BPatG: Rado-Uhr II

BPatG, Beschluss vom 26.04.2006 – 28 W (pat) 117/04 – Rado-Uhr II
§§ 107, 8 II 2 MarkenG

Die äußere Form von (Armband-)Uhren unterliegt regelmäßig einem Freihaltebedürfnis der Mitbewerber und ist als Marke nicht schutzfähig.

BESCHLUSS

In der Beschwerdesache

betreffend die IR-Marke 640 196

hat der 28. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 26. April 2006 unter Mitwirkung …

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
Die IR-Markeninhaberin sucht für die Waren „Montres“ um Schutzerstreckung ihrer nachfolgend wiedergegebenen dreidimensionalen Marke

auf die Bundesrepublik Deutschland nach.

Die Markenstelle des Deutschen Patent- und Markenamts hat der Marke den Schutz wegen fehlender Unterscheidungskraft verweigert, die Beschwerde vor dem Bundespatentgericht ist aus denselben Gründen erfolglos geblieben. Die IR-Markeninhaberin hat ihren Eintragungsantrag mit der Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof weiterverfolgt; dieser hat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Fragen zur Auslegung des Art. 3 Abs. 1 Buchst. b, c und e MarkenRL vorgelegt (BGH, MarkenR 2001, 67 – Gabelstapler). Hierüber hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften durch Urteil entschieden (EuGH, MarkenR 2003, 187 – Linde). Der Bundesgerichtshof hat daraufhin die Entscheidung des Bundespatentgerichts aufgehoben und die Sache zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen (BGH, MarkenR 2004, 248 – Armbanduhr (Rado-Uhr)). Zur Begründung ist ausgeführt, die schutzsuchende Marke sei markenfähig (§§ 107, 3 Abs. 1 und 2 MarkenG) und auch unterscheidungskräftig (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG), denn die beanspruchte Warenform verfüge über eine Kombination von Gestaltungsmerkmalen, die trotz der Formenvielfalt auf dem Gebiet der Armbanduhren geeignet sei, auf die betriebliche Herkunft hinzuweisen. So seien Uhrgehäuse und Armband präzise aufeinander abgestimmt und bildeten eine Einheit, zudem erstrecke sich die Glasabdeckung auf die gesamte Oberseite des Uhrgehäuses, das nach außen gewölbt sei. Bei der Beurteilung des ebenfalls in Betracht kommenden Schutzhindernisses nach §§ 107, 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG, dessen Voraussetzungen nunmehr vom Bundespatentgericht geprüft werden müssten, sei das Interesse der Allgemeinheit an einer Freihaltung der Formenvielfalt einzubeziehen (EuGH, a. a. O. – Linde). Wenn die beanspruchte Form innerhalb der auf diesem Warengebiet üblichen Formenvielfalt liege und die Möglichkeiten der Mitbewerber zur individuellen Produktgestaltung beschränkt seien, könne dies für die Bejahung dieses Schutzhindernisses sprechen.

In der mündlichen Verhandlung wurden mit dem Vertreter der IR-Markeninhaberin zahlreiche Abbildungen von Uhren mit Armbändern eingesehen und erörtert. Hierauf sowie auf den übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.

II.
Die zulässige Beschwerde der IR-Markeninhaberin ist nicht begründet, denn der Schutzgewährung der dreidimensionalen IR-Marke steht ein – aktuelles oder zumindest zukünftiges – Freihaltungsbedürfnis der Mitbewerber nach § 107, 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG entgegen, da die bloße Darstellung der Ware, in der sich hier die Marke erschöpft, zwangsläufig beschreibenden Charakter im Sinne dieser Vorschrift hat, nämlich als eine mögliche Form der Produktbeschaffenheit oder Zweckbestimmung bzw. in der unmittelbaren Wiedergabe von Art und Beschaffenheit der Ware selbst.

Nach den Ausführungen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH a. a. O. Ziff. 74 – 77) verfolgt das Schutzhindernis des Freihaltungsbedürfnisses das im Allgemeininteresse liegende Ziel, dass Zeichen, die Waren beschreiben, von allen frei verwendet werden können. Marken, die aus der Form der Ware bestehen, könnten zwar nicht grundsätzlich von der Eintragung ausgeschlossen werden, abzustellen sei vielmehr auf den konkreten Einzelfall, der nach Prüfung aller maßgeblichen Gesichtspunkte des Schutzgesuchs und „insbesondere im Licht des Allgemeininteresses“ entschieden werden müsse. In Anwendung dieser Grundsätze und unter Berücksichtigung der vom Bundesgerichtshof aufgestellten Schranken, wonach die bestehende Formenvielfalt und die mögliche Variationsbreite zu beachten sind, ist im vorliegenden Fall ein Freihaltungsbedürfnis zu bejahen.

Die Gestaltung von Armbanduhren wird in erster Linie durch deren Gebrauchstauglichkeit, dem speziellen Einsatzbereich (Sport, Beruf, Freizeit, Schmuckversion) und dem angesprochenen Kundenkreis bestimmt. Da Armbanduhren auch zu den Trendartikel gehören, die vielfältigen Modeeinflüssen unterliegen, sind sie Gegenstand nahezu unübersehbarer Designvariationen, zumal es sich um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt, der sich besonders eignet, um das Interesse der Käufer an individueller und kreativer Gestaltung zu wecken und zu erfüllen.
Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner weiteren Erläuterung, dass auf dem deutschen Markt von Armbanduhren eine Unzahl von Modellen unterschiedlichster Form und Größe angeboten wird, so dass die Formenvielfalt schier unerschöpflich erscheint, wie unter anderem die jährlichen Uhrenkataloge mit den Kreationen vor allem der weltweit führenden Anbieter belegen, aus denen sich der aktuelle Zeitgeschmack ermitteln lässt. Soweit ersichtlich, finden sich kaum Modelle, die in ihrem äußeren Erscheinungsbild völlig übereinstimmen, es sei denn, sie stammen aus einer Designserie desselben Anbieters. Gleichwohl gibt es Formgestaltungen, die bei mehreren Herstellern zu finden sind, es gibt also auch bei den Armbanduhren gewisse Gestaltungstrends. Der Senat hat der IR-Markeninhaberin in der mündlichen Verhandlung zahlreiche Katalog- und Prospektauszüge präsentiert, die belegen, dass zahlreiche Wettbewerber wenigstens eines oder auch mehrere der in der schutzsuchenden IR-Marke wiedergegebenen Formelemente verwenden. Insbesondere die vom Bundesgerichtshof als charakteristisch herausgestellten Formmerkmale der präzisen Abstimmung von Uhrgehäuse und Armband gehören zum Standardrepertoire von Mitbewerbern aller Preiskategorien. So sind im Armbanduhren-Katalog 2005 von Peter Braun (Hrsg.) sehr ähnlich gestaltete Uhren zu finden, so z. B. die Modelle „v-tec Delta“ und „SPARC fx“ von „Ventura“ (S. 351), „BellflHour“ von „Tissot“ (S. 333), „Tonneau Joallerie“ von „Piaget“ (S. 282), „Twenty-4“ von „Patek Philippe“ (S. 276). Gleichermaßen sind in einer Zeitungsbeilage von „Kaufhof-Galeria“ Uhren von „Fabiani“, „ESPRIT“, „S.Oliver“, „Q&Q“, und „Fossil“, in einem „Karstadt“-Prospekt ähnliche Uhren von „Fossil“ und „ESPRIT“, in der Zeitschrift „InStyle“ (Mai 2006) Uhren von „Armani“, „Calvin Klein“ und „JOOP“ abgebildet. Dass dieser Stil nicht erst in jüngerer Zeit aktuell ist, lässt sich im Armbanduhren-Katalog von 2000 an Modellen von „Enigma“ (S. 117), „EBEL“ (S. 113), „Dunhill“ (S. 109), „Chopard“ (S. 86), „Cartier“ (S. 79) oder „Baume & Mercier“ (S. 34) ablesen. Dort findet sich auch die Abbildung einer Uhr von „Dubey & Schaldenbrand“ (S. 102), die über ein gewölbtes Gehäuse verfügt, wie es der Bundesgerichtshof auch bei der schutzsuchenden IR-Markenform festgestellt hat. Bereits der 29. Senat hatte im Zuge seiner Entscheidung vom 27. Mai 1998 (Az. 29 W (pat) 135/97) der IR-Markeninhaberin die Abbildung einer Armbanduhr mit gewölbtem Gehäuse von „NIESSING“ (Bl. 39 der GA) mit Schreiben vom 15. Januar 1998 überlassen. Derartige gewölbte Uhrengehäuse sind zu-dem im o. g. Uhrenkatalog von 2005 bei „Harry Winston“ (S. 361) oder „Movado“ (S. 237) abgebildet, aber auch die oben erwähnte Uhr von „Q&Q“ und die im Titel-bild eines Zeitschriftenartikels („Stil leben“) abgebildeten Uhr von „ARMANI“ verfügen über eine entsprechend geformtes Gehäuse, wobei selbst die in der IR-Markenwiedergabe erkennbare Krümmung nur bei sehr genauem Hinsehen feststellbar ist. Schließlich weisen diverse Uhren auch eine Glasabdeckung auf, die sich – fast – über die gesamte Gehäuseoberseite erstreckt, so wie das die IR-Markeninhaberin für sich im Schriftsatz vom 30. April 1998 geltend gemacht hat (vgl. Bl. 46, 47 der GA). Dies gilt z. B. für die Uhr von „Fabiani“ im Kaufhof-Prospekt, dem Mo-dell „SPARC fx“ von „Ventura“ im Uhrenkatalog 2005 (S. 351) oder für mehrere Uhren von „MADISON N.Y.“, wie man auf den der IR-Markeninhaberin in Kopie überlassenen Abbildungen erkennen kann. Selbst wenn sich sämtliche Formen der IR-Marke in der konkreten Ausgestaltung und in der Kombination bei keinem anderen Hersteller finden lassen sollten und sie zur Produktidentifikation geeignet sein mögen, so liegen sie doch nur im Rahmen eines Trends, der dem Zeitgeschmack entspricht, dessen Formensprache zwangsläufig von den Herstellern aufgegriffen und dementsprechend benötigt wird. Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof bereits früher entschieden, dass angesichts der nahezu unübersehbaren Vielfalt von Gestaltungen auf dem Sektor der Armbanduhren die beliebige Kombination üblicher Gestaltungselemente auch in ihrer Gesamtheit für den Verkehr nicht einmal einen Hinweis auf die betriebliche Herkunft liefere (vgl. BGH GRUR 2001, 418, 420 – Montre). In einer kürzlich ergangenen Entscheidung über die Anmeldung einer Autokarosserie (BGH WRP 2006, 893 ff., 896 – Porsche Boxster) hat der BGH unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ausdrücklich zum Eintragungshindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG festgestellt, dass eine Marke, die sich in der Wiedergabe der äußeren Form der Ware erschöpfe, lediglich die äußere Gestaltung als Eigenschaft beschreibe und grundsätzlich ein besonderes Interesse der Allgemeinheit an der freien Verwendung derartiger Gestaltungen bestehe; ansonsten könne man mit verhältnismäßig geringem Aufwand eine Vielzahl ähnlicher Gestaltungen zum Gegenstand von Markenanmeldungen machen mit der Folge einer erheblichen Einschränkung der Gestaltungsfreiheit für die Mitbewerber. Genauso wenig kann es im vorliegenden Fall den Herstellern markenrechtlich verwehrt bleiben, die oben genannten Gestaltungselemente in jedweder Kombination bei der Entwicklung und Produktion ihrer Armbanduhren zu verwenden. Denn für die Mitbewerber ist es unabdingbar, dass die Verwendung dieser Formen derartiger Massenprodukte, selbst wenn sie im Hochpreissegment angesiedelt sind, auch in der Zukunft frei von Markenrechter Dritter erfolgen kann und sich einzig an den technischen Notwendigkeiten und Möglichkeiten, den jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen, den speziellen Kundenwünschen und auch dem momentan bevorzugten Designrichtungen orientiert. Die Zuerkennung eines – zeitlich unbegrenzten – Markenrechts auf die Form eines solchen Produkt würde nicht nur zu einer beträchtlichen Unsicherheit und Einschränkung bei der Entwicklung von neuen Modellen führen, auch der Markeninhaber selbst wäre zur ständigen Anmeldung von Produkten gezwungen, selbst wenn diese sich nur geringfügig vom vorhergehenden Modell unterscheiden. Zudem müsste er unentwegt den Markt der Mitbewerber beobachten, wobei der jeweilige Schutzumfang der dreidimensionalen Marke ungewiss ist, solange nicht feststeht, welche Teile hiervon nur technische oder gesetzliche Vorgaben erfüllen und damit schutzunfähig sind, denn vom Schutz umfasst sein können nur beliebige Designvarianten oder Kombinationen hiervon. Der jeweilige Schutz wird sich damit häufig nur auf geringfügige Formvarianten beschränken. Die Zuerkennung von Formmarkenschutz liegt damit weder im Interesse der Mitbewerber noch der Markeninhaber selbst; vielmehr steht ihm das Interesse der Allgemeinheit und das der Mitbewerber an der Freihaltung derartiger Formen entgegen, selbst wenn man berücksichtigt, dass sich vor allem Designeruhren zu einem hochpreisig gehandelten Imageartikel entwickelt haben, die einen grauen oder sogar illegalen Parallel-Markt von Imitatprodukten haben entstehen lassen, die sich gar nicht oder nur für Fachleute erkennbar vom Original unterscheiden. Zur Beseitigung daraus resultierender Wettbewerbsstörungen stellen andere Rechtsvorschriften Schutzmechanismen zur Verfügung, derer sich die Hersteller bzw. Anbieter bedienen können. Eine Monopolisierung von Produktformen durch das Markenrecht mit einem entsprechenden Verbietungspotenzial passt jedoch nicht in die durch das europäische Recht geprägte Wettbewerbsordnung, die grundsätzlich die Vielfalt des Angebotes durch Wettbewerb fördern will.

Die Beschwerde der IR-Markeninhaberin war daher zurückzuweisen.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ergibt sich aus § 83 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG.

(Unterschriften)

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Die Kanzlei Breuer Lehmann Rechtsanwälte ist auf Markenrecht spezialisiert. Gerne stehen wir Ihnen als Ansprechpartner zu Markenschutz, Markenanmeldung und Abmahnungen zur Verfügung. Sie erreichen uns telefonisch unter 089 666 610 89 oder per E-Mail an info@breuerlehmann.de.

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