BGH: Noblesse

BGH, Urteil vom 06.10.2005 – I ZR 322/02 – Noblesse (OLG Hamm)
MarkenG § 14 Abs. 6

a) Berechnet der Markeninhaber den durch eine Verletzung seiner Marke entstandenen Schaden nach dem vom Verletzer erzielten Gewinn, besteht der Schaden nur in dem Anteil des Gewinns, der gerade auf der Benutzung seines Schutzrechts beruht. Kennzeichnet der Verletzer seine Waren zugleich mit seiner Marke, kann in einem solchen Fall der Mindestschaden in Form einer Quote des Verletzergewinns nach § 287 ZPO geschätzt werden.

b) Kommt für die Ermittlung des Schadens eine Schätzung in Betracht, ist der Verletzer nicht verpflichtet, über Einzelheiten seiner Kalkulation Auskunft zu erteilen, da die Schätzung auch auf der Grundlage der Umsätze und gegebenenfalls grob ermittelter Gewinne erfolgen kann.

c) Eine Anwendung der Grundsätze der Gemeinkostenanteil-Entscheidung (BGHZ 145, 366) ist im Kennzeichenrecht nicht ausgeschlossen.

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Oktober 2005 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Prof. Dr. Bornkamm, Pokrant und Dr. Schaffert für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 26. September 2002 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Tatbestand:

1
Mit der vorliegenden Vollstreckungsgegenklage wendet sich die Klägerin gegen die weitere Vollstreckung aus einem rechtskräftigen Urteil, das in einer Markensache gegen sie ergangen ist.

2
Die Klägerin ist eine bekannte Herstellerin von Schneidwaren. Sie vertreibt ihre Produkte u. a. unter den Wortmarken „Zwilling“ und „Die Schneidigen von ZWILLING“ sowie unter einer Bildmarke (…). In den Jahren 1983 bis 1996 kennzeichnete sie ihre Serie „Die Schneidigen von ZWILLING“ häufig zusätzlich mit dem Zeichen „noblesse“.

3
Die Beklagte ist Inhaberin der für Essbestecke eingetragenen deutschen Marke „Noblesse“ (Priorität: 9. März 1963). Wegen Verletzung dieser Marke nahm die Beklagte die Klägerin im Vorprozess in Anspruch. Dort wurde die Klägerin zur Unterlassung verurteilt und ihre Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz festgestellt. Im Hinblick auf diese Verpflichtung wurde die Klägerin verurteilt, der Beklagten über den Umfang der in Rede stehenden Handlungen Auskunft zu erteilen, „und zwar unter genauer Angabe der einzelnen Lieferungen unter Nennung … des erzielten Gewinns“.

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Im Vollstreckungsverfahren stritten die Parteien darüber, ob die Klägerin die nach diesem Urteil geschuldete Auskunft erteilt hat. Nachdem gegen sie ein Zwangsgeld in Höhe von 20.000 DM festgesetzt worden war, beauftragte die Klägerin Wirtschaftsprüfer damit, den erzielten Gewinn zu ermitteln. Die Wirtschaftsprüfer ermittelten den Gesamtumsatz mit den unter der zusätzlichen Kennzeichnung „noblesse“ vertriebenen Produkten in einem der Beklagten überlassenen zusammenfassenden Bericht vom 28. Mai 2001 mit 57.563.000 DM und errechneten den auf diese Umsätze entfallenden Gewinn mit 1.417. 000 DM. Nach ihren Angaben wurde dabei ein Schätzverfahren eingesetzt, weil die Klägerin in der fraglichen Zeit noch nicht über eine Buchhaltung mit artikelbezogener Kostenträgerrechnung auf Vollkostenbasis verfügte. Dem Bericht war eine Aufstellung beigefügt, der sich die Verteilung der genannten Zahlen auf die Geschäftsjahre 1983 bis 1996 entnehmen ließ. Die Beklagte vertrat die Ansicht, dass diese Gewinnermittlung als Auskunft unzureichend sei, und beantragte die Vollstreckung des bereits festgesetzten Zwangsgeldes sowie die Verhängung eines weiteren Zwangsgeldes.

5
Gegen die drohende weitere Vollstreckung aus dem Urteil sowie aus dem bereits erwirkten Zwangsmittelbeschluss wendet sich die Klägerin mit der Vollstreckungsgegenklage. Sie ist der Ansicht, dass sie die geschuldete Auskunft durch die Übersendung der zusammenfassenden Gewinnermittlung erteilt habe.

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Die Klägerin hat beantragt,

die Zwangsvollstreckung aus dem zugrunde liegenden Urteil im Hinblick auf den Auskunftsanspruch über den erzielten Gewinn sowie aus dem Zwangsmittelbeschluss für unzulässig zu erklären.

7
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat ihrerseits eine Stellungnahme von Wirtschaftsprüfern vorgelegt, nach der sich die Roherträge der Umsätze mit den Produkten, die mit „noblesse“ gekennzeichnet waren, auf über 40 Mio. DM belaufen.

8
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Hiergegen richtet sich die (vom Senat zugelassene) Revision der Beklagten, mit der sie den Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

9
I. Das Berufungsgericht hat die erteilte Auskunft als ausreichend angesehen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

10
Die Klägerin habe gegenüber der weiteren Vollstreckung mit Recht den Erfüllungseinwand erhoben. Die geschuldete Auskunft über den erzielten Gewinn sei mit der Übersendung des Wirtschaftsprüferberichts vom 28. Mai 2001 erteilt worden. In welchem Umfang eine Auskunft zu erteilen sei, hänge davon ab, welchen Schadensersatzanspruch die Auskunft vorbereiten solle. Im Kennzeichenrecht sei eine detaillierte Berechnung des Verletzergewinns als Schadensgrundlage nicht die Regel; sie sei nur dort erforderlich, wo der Verletzergewinn in vollem Umfang und ausschließlich Folge der Rechtsverletzung sei. Im Kennzeichenrecht sei demgegenüber eine Schätzung erforderlich, in welchem Umfang der erzielte Gewinn auf der Kennzeichenverletzung beruhe. Daher sei eine Auskunft ausreichend, die eine solche Schätzung ermögliche. Die Klägerin sei aufgrund der Verurteilung zur Auskunft nicht verpflichtet gewesen, über getätigte Umsätze und aufgewandte Kosten Rechnung zu legen. Auch die in den Fixkosten enthaltenen Gemeinkosten habe sie nicht mitteilen müssen. Mit dem Einwand, die erteilte Auskunft sei unrichtig, könne die Beklagte nicht gehört werden.

11
Dieser Rechtsauffassung stehe die Gemeinkostenanteil-Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht entgegen. Denn die Frage, ob die Gemeinkosten in Abzug zu bringen seien, betreffe die Richtigkeit der Auskunft. Im Übrigen sei die Gemeinkostenanteil-Entscheidung für den Streitfall nicht einschlägig, weil es dort um eine identische Nachbildung eines geschützten Geschmacksmusters gegangen sei und der Unternehmensgewinn daher dem Verletzergewinn entsprochen habe. Im Streitfall könne die Beklagte dagegen nur den Bruchteil des Gewinns abschöpfen, der auf der Verletzungshandlung beruhe. Schließlich sei es der Klägerin nicht zumutbar, der Beklagten durch eine detaillierte Auskunft Einblick in die innerbetrieblichen Verhältnisse zu geben, obwohl anschließend ohnehin nur eine grobe Schätzung möglich sei.

11
Die Vollstreckungsgegenklage sei auch begründet, soweit es um die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem Zwangsgeldbeschluss gegangen sei.

12
Denn dieser Beschluss beziehe sich auf die Auskunft über den erzielten Gewinn.

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II. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision haben keinen Erfolg. Mit Recht hat das Berufungsgericht die erteilte Auskunft als hinreichend angesehen mit der Folge, dass eine weitere Vollstreckung aus dem zugrunde liegenden Titel unzulässig geworden ist (§ 767 Abs. 1 ZPO).

14
1. Das Berufungsgericht hat seiner Beurteilung zutreffend zugrunde gelegt, dass es dem Verletzten freisteht, zur Berechnung des zu fordernden Schadensersatzes im Kennzeichenrecht – ebenso wie im Falle der Verletzung anderer Schutzrechte – zwischen dem konkreten Schaden (vor allem dem entgangenen Gewinn) und einem abstrakten Schaden (Lizenzanalogie oder Verletzergewinn) zu wählen (BGH, Urt. v. 24.2.1961 – I ZR 83/59, GRUR 1961, 354 – Vitasulfal, zum Warenzeichenrecht; BGHZ 60, 206, 208 – Miss Petite, zum Firmenrecht; Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 2. Aufl., Vor §§ 14-19 Rdn. 112; Hacker in Ströbele/Hacker, Markengesetz, 7. Aufl., § 14 Rdn. 300). Im Streitfall hat sich die Beklagte für die Herausgabe des Verletzergewinns entschieden. Dies wirkt sich auf den Umfang des Auskunftsanspruchs aus, weil für die Berechnung des Schadens auf der Grundlage des Verletzergewinns zusätzliche Informationen benötigt werden.
Art und Umfang der Auskunftspflicht sind jedoch im Einzelfall nach den durch Treu und Glauben gebotenen Maßstäben abzugrenzen, insbesondere auch danach, ob die geforderte Auskunft in einem sinnvollen Verhältnis zu dem Wert stehen, die sie für die Schätzung des geltend gemachten Schadens hat (BGH, Urt. v. 16.2.1973 – I ZR 74/71, GRUR 1973, 375, 378 = WRP 1973, 213 – Miss Petite, insoweit nicht in BGHZ 60, 206).

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2. Berechnet der Verletzte seinen Schaden anhand des erzielten Verletzergewinns ist bei allen Schutzrechten, insbesondere aber im Falle von Kennzeichenrechtsverletzungen, zu beachten, dass sich der Anspruch auf Herausgabe des Verletzergewinns stets nur auf den Anteil des Gewinns bezieht, der gerade auf der Benutzung des fremden Schutzrechts beruht (BGHZ 150, 32, 42 – Unikatrahmen, zum Urheberrecht; 145, 366, 375 – Gemeinkostenanteil, zum Geschmacksmusterrecht). Bei Kennzeichenrechtsverletzungen kommt daher häufig eine Herausgabe des gesamten mit dem widerrechtlich gekennzeichneten Gegenstand erzielten Gewinns nicht in Betracht, weil der geschäftliche Erfolg in vielen Fällen nicht ausschließlich oder noch nicht einmal überwiegend auf der Verwendung des fremden Kennzeichens beruht. Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass gerade auch im Streitfall der erzielte Umsatz nur zu einem Bruchteil auf der Verwendung des fremden Zeichens „noblesse“ beruhen kann. Denn die fremde Kennzeichnung war im vorliegenden Fall nicht der einzige Herkunftshinweis; vielmehr hat die Klägerin, die selbst als Herstellerin von Schneidwaren bekannt und angesehen ist, ihre Waren stets mit ihren eigenen kennzeichnungskräftigen Marken versehen und das fremde Zeichen hinzugefügt.

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3. Beruht der vom Verletzer erzielte Gewinn nur zu einem kleinen Teil auf der Schutzrechtsverletzung, kann der Schaden in Form einer Quote des Gewinns nach § 287 ZPO geschätzt werden, wenn nicht ausnahmsweise jeglicher Anhaltspunkt für eine Schätzung fehlt (vgl. BGHZ 119, 20, 30 f. – Tchibo/Rolex II, zum wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz; 150, 32, 43 – Unikatrahmen, zum Urheberrecht; Ingerl/Rohnke aaO Vor §§ 14-19 Rdn. 114).

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4. Der Umstand, dass nicht der gesamte mit dem Absatz der widerrechtlich gekennzeichneten Ware erzielte Gewinn herausverlangt werden kann, hat Auswirkungen auch auf den Umfang des Auskunftsanspruchs. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Verletzer regelmäßig ein Interesse hat, seine Kalkulation und seine Gewinnspanne gegenüber dem Mitbewerber geheim zu halten. Zwar muss dieses Interesse grundsätzlich zurückstehen, wenn der Verletzte auf die Angaben angewiesen ist, um seinen Schaden zu berechnen. Kommt aber ohnehin nur eine grobe Schätzung in Betracht, ist dem Verletzer eine Offenbarung von Geschäftsinterna meist nicht zuzumuten, da diese Schätzung auch auf der Grundlage der Umsätze und gegebenenfalls grob ermittelter Gewinne erfolgen kann (vgl. BGH GRUR 1973375, 378 – Miss Petite, insoweit nicht in BGHZ 60, 206; Urt. v. 27.9.1990 – I ZR 87/89, GRUR 1991, 153, 155 = WRP 1991, 151 – Pizza & Pasta; Ingerl/Rohnke aaO Vor §§ 14-19 Rdn. 138; Hacker in Ströbele/Hacker aaO § 14 Rdn. 322; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 8. Aufl., Kap. 38 Rdn. 14 f. und Kap. 39 Rdn. 4). So verhält es sich im Streitfall.

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5. Der Umstand, dass in Kennzeichenstreitsachen über den Verletzergewinn häufig keine detaillierten Angaben gemacht zu werden brauchen, bedeutet allerdings nicht, dass eine Anwendung der Grundsätze der Gemeinkostenanteil-Entscheidung (BGHZ 145, 366) im Kennzeichenrecht ausgeschlossen wäre. Zum einen kann auch im Fall einer Verletzung von Kennzeichenrechten der erzielte Gewinn – etwa bei der Benutzung einer Prestigemarke oder einer dreidimensionale Marke – fast ausschließlich auf der Verwendung des fremden Kennzeichens beruhen (vgl. Ingerl/Rohnke aaO Vor §§ 14-19 Rdn. 114). Zum anderen kann der Verletzer gegenüber einer – aus seiner Sicht ungünstigen – Schätzung einwenden, keinen oder einen deutlich niedrigeren Gewinn mit den widerrechtlich gekennzeichneten Gegenständen erzielt zu haben. In diesem Fall muss aber der Verletzer von sich aus die Einzelheiten seiner Kalkulation offen legen, damit die Richtigkeit seines Einwands überprüft werden kann. Bei dieser Überprüfung ist von den Grundsätzen der Gemeinkostenanteil-Entscheidung auszugehen.

19
6. Unter diesen Umständen ist es von Rechts wegen nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die erteilte Auskunft als ausreichend erachtet und deswegen die weitere Zwangsvollstreckung aus dem Urteil für unzulässig erklärt hat.

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Im Ergebnis ohne Erfolg weist die Revision darauf hin, dass der Titel, aus dem die Beklagte gegen die Klägerin vorgeht, ungeachtet der Besonderheiten, die im Kennzeichenrecht für den Auskunftsanspruch gelten (dazu oben unter 4.), eine Verpflichtung zur Auskunft „unter Nennung des erzielten Gewinns“ enthält. Dieser Verpflichtung ist die Klägerin dadurch nachgekommen, dass sie den Bericht ihrer Wirtschaftsprüfer vorgelegt hat, die für die Jahre 1983 bis 1996 den Umsatz und den (geschätzten) Gewinn aufgelistet haben, den die Klägerin mit den das Markenrecht der Beklagten verletzenden Produkten gemacht hat. Mit Recht weist das Berufungsgericht darauf hin, dass die Klägerin nicht zur Rechnungslegung verurteilt worden ist und von ihr keine Aufschlüsselung der einzelnen Kostenbeiträge verlangt werden kann. Soweit die Beklagte die Richtigkeit der erteilten Auskunft bestreitet, kann sie damit im Verfahren der Vollstreckungsgegenklage nicht gehört werden.

21
7. Ebenfalls mit Recht hat das Berufungsgericht die Vollstreckungsgegenklage auch insoweit für zulässig und begründet gehalten, als sich die Klägerin gegen die Vollstreckung des festgesetzten Zwangsgeldes mit dem Erfüllungseinwand zur Wehr setzen möchte. Unabhängig davon, ob dieser Einwand im Vollstreckungsverfahren zuzulassen ist (vgl. dazu Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 888 Rdn. 11; ferner BGHZ 161, 67, 71 f. zu § 887 Abs. 1 ZPO), ist der Schuldner jedenfalls nicht gehindert, ihn mit der Vollstreckungsgegenklage zu erheben (vgl. BayObLG NZM 2000, 302 f.).

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III. Danach ist die Revision der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

(Unterschriften)

Vorinstanzen:
LG Bochum, Entscheidung vom 29.01.2002 – 17 O 34/01
OLG Hamm, Entscheidung vom 26.09.2002 – 4 U 63/02

BGH Volltext

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