eintragung bezeichneten identisch sind“.

9.
Artikel L. 713-3 CPI sieht vor:

„Wenn sich daraus eine Verwechslungsgefahr für das Publikum ergeben kann, sind ohne die Zustimmung des Inhabers untersagt:

a) die Wiedergabe, die Benutzung oder die Anbringung einer Marke sowie die Benutzung einer wiedergegebenen Marke für Waren oder Dienstleistungen, die den in der Eintragung bezeichneten ähnlich sind;

b) die Nachahmung einer Marke oder die Benutzung einer nachgeahmten Marke für Waren oder Dienstleistungen, die mit den in der Eintragung bezeichneten identisch oder ihnen ähnlich sind.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

10.
LTJ Diffusion ist im Bereich des Entwurfs, der Herstellung, der Vermarktung und des Vertriebs von Bekleidung und Schuhwaren, insbesondere von Nacht- und Unterwäsche, Strümpfen und Hausschuhen für Erwachsene und Kinder tätig.

11.
Diese Gesellschaft ist Inhaber einer beim Institut national de la propriété industrielle (Nationales Institut für gewerbliches Eigentum, im Folgenden: INPI) unter der Nr. 17731 eingetragenen Marke, die am 16. Juni 1983 angemeldet und am 14. Juni 1993 erneuert wurde (im Folgenden: Marke von LTJ Diffusion). Die Eintragung bezieht sich auf Waren der Klasse 25 der Klasseneinteilung gemäß dem Abkommen von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in der geänderten und überarbeiteten Fassung (im Folgenden: Abkommen von Nizza), d. h. auf Textilien als Konfektionsware und in Maßanfertigung, einschließlich Stiefeln, Halb- und Hausschuhen. Die genannte Marke besteht aus einem einzigen Wort, das in Form einer handschriftlichen Unterschrift mit verbundenen Buchstaben und einem Punkt zwischen den beiden unteren Enden der Seitenstriche des Buchstaben A angemeldet wurde. Sie sieht wie folgt aus:

image: arthur

12.
Sadas ist eine Gesellschaft, die einen Versandhandel betreibt und einen Katalog unter dem Namen „Vertbaudet“ vertreibt. Sie vermarktet u. a. Bekleidung und Accessoires für Kinder.

13.
Sadas ist Inhaber einer am 29. September 1993 angemeldeten und beim INPI unter der Nr. 93.487.413 eingetragenen Marke (im Folgenden: Marke von Sadas). Die am 25. März 1994 veröffentlichte Eintragung bezieht sich u. a. auf Waren der Klasse 25 des Abkommens von Nizza.

14.
Diese Marke, die in der Form von geraden Druckgroßbuchstaben angemeldet wurde, lautet:

ARTHUR ET FÉLICIE

15.
Wie sich aus den Akten ergibt, wird die Marke von Sadas in der folgenden Form benutzt:

image: artfel

16.
Da LTJ Diffusion der Auffassung ist, dass die Wiedergabe und die Benutzung der Marke von Sadas für Bekleidung und Accessoires für Kinder ihre Marke verletzten, erhob sie gegen Sadas eine Klage vor dem Tribunal de grande instance Paris. Vor diesem Gericht beantragt sie die üblichen Verbots-, Einziehungs- und Veröffentlichungsmaßnahmen sowie die Ungültigerklärung der Marke von Sadas.

17.
LTJ Diffusion beruft sich hauptsächlich auf die Artikel L. 713-2 und L. 713-3 CPI. Sie macht geltend, dass in der französischen Rechtsprechung und Literatur insbesondere das in Artikel L. 713-2 CPI enthaltene Verbot dahin gehend ausgelegt werde, dass es auch Fälle erfasse, in denen ein Unterscheidungsmerkmal einer zusammengesetzten Marke wiedergegeben werde, d. h. die „teilweise Verletzung“, oder in denen entweder ein solches Merkmal oder die ganze Marke zusammen mit weiteren Elementen, die nach dieser Ansicht die Identität der Marke nicht berührten, wiedergegeben werde, was als „unwirksame Hinzufügung“ bewertet werde.

18.
Wenn die Anmeldung und die Benutzung der Marke von Sadas keine Verletzungshandlungen durch Wiedergabe ihrer Marke im Sinne des Artikels L. 713-2 CPI darstellen sollten, so handele es sich dabei jedenfalls um eine Verletzung durch Nachahmung im Sinne des Artikels L. 713-3 CPI. Es bestehe nämlich eine Verwechslungsgefahr zwischen den beiden Marken, da der Begriff „Arthur“ innerhalb der Marke von Sadas seine spezifische Unterscheidungskraft behalte.

19.
LTJ Diffusion macht im Übrigen geltend, dass ihre Marke notorisch bekannt sei, da sie intensiv benutzt und beworben werde.

20.
Sadas dagegen beruft sich darauf, dass die verschiedenen Elemente, die ein Unterscheidungszeichen bildeten, zur Beurteilung einer Verletzung im Sinne des Artikels L. 713-2 CPI nicht isoliert betrachtet werden könnten. Die Wiedergabe eines der Elemente einer zusammengesetzten Marke oder die Hinzufügung von Elementen zu denen, die eine Marke bildeten, falle nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie, da dieser lediglich die Benutzung eines identischen Zeichens ohne Abänderung erfasse.

21.
Nach Auffassung des Tribunal de grande instance Paris hängt der Ausgang des Ausgangsrechtsstreits von der Auslegung des Begriffes der Wiedergabe einer Marke im Sinne des Artikels L. 713-2 CPI und insbesondere von der Frage ab, ob dieser Begriff unter Verwendung der Begriffe der teilweisen Verletzung und der unwirksamen Hinzufügung über die identische Wiedergabe eines als Marke angemeldeten Zeichens hinausreicht.

22.
Da das Tribunal de grande instance Paris der Ansicht ist, dass sich die Auslegung des Begriffes der Wiedergabe einer Marke im Sinne des Artikels L. 713-2 CPI nach der des Begriffes „mit der Marke identisches Zeichen“ in Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie zu richten habe, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Erfasst das Verbot des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe a der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken nur die identische Wiedergabe – ohne Weglassungen oder Hinzufügungen – des Zeichens oder der Zeichen, die eine Marke bilden, oder gilt es auch für

1. die Wiedergabe des wesentlichen Unterscheidungsmerkmals einer aus mehreren Zeichen zusammengesetzten Marke,

2. die vollständige Wiedergabe der die Marke bildenden Zeichen, sofern ihnen weitere Zeichen hinzugefügt werden?

Zur Vorlagefrage

23.
Das vorlegende Gericht möchte mit seiner Vorlagefrage wissen, wie der Begriff des mit der Marke identischen Zeichens im Sinne des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie auszulegen ist.

24.
Es steht fest, dass im Ausgangsfall die Marke von Sadas im geschäftlichen Verkehr für Waren benutzt wurde, die mit denjenigen identisch sind, für die die Marke von LTJ Diffusion eingetragen wurde.

Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

25.
LTJ Diffusion macht geltend, die Auslegung des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie müsse ein effektives Zusammenwirken dieser Bestimmung und des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie erlauben. Seien die betroffenen Waren identisch, wie es im Ausgangsverfahren der Fall sei, so seien die teilweise Verletzung und die Verletzung mit einer wirkungslosen Hinzufügung, die von Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie erfasst würden, von der Verletzung durch schlichte Nachahmung zu trennen, die unter Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie falle.

26.
Es komme häufig vor, dass Nachahmer, die eine Marke ausnutzen wollten, die einen gewissen Ruf besitze, der Marke bei ihrer Wiedergabe ein Zeichen beifügten, dass deren Identität nicht beeinträchtige.

27.
Um zu bestimmen, ob ein Zeichen mit einer Marke im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie identisch sei, sei zu untersuchen, ob dieses Zeichen eine konzeptuelle Gesamtheit bilde, in der die Marke ihre Individualität und damit jede Unterscheidungskraft verliere, um in dieser Gesamtheit aufzugehen. Dazu sei auf die Benutzung der Marke, auf ihre Stellung auf dem betreffenden Markt und auf ihren Bekanntheitsgrad abzustellen, ohne dass zu prüfen sei, ob eine Verwechslungsgefahr bestehe.

28.
Sadas, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission vertreten die Auffassung, dass der Ausdruck „mit der Marke identisches Zeichen“ in Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie eng auszulegen sei.

29.
Nach Ansicht von Sadas muss ein im Sinne des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie mit der Marke identisches Zeichen dieselben Elemente wie die Marke in derselben Form und Anordnung aufweisen, d. h. eine Verletzung im engen Sinn und eine peinlich genaue Wiedergabe der Marke darstellen.

30.
Sadas beruft sich auch darauf, dass die Heranziehung des Begriffes der „teilweisen Verletzung“ oder der „unwirksamen Hinzufügung“ nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei, das es verbiete, eine Marke zu zerlegen, um das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie zu beurteilen, und stattdessen verlange, die Marke als Ganzes zu beurteilen. Wenn eine Marke nicht in identischer Form im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie wiedergegeben werde, sondern nur teilweise oder unter Hinzufügung weiterer Elemente, so sei Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie anzuwenden, wonach der Inhaber der Marke ihre Benutzung nur dann verbieten könne, wenn für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen bestehe.

31.
Die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission stellen fest, dass Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie einer Marke gegenüber einem identischen Zeichen einen absoluten Schutz gewähre. Sie verweisen auf die zehnte Begründungserwägung der Richtlinie, wonach die Verwechslungsgefahr die spezifische Voraussetzung für den durch die eingetragene Marke gewährten Schutz darstelle. Der genannte absolute Schutz hänge aber nicht vom Nachweis einer Verwechslungsgefahr ab, so dass der in Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie verwendete Begriff „identisch“ eng auszulegen sei.

32.
In Bezug auf Artikel 16 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums im Anhang 1 C des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation, das im Namen der Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche durch den Beschluss 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 (ABl. L 336, S. 1) genehmigt worden ist (im Folgenden: TRIPS), betont die Kommission, dass die Verwechslungsgefahr nur in Fällen der Identität zwischen der Marke und dem Zeichen und zwischen den jeweils beanspruchten Waren vermutet werden könne, so wie es Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie vorsehe. Indem der Gemeinschaftsgesetzgeber den Ausdruck „mit der Marke identisches Zeichen“ verwendet habe, habe er die Geltung dieser Vermutung auf Fälle begrenzen wollen, in denen das Zeichen und die Marke genau gleich seien.

33.
Wenn man ein Zeichen zu leicht als mit einer eingetragenen Marke identisch ansehe, erweitere man die Möglichkeit, die Benutzung eines Zeichens ohne den Nachweis einer Verwechslungsgefahr zu verbieten, über die Umstände hinaus, unter denen das Vorliegen einer solchen Gefahr vermutet werden könne.

34.
Die Regierung des Vereinigten Königreichs trägt vor, die Analyse hinsichtlich der globalen Beurteilung der Ähnlichkeit zwischen einem Zeichen und einer Marke, so wie sie eingetragen sei, gelte auch für die Beurteilung der Identität zwischen einem Zeichen und einer Marke im Sinne des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie.

35.
Das vorlegende Gericht müsse das von Sadas benutzte Zeichen vom Standpunkt eines Durchschnittsverbrauchers aus beurteilen und eine Gesamtbetrachtung des Zeichens vornehmen. Nur wenn das Zeichen bei einer Gesamtbetrachtung mit einer Marke identisch sei, sei Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie anzuwenden. Weiche das benutzte Zeichen von der eingetragenen Marke ab, weil es zusätzliche Unterscheidungsmerkmale enthalte, dürften das Zeichen und die Marke grundsätzlich nicht als identisch angesehen werden.

36.
In der mündlichen Verhandlung hat die französische Regierung geltend gemacht, dass kaum von einer restriktiven Auslegung des in Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie verwendeten Begriffes der Identität abgegangen werden könne. Nur eine solche Auslegung könne die von der Richtlinie in Fällen bloßer Ähnlichkeit im Sinne des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie vorgesehene Schutzregelung praktisch wirksam werden lassen.

37.
Seit die Vorlagefrage gestellt worden sei, habe sich die französische Rechtsprechung insoweit fortentwickelt, als Rechtsstreitigkeiten über die teilweise Wiedergabe von Marken oder ihre vollständige Wiedergabe unter Hinzufügung weiterer Elemente ausschließlich im Hinblick auf die Verletzung durch Nachahmung im Sinne des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie beurteilt würden und nicht im Hinblick auf die Verletzung im eigentlichen Sinne, nämlich im Sinne des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie. Das von dieser letztgenannten Bestimmung vorgesehene Verbot betreffe grundsätzlich nur die identische Wiedergabe und könne weder die Wiedergabe des Unterscheidungsmerkmals einer aus mehreren Zeichen zusammengesetzten Marke erfassen noch die vollständige Wiedergabe der Zeichen, die eine Marke bildeten, wenn diesen weitere Zeichen hinzugefügt würden.

Antwort des Gerichtshofes

38.
Zunächst ist darauf zu verweisen, dass der Gerichtshof im Interesse einer sachdienlichen Antwort an das Gericht, das ihm eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat, auf gemeinschaftsrechtliche Vorschriften eingehen kann, die das vorlegende Gericht in seiner Frage nicht angeführt hat (vgl. Urteile vom 20. März 1986 in der Rechtssache 35/85, Tissier, Slg. 1986, 1207, Randnr. 9, und vom 18. November 1999 in der Rechtssache C-107/98, Teckal, Slg. 1999, I-8121, Randnr. 39).

39.
Wie sich aus den Randnummern 11, 13 und 16 dieses Urteils ergibt, wurde die Marke von LTJ Diffusion vor der Marke von Sadas eingetragen und beantragt LTJ Diffusion bei dem vorlegenden Gericht nicht nur Verbots-, Einziehungs- und Veröffentlichungsmaßnahmen, sondern auch die Ungültigerklärung der Marke von Sadas.

40.
Weitere Eintragungshindernisse und Ungültigkeitsgründe bei Kollision mit älteren Rechten sind jedoch in Artikel 4 der Richtlinie geregelt. Nach Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie unterliegt eine eingetragene Marke der Ungültigerklärung, wenn sie mit einer älteren Marke identisch ist und die Waren oder Dienstleistungen, für die die Marke eingetragen worden ist, mit den Waren oder Dienstleistungen identisch sind, für die die ältere Marke Schutz genießt.

41.
Die Anwendungsvoraussetzungen des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie entsprechen im Wesentlichen denen des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie, der die Fälle festlegt, in denen der Inhaber einer Marke Dritten die Benutzung von mit seiner Marke identischen Zeichen verbieten kann. Eine ähnliche Entsprechung besteht zwischen den Artikeln 8 Absatz 1 Buchstabe a und 9 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1).

42.
Da sowohl Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie als auch Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits von Bedeutung sind, ist dem vorlegenden Gericht eine Auslegung dieser beiden Bestimmungen zu geben.

43.
Vor diesem Hintergrund ist zu präzisieren, dass die vorgelegte Frage im Folgenden allein im Hinblick auf Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie untersucht wird, dass die sich daraus ergebende Auslegung aber ebenso für Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie gilt, da sie sich auf die letztgenannte Bestimmung übertragen lässt.

44.
Was die Rechtslage anbelangt, so besteht die Hauptfunktion der Marke nach ständiger Rechtsprechung darin, dem Verbraucher oder Endabnehmer die Ursprungsidentität der mit der Marke gekennzeichneten Ware oder Dienstleistung zu garantieren, indem sie ihm ermöglicht, diese Ware oder Dienstleistung ohne Verwechslungsgefahr von Waren oder Dienstleistungen anderer Herkunft zu unterscheiden (vgl. die Urteile vom 10. Oktober 1978 in der Rechtssache 3/78, Centrafarm, Slg. 1978, 1823, Randnrn. 11 und 12, vom 12. Oktober 1999 in der Rechtssache C-379/97, Upjohn, Slg. 1999, I-6927, Randnr. 21, und vom 12. November 2002 in der Rechtssache C-206/01, Arsenal Football Club, Slg. 2002, I-0000, Randnr. 48).

45.
Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat diese Hauptfunktion der Marke anerkannt, indem er in Artikel 2 der Richtlinie bestimmt hat, dass Zeichen, die sich graphisch darstellen lassen, nur dann eine Marke sein können, wenn sie geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. u. a. Urteile vom 4. Oktober 2001 in der Rechtssache C-517/99, Merz & Krell, Slg. 2001, I-6959, Randnr. 23, und Arsenal Football Club, Randnr. 49).

46.
Damit diese Herkunftsgarantie gewährleistet werden kann, muss der Markeninhaber vor Konkurrenten geschützt werden, die unter Missbrauch der Stellung und des guten Rufes der Marke widerrechtlich mit dieser Marke versehene Waren veräußern (vgl. Urteile vom 11. November 1997 in der Rechtssache C-349/95, Loendersloot, Slg. 1997, I-6227, Randnr. 22, und Arsenal Football Club, Randnr. 50).

47.
Der Schutz eines Markeninhabers wird durch Artikel 5 der Richtlinie gewährleistet, der die Rechte aus einer eingetragenen Marke festlegt und in Absatz 1 bestimmt, dass eine solche Marke ihrem Inhaber ein ausschließliches Recht gewährt und dass der Inhaber Dritten innerhalb bestimmter Grenzen verbieten kann, im geschäftlichen Verkehr seine Marke zu benutzen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. November 1997 in der Rechtssache C-337/95, Parfums Christian Dior, Slg. 1997, I-6013, Randnr. 34).

48.
Zu Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie hat der Gerichtshof bereits ausgeführt, dass diese Bestimmung nur dann anwendbar ist, wenn wegen der Identität oder Ähnlichkeit der Zeichen und der Marken sowie der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Juni 2000 in der Rechtssache C-425/98, Marca Mode, Slg. 2000, I-4861, Randnr. 34).

49.
Dagegen ist festzustellen, dass Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie die Gewährung eines absoluten Schutzes in Fällen der Identität sowohl des Zeichens und der Marke als auch der Waren oder Dienstleistungen nicht vom Nachweis einer solchen Gefahr abhängig macht.

50.
Das Kriterium der Identität zwischen dem Zeichen und der Marke ist restriktiv auszulegen. Bereits die Definition des Begriffes der Identität impliziert nämlich, dass zwei verglichene Elemente in jeder Hinsicht übereinstimmen. Im Übrigen kann der durch Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie gewährte absolute Schutz im Fall eines mit der Marke identischen Zeichens, das für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch sind, für die die Marke eingetragen ist, nicht über die Fälle hinaus ausgedehnt werden, für die er vorgesehen wurde, insbesondere nicht auf die genannten Fälle, die durch Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie spezieller geschützt werden.

51.
Daraus folgt, dass eine Identität zwischen dem Zeichen und der Marke dann besteht, wenn das Zeichen ohne Änderung oder Hinzufügung alle Elemente wiedergibt, die die Marke bilden.

52.
Allerdings ist die Wahrnehmung der Identität zwischen einem Zeichen und einer Marke allgemein aus der Sicht eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers zu beurteilen. Ein solcher Verbraucher erhält von dem Zeichen einen Gesamteindruck. Einem Durchschnittsverbraucher bietet sich nämlich nur selten die Möglichkeit, Zeichen und Marken unmittelbar miteinander zu vergleichen, er muss sich vielmehr auf das unvollkommene Bild verlassen, das er von ihnen im Gedächtnis behalten hat. Außerdem kann die Aufmerksamkeit je nach Art der betreffenden Waren oder Dienstleistungen unterschiedlich hoch sein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Juni 1999 in der Rechtssache C-324/97, Lloyd Schuhfabrik Meyer, Slg. 1999, I-3819, Randnr. 26).

53.
Da die Wahrnehmung der Identität zwischen einem Zeichen und einer Marke nicht das Ergebnis einer unmittelbaren Gegenüberstellung aller Merkmale der verglichenen Elemente ist, können dem Durchschnittsverbraucher unbedeutende Unterschiede zwischen dem Zeichen und der Marke entgehen.

54.
Unter diesen Umständen ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass ein Zeichen mit der Marke identisch ist, wenn es ohne Änderung oder Hinzufügung alle Elemente wiedergibt, die die Marke bilden, oder wenn es als Ganzes betrachtet Unterschiede gegenüber der Marke aufweist, die so geringfügig sind, dass sie einem Durchschnittsverbraucher entgehen können.

Kosten

55.
Die Auslagen der französischen Regierung, der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

(Unterschriften)

1: Verfahrenssprache: Französisch.

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