BPatG: Anhörungsrüge

BPatG, Beschluss vom 02.08.2006 – 32 W (pat) 249/03 – Anhörungsrüge
MarkenG § 82 Abs. 1 Satz 1; ZPO §§ 321, 321a

Zur Anhörungsrüge und Gegenvorstellung im markenrechtlichen Beschwerdeverfahren.

BESCHLUSS

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 397 58 062

(hier: Anhörungsrüge u. a.)

hat der 32. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 2. August 2006 unter Mitwirkung …

beschlossen:

Der Antrag der Markeninhaberin, den Senatsbeschluss vom 15. März 2006 um die Zulassung der Rechtsbeschwerde zu ergänzen, sowie die Anhörungsrüge der Markeninhaberin werden zurückgewiesen.

Der Gegenvorstellung der Markeninhaberin wird keine Folge gegeben.

Gründe

I.
Gegen die Marke 397 58 062 „RONDO“, eingetragen für zahlreiche Waren der Klasse 30, ist aus der älteren Marke 678 344 „Rondo“, eingetragen für „Zuckerwaren“, Widerspruch erhoben worden. Die Markeninhaberin hat die rechtserhaltende Benutzung dieser Marke bestritten, woraufhin die Widersprechende eine Benutzung der Widerspruchsmarke für „RONDO MULTIVITAMIN-RINGE“ dargelegt hat. Die Markeninhaberin hat die Auffassung vertreten, dass es sich bei diesem Produkt nicht um eine Zuckerware, sondern um ein Vitaminprodukt handle, das in die Klasse 5 falle, für welche die Widerspruchsmarke indessen keinen Schutz genieße. Zur Begründung hatte sie sich schon im Verfahren vor der Markenstelle u. a. auf eine rechtskräftige Entscheidung der Widerspruchsabteilung des Harmonisierungsamtes für den Binnenmarkt vom 29. November 2000 berufen. In dem dortigen Verfahren war ebenfalls aus der Marke 678 344 ein Widerspruch erhoben und die rechtserhaltende Benutzung bestritten worden. Das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt hatte die Widerspruchswaren als Vitaminprodukte eingestuft und eine rechtserhaltende Benutzung verneint. Im vorliegenden Verfahren hat sich die Markenstelle dieser Sichtweise angeschlossen. Auf die Beschwerde der Widersprechenden hat der Senat mit Beschluss vom 15. März 2006 den Amtsbeschluss teilweise aufgehoben und im entsprechenden Umfang die Löschung der angegriffenen Marke angeordnet. Zur Begründung ist u. a. ausgeführt worden, dass entgegen der Auffassung der Markenstelle eine rechtserhaltende Benutzung anzuerkennen sei, da es sich bei den „RONDO MULTIVITAMIN-RINGEN“ um Zuckerwaren handle. Die Widerspruchsabteilung des Harmonisierungsamtes für den Binnenmarkt habe sich demgegenüber ersichtlich nicht hinreichend mit dem Zutatenverzeichnis der „RONDO MULTIVI-TAMIN-RINGE“ auseinandergesetzt. Die Rechtsbeschwerde ist nicht zugelassen worden.

Die Markeninhaberin meint, dass der Senat nicht von der Entscheidung der Widerspruchsabteilung des Harmonisierungsamtes für den Binnenmarkt hätte abweichen dürfen, ohne die Sache dem Europäischen Gerichthof vorzulegen. Es hätte im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 EG geklärt werden müssen, wie der Rechtsbegriff der „Benutzung für die eingetragenen Waren“ unter Berücksichtigung der „Allgemeinen Hinweise“ zur Nizzaer Klassifikation gemeinschaftsrechtskonform auszulegen sei. Durch die unterlassene Vorlage sei die Sache dem gesetzlichen Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG entzogen worden. Da eine Vorlage nach der Verkündung des Beschlusses des Senats im Anschluss an die mündliche Verhandlung vom 15. März 2006 nicht mehr erfolgen könne, sei die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Darüber hinaus hätte der Senat die Markeninhaberin zur Gewährung rechtlichen Gehörs darauf hinweisen müssen, dass er von der Entscheidung der Widerspruchsabteilung abweichen wolle. Für diesen Fall hätte die Frage der Zulassung der Rechtsbeschwerde erörtert werden müssen.

Die Markeninhaberin beantragt zum einen (sinngemäß),

den Senatsbeschluss vom 15. März 2006 um die Zulassung der Rechtsbeschwerde zu ergänzen.

Sie erhebt ferner Gegenvorstellung und Anhörungsrüge mit dem Ziel,

1. das Verfahren durch Zurückversetzung in die Lage vor Schluss der mündlichen Verhandlung fortzuführen,

2. das schriftliche Verfahren anzuordnen und die Rechtsbeschwerde gegen den Senatsbeschluss vom 15. März 2006 zuzulassen.

Die Widersprechende ist dem Vorbringen der Markeninhaberin entgegengetreten.

An der mündlichen Verhandlung vom 2. August 2006 haben die Beteiligten nicht teilgenommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.
Die Anträge der Markeninhaberin haben keinen Erfolg.

1. Zur nachträglichen Zulassung der Rechtsbeschwerde im Wege der Beschluss-Ergänzung:

Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 MarkenG i. V. m. § 321 ZPO kann die Ergänzung eines patentgerichtlichen Beschlusses in Markensachen verlangt werden, wenn nach dem ursprünglich festgestellten oder nachträglich gemäß § 80 MarkenG berichtigten Tatbestand des betreffenden Beschlusses ein von der Partei geltend gemachter Haupt- oder Nebenanspruch ganz oder teilweise übergangen ist. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

Nach gefestigter Rechtsprechung scheidet eine Beschluss-Ergänzung aus, soweit es sich um die Zulassung der Rechtsbeschwerde handelt, da hierüber von Amts wegen zu befinden ist. Den Parteien steht insoweit weder ein förmliches Antragsrecht zu noch trifft sie eine Obliegenheit zur Antragstellung. Darüber hinaus ist anerkannt, dass die Rechtsbeschwerde nur ausdrücklich zugelassen werden kann, sei es im Tenor, sei es in den Gründen. Fehlt es daran, ist sie nicht zugelassen. Die nachträgliche Zulassung würde sich daher nicht als Ergänzung einer unvollständigen Entscheidung, sondern als unzulässige Abänderung des erlassenen Beschlusses darstellen (vgl. BPatGE 2, 200, 201; 22, 45, 47; zur Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO ebenso BGH NJW 2004, 779; NJW 2004, 2529; s. ferner Ströbele in: Ströbele/Hacker, Markengesetz, 8. Aufl. 2006, § 80 Rdn. 9 und § 83 Rdn. 27; a. A. Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 321 Rdn. 5).

2. Zur Anhörungsrüge (§ 82 Abs. 1 Satz 1 MarkenG i. V. m. § 321a ZPO):

a) Nach Auffassung der Markeninhaberin hat es der Senat unter Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör unterlassen, sie darauf hinzuweisen, dass er der von ihr in das Verfahren eingebrachten Entscheidung der Widerspruchsabteilung des Harmonisierungsamtes für den Binnenmarkt möglicherweise nicht folgen werde. Deswegen sei auch unerörtert geblieben, ob die Rechtsbeschwerde zuzulassen sei.

Unter den genannten Gesichtspunkten ist die erhobene Anhörungsrüge bereits unzulässig. Verstöße gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs eröffnen nach § 83 Abs. 3 Nr. 3 MarkenG die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde. Damit scheidet eine Anhörungsrüge gemäß § 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO aus (sog. Subsidiarität der Anhörungsrüge; vgl. hierzu auch Ströbele in: Ströbele/Hacker, a. a. O., § 83 Rdn. 6; Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 321a Rdn. 4). Die Rüge ist darüber hinaus auch unbegründet. Entgegen der Auffassung der Markeninhaberin war der Senat nicht gehalten, sie darauf hinzuweisen, dass eine Abweichung von der Entscheidung der Widerspruchsabteilung in Betracht kommt. Damit musste sie vielmehr schon aufgrund der von der Widersprechenden eingelegten Beschwerde rechnen (vgl. hierzu auch Ströbele in: Ströbele/Hacker, a. a. O., § 83 Rdn. 43 m. w. N.). Die von der Markeninhaberin herange-zogene Entscheidung BVerfG NJW 2003, 3687, 3688 betraf einen ersichtlich anderen Fall. Dort ging es um die Pflicht des Gerichts darauf hinzuweisen, dass von einer zuvor mit Bestimmtheit geäußerten Rechtsauffassung abgewichen werden soll (vgl. hierzu auch BGH GRUR 2003, 901, 902 – MAZ). Im vorliegenden Fall hat der Senat jedoch zu keinem Zeitpunkt zu erkennen gegeben, dass er der Entscheidung der Widerspruchsabteilung folgen würde.

b) Im Rahmen ihrer Gegenvorstellung (s. dazu auch unten 3.)) macht die Markeninhaberin des weiteren einen Verstoß gegen den in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verankerten Grundsatz des gesetzlichen Richters geltend, weil es der Senat zu Unrecht unterlassen habe, beim Europäischen Gerichtshof eine Vorabentscheidung einzuholen. Auch damit kann die Markeninhaberin nicht durchdringen.

Was zunächst den prozessualen Rahmen angeht, in dem eine derartige Rüge zu erheben ist, hat der Bundesgerichtshof erkennen lassen, dass in einem solchen Fall eine analoge Anwendung des § 321a ZPO in Betracht kommt (vgl. BGH GRUR 2006, 346, 347 – Jeans II). Folgt man dem, so könnte es nahe liegen, auch die Vorschrift des § 83 Abs. 3 Nr. 3 MarkenG über die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde bei Verstößen gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör entsprechend weit auszulegen bzw. analog anzuwenden. Dies hätte zur Konsequenz, dass die Anhörungsrüge nach § 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auch insoweit zurückzutreten hätte, im vorliegenden Fall also auch insoweit unzulässig wäre. Letztlich kann dies jedoch dahingestellt bleiben, weil eine Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter nicht vorliegt.

Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht jeder Verstoß gegen die Vorlagepflicht nach Art. 234 EG eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG beinhaltet, welch letztere alleine eine Anhörungsrüge rechtfertigen könnte (s. BVerfG GRUR 2005, 52 – Unvollständige EuGH-Rechtsprechung). Dem braucht aber nicht weiter nachgegangen zu werden, weil vorliegend schon keine Vorlagepflicht bestand.

Als Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass das Gemeinschaftsmarkensystem einerseits und die harmonisierten nationalen Markenrechte andererseits getrennte Rechtssysteme darstellen. Es ist somit ohne weiteres möglich, dass sogar identische Sachverhalte unter Anwendung inhaltlich gleicher Vorschriften des Gemeinschafts- und des harmonisierten nationalen Rechts unterschiedlich entschieden werden. Für die Beurteilung der absoluten Schutzhindernisse ist dies vom Europäischen Gerichtshof ausdrücklich anerkannt worden (vgl. EuGH GRUR 2004, 428, 432 [Nr. 63] – Henkel). Für Kollisionsfälle gilt nichts anderes. So hat auch das Europäische Gericht 1. Instanz keine Bedenken dagegen erhoben, dass eine Beschwerdekammer des Harmonisierungsamtes für den Binnenmarkt in einer Kollisionssache bei identischem Sachverhalt von einer Entscheidung des Deutschen Patent- und Markenamtes abgewichen ist (EuG GRUR Int. 2005, 943, 945 [Nr. 46] – SELENIUM-ACE; vgl. auch EuG GRUR Int. 2005, 140, 144 [Nr. 56] – CHUFAFIT). Die Entscheidungsdivergenz als solche kann somit selbst bei identischen Sachverhalten keine Vorlagepflicht auslösen, sondern ist – mag sie auch als misslich empfunden werden – hinzunehmen.

Eine Vorlage kommt vielmehr nur dann in Betracht, wenn eine Frage des Gemeinschaftsrechts zu entscheiden ist, die weder aus den gesetzlichen Quellen eindeutig zu beantworten noch in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes geklärt ist. Eine solche Rechtsfrage kann die Markeninhaberin nicht aufzeigen. Sie liegt auch nicht vor. Im vorliegenden Verfahren ging es allein darum, ob eine bestimmte benutzte Widerspruchsware (die „RONDO MULTIVITAMIN-RINGE“) unter den im Warenverzeichnis der Widerspruchsmarke enthaltenen Oberbegriff „Zucker-waren“ zu subsumieren ist oder nicht. Diese Frage hätte der Senat schwerlich dem Europäischen Gerichtshof vorlegen können. Was unter dem Rechtsbegriff der „Benutzung für die eingetragenen Waren“ zu verstehen ist, stand nicht in Frage. Ein vorlagefähiges und -pflichtiges Rechts- und Auslegungsproblem lässt sich auch nicht unter Heranziehung der „Allgemeinen Hinweise“ zur Nizzaer Klassifikation konstruieren. Weder die Widerspruchsabteilung noch der Senat haben darauf Bezug genommen. Die Divergenz ist vielmehr allein dadurch entstanden, dass die Widerspruchsabteilung gemutmaßt hat, die „RONDO MULTIVITAMIN-RINGE“ der Widersprechenden bestünden in der Hauptsache aus verschiedenen Vitaminpräparaten („it seems [sic!] that the products mainly consist of different vitamin products“), während der Senat dem aufgedruckten Zutatenverzeichnis entnommen hat, dass die Waren zu 74 % aus Zucker bestünden und deswegen nicht als Vitaminprodukte, sondern als Zuckerwaren einzustufen seien. Hintergrund der Divergenz war somit nicht eine unterschiedliche Rechtsauffassung, sondern allein eine abweichende Auswertung des Glaubhaftmachungsmaterials.

3. Zur Gegenvorstellung:

Für die von der Markeninhaberin erhobene Gegenvorstellung ist kein Raum, soweit die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nach § 83 Abs. 3 MarkenG eröffnet ist oder eine Anhörungsrüge nach der durch das „Anhörungsrügengesetz“ geänderten, zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen und hier anzuwendenden Fassung des § 321a ZPO in direkter oder analoger Anwendung in Betracht kommt (vgl. Ströbele in: Ströbele/Hacker, a. a. O., § 83 Rdn. 4). Insoweit kann auf die Ausführungen unter 2b) verwiesen werden, wo bereits zu den Rügen Stellung genommen ist, auf die die Markeninhaberin ihre Gegenvorstellung stützt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes soll jedoch eine Gegenvorstellung auch dann stattfinden, wenn die Rechtsbeschwerde unter willkürlicher Missachtung der für ihre Zulassung geltenden Vorschriften nicht zugelassen worden ist (vgl. BGH NJW 2004, 2529, 2530). Es kann dahinstehen, ob dies auch für das markenrechtliche Verfahren vor dem Bundespatentgericht gilt oder ob insoweit § 83 Abs. 3 MarkenG eine abschließende Regelung darstellt (so Ströbele in: Ströbele/Hacker, a. a. O., § 83 Rdn. 27), ob statt einer Gegenvorstellung zum iudex a quo die außerordentliche Beschwerde zum iudex ad quem eröffnet ist (so Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 321a Rdn. 4 unter cc), dd)) oder ob § 321a ZPO n. F. auch insoweit analog anzuwenden ist. Eine willkürliche Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde wird von der Markeninhaberin nicht geltend gemacht. Sie scheidet im Übrigen bereits begrifflich aus, nachdem – wie sich aus den Ausführungen zu 2b) ergibt – schon kein Zulassungsgrund im Sinne des § 83 Abs. 2 MarkenG gegeben ist.

4. Auch im Hinblick auf den vorliegenden Beschluss war die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen. Entscheidungen über Anhörungsrügen sind nach § 321a Abs. 4 Satz 4 ZPO unanfechtbar. Gleiches gilt für Entscheidungen über Gegenvorstellungen. Entscheidungen über Ergänzungsanträge nach § 321 ZPO sind zwar nach § 83 Abs. 1 MarkenG der Rechtsbeschwerde zugänglich; die hier maßgeblichen Fragen sind jedoch höchstrichterlich geklärt.

(Unterschriften)

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